Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfung im Einspruchsverfahren durch Lebenssachverhalt des Steuerbescheides begrenzt
Leitsatz (NV)
- Die Auslegung eines Vertrages in einem Sinne, der keinen Anhalt im Wortlaut des Vertrages findet, verstößt gegen die gesetzlichen Auslegungsregeln.
- Der der GrESt unterliegende Rechtsvorgang muss im Steuerbescheid bezeichnet sein. Reicht der durch den Bescheid erfasste Lebenssachverhalt nicht aus, um die Steuerfestsetzung zu rechtfertigen, so kann dieser Mangel nicht dadurch geheilt werden, dass der Einspruchsentscheidung der zutreffende, den Steueranspruch begründende Lebenssachverhalt zugrunde gelegt wird. Die dem Finanzamt im Einspruchsverfahren eingeräumte Überprüfungsberechtigung und damit seine Entscheidungsbefugnis wird durch den angefochtenen Verwaltungsakt begrenzt.
- Rechtsgeschäftliches Handeln namens einer erