Entscheidungsstichwort (Thema)
Zolltarifliche Abgrenzung ,,Kleider" / ,,Nachthemden"
Leitsatz (NV)
1. Zur zolltariflichen Abgrenzung zwischen ,,Kleidern" und ,,Nachthemden".
2. ,,Nachthemden" müssen eindeutig erkennbar ausschließlich zum Tragen als Nachtkleidung bestimmt sein.
Normenkette
KN Pos. 6104, 6108
Tatbestand
Die beklagte Obefinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin insgesamt 11 verbindliche Zolltarifauskünfte (vZTA) über ein ,,Mädchennachthemd" und über ,,kurze Damennachthemden" verschiedener Artikelnummern. Sämtliche Waren wurden als Kleider aus Gewirken aus synthetischen Chemiefasern, für Mädchen (vZTA . . .)/Frauen (übrige vZTA), beurteilt und der Unterposition 6104 4300 der Kombinierten Nomenklatur (KN) zugewiesen. Die Einstufung als ,,Nachthemden" - ex Position 6108 KN - wurde ,,insbesondere wegen des Schnitts und der Ausstattung" bzw. ,,nach dem allgemeinen Aussehen und den üblichen Tragegewohnheiten" abgelehnt.
Die Einsprüche, mit denen die Klägerin die Einreihung der Waren in die Position 6108 erstrebte, wurden zurückgewiesen. Dieser Position - so die OFD in den Einspruchsentscheidungen - könnten nur Waren zugeordnet werden, die als Nachthemden eindeutig erkennbar seien; Zweifel im Bereich der tatsächlichen Feststellungen ständen einer solchen Zuordnung entgegen (Hinweis auf das Urteil des Senats vom 30. Oktober 1984 VII K 18/84, BFHE 142, 194, 196 - Oberbekleidung/Kittel -). Insbesondere Schnitt und Ausstattung der Waren seien keine nur für Nachthemden typischen Merkmale. Sie wiesen darauf hin, daß die Erzeugnisse auch als Kleider (insbesondere als Strandkleider) getragen werden könnten und tatsächlich getragen würden, sei es auch nur in einem Teil des Geltungsbereichs des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT). Bestätigt werde das Tarifierungsergebnis durch die (Einreihungs-) Verordnungen (EWG) der Kommission Nr. 548/89 vom 28. Februar 1989 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 60/31) und Nr. 812/89 vom 21. März 1989 (ABlEG L 86/25), durch die vergleichbare Kleidungsstücke als Kleider im zolltariflichen Sinne angesprochen worden seien. Den in den Einsprüchen herangezogenen Gutachten und dem in einem Aussetzungsverfahren ergangenen finanzgerichtlichen Beschluß käme keine Bedeutung zu, weil Gutachten und Beschluß nicht die später erlassenen Verordnungen berücksichtigten.
Die Klägerin widerspricht der von der OFD vertretenen Tarifauffassung. Sie meint, es lägen - wie durch die Gutachten und die finanzgerichtliche Entscheidung sowie die Handelsbezeichnungen bestätigt - Kleidungsstücke vor, deren Material, Schnitt und Aufmachung bzw. Ausstattung keinen Zweifel daran aufkommen ließen, daß die Stücke ausschließlich oder zumindest im wesentlichen im Bett getragen werden sollten. Selbst bei bestehenden Zweifeln wäre eine Einreihung als Mädchenkleid bzw. als Frauenkleider nicht gerechtfertigt, da die Waren nicht ausschließlich oder zumindest im wesentlichen als Kleider (insbesondere Strandkleider) getragen werden könnten und ggf. tatsächlich getragen würden. Im Hinblick hierauf sei gemäß der Allgemeinen Vorschrift (AV) 3 c die Position 6108 anzuwenden. Die für die Abgrenzung von allgemein und speziell verwendbarer Oberbekleidung geltenden Grundsätze (BFHE 142, 194; Senat, Urteil vom 20. Dezember 1987 VII K 9/87, BFH/NV 1988, 541 - Oberbekleidung/Arbeits- und Berufskleidung -) führten hier nicht weiter, da ,,Nachthemden" keine Kleider o.ä. mit besonders herausgehobener spezieller Verwendbarkeit seien und für sie auch keine Sonderregelung wie etwa für Skianzüge gelte. Die von der OFD angeführten Einreihungsverordnungen beträfen nur ganz bestimmte Kleidungsstücke. Soweit nach den Einreihungsbegründungen dieser Verordnungen für die Tarifierung als ,,Nachthemd" maßgebend sei, daß das Kleidungsstück die Bestimmung zum ausschließlichen Gebrauch als Nachtkleidung eindeutig erkennen lasse, seien die Verordnungen wegen Überschreitung des gesetzlichen Ermächtigungsrahmens unwirksam. Eine solche Anforderung überschreite die Grenzen der zulässigen Auslegung und widerspreche dem vorrangigen Tarifrecht.
Entscheidungsgründe
Über die Klagen wird gemeinsam entschieden (§ 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung).
Sie sind nicht begründet. Die angefochtenen vZTA sind nicht zu beanstanden.
1. Position 6104 KN erfaßt u. a. ,,Kleider", Position 6108 ,,Nachthemden" (nightdresses; chemises de nuit), für Frauen oder Mädchen. Wenn auch zwischen diesen beiden Positionen kein schon durch den Aufbau des Zolltarifs erkennbares Regel-/Ausnahmeverhältnis besteht, wie zwischen Oberbekleidung und spezieller Oberbekleidung nach früherem Tarifrecht (BFHE 142, 194, 196, BFH/NV 1988, 541), so weist doch der Tarifbegriff ,,Nachthemd" auf eine spezifische Beschaffenheit zur Verwendung des Kleidungsstücks (Tragen im Bett) hin. Nachthemden sind in Position 6108 neben Unterkleidern usw. aufgeführt; nach früherem Zolltarifrecht fielen sie sogar unter den Oberbegriff ,,Unterkleidung" (Unterkleidung aus Gewirken; Tarifnr. 60.04 des früheren GZT). Bestimmte Arten von Oberkleidung (Freizeitkleider) können zwar - auch - für das Tragen im Bett in Betracht kommen; Nachthemden scheiden dagegen für eine andere als die auf Grund ihrer Beschaffenheit vorgegebene Verwendung als Kleidungsstück aus. Hieraus ergibt sich, daß als Nachthemden im zolltariflichen Sinne nur Kleidungsstücke anzusehen sind, die nach ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften - sie sind tarifierungsbestimmend (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 26. September 1985 Rs. 166/84, EuGHE 1985, 3001, 3009; ständige Rechtsprechung) - ausschließlich für die entsprechende Verwendung geeignet und bestimmt sind. Das Fehlen einer ,,expliziten Regelung", wie sie etwa für Skianzüge besteht (Anm. 6 zu Kapitel 61; dazu Senat, Urteil vom 31. Januar 1989 VII K 8/88, BFH/NV 1989, 677), steht dieser Folgerung nicht entgegen. Wegen des besonderen (technischen) Charakters des Zolltarifs können aus einer für andere Warenbereiche getroffenen Regelung grundsätzlich weder Analogie- noch Gegenschlüsse gezogen werden.
Das Ergebnis, zu dem der Senat auf Grund des Wortlauts der maßgebenden Tarifposition (vgl. AV 1) gelangt, wird bestätigt durch die zu den vorstehend angeführten Einreihungsverordnungen (für Kleidungsstücke) gegebenen Tarifierungsbegründungen, nach denen eine Einreihung als Nachthemd ausgeschlossen ist, wenn das Kleidungsstück nicht eindeutig erkennen läßt, daß es ausschließlich zum Tragen als Nachtkleidung bestimmt ist (vgl. auch Erläuterungen zur KN zu Position 6104 - Einzelentscheidungen - Rz. 06.0, 22.0 usw.). Die Verordnungen haben zwar die Einreihung anderer als der von der OFD tarifierten Waren zum Gegenstand; sie lassen aber erkennen, daß auch die Kommission von der hier vertretenen Tarifaufassung ausgeht. Die Frage der Gültigkeit der Verordnungen, die sich überdies nur hinsichtlich des verfügenden Teils dieser Rechtsakte ergeben könnte, stellt sich nicht, weil die zugrundeliegende Auslegung der Tarifvorschriften als zutreffend anzusehen ist.
Ergibt sich sonach, daß Kleidungsstücke, die nicht den vorgenannten Anforderungen entsprechen (ausschließliche Eignung und Bestimmung zum Tragen im Bett auf Grund der Beschaffenheit), keine ,,Nachthemden" sind, so scheidet die Möglichkeit einer ggf. nach AV 3 zu lösenden Konkurrenz zwischen den Positionen 6104 und 6108 aus. ,,Andere" Kleidungsstücke aus Gewirken oder Gestricken, für Frauen oder Mädchen, sind, soweit in Betracht kommend, Kleider (ex Position 6104), selbst wenn sie teilweise oder gar überwiegend zum Tragen im Bett bestimmt sind.
2. Unter Berücksichtigung der vorstehend entwickelten Grundsätze ergibt sich, daß die OFD die Waren zutreffend als Kleider - nach deren Beschaffenheit als Kleider der Unterposition 6104 4300 KN - tarifiert hat.
Die ,,Damennachthemden" weisen Beschaffenheitsmerkmale auf (Gewirkestreifen / Säume, z. B. an den Rändern; teilweise mit Bindegürtel), die denjenigen der von den Einreihungsverordnungen betroffenen Waren entsprechen (dort u. a. Gewirkestreifen, Säume, Kordel). Schon im Hinblick auf diese Ausstattung ist nicht eindeutig zu erkennen, daß diese Kleidungsstücke zur ausschließlichen Verwendung als Nachtkleidung bestimmt sind. Dem ,,Mädchennachthemd" fehlt zwar eine derartige Ausstattung; es ist jedoch kurzgeschnitten (kurz oberhalb der Knie endend) - wie übrigens die ,,Damennachthemden" auch (geschnitten wie vor bzw. zur Mitte der Oberschenkel reichend) - und läßt nach seiner sonstigen Gestaltung (kurzärmelig, weite Machart) auch eine Verwendung als (Freizeit-) Kleid zu. Auch die Klagebegründung scheint dies letztlich nicht in Abrede stellen zu wollen (ebenso bei den ,,Damennachthemden"). Die im Handel für die Artikel verwendeten Bezeichnungen sind für die Tarifierung unerheblich; dasselbe gilt für Aufdrucke auf bestimmten Kleidungsstücken ,,Let`s dream together"; ,,Sleepie"), zumal diese Beschriftungen auch keineswegs eindeutig auf eine Verwendung als Nachthemd hinweisen. Die Gutachten, auf die die Klägerin sich beruft, sind unter der Geltung des früheren Tarifrechts erstattet worden, vor Ergehen der beiden Einreihungsverordnungen. Inwieweit sie sich auf die hier tarifierten Artikel beziehen, ist nicht klar ersichtlich. Einige Waren werden überdies auch nicht eindeutig als Nachthemden angesprochen bzw. als auch zum Tragen als Strandkleid geeignet bezeichnet. Die von der Klägerin angeführte finanzgerichtliche Entscheidung enthält gleichfalls keine beurteilungserheblichen Gesichtspunkte.
3. Die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH ist nicht veranlaßt.
Zweifel an der Gültigkeit der Einreihungsverordnungen bestehen nicht. Die zolltarifliche Auslegung, so wie geschehen, läßt auch keinen Raum für einen vernünftigen Zweifel (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs.283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430; Senat, Urteil vom 23. Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266, 270). Die zolltarifliche Subsumtion ist auf Grund der tatsächlichen Gegebenheiten in den zu beurteilenden Fällen erfolgt.
Fundstellen
Haufe-Index 417304 |
BFH/NV 1991, 422 |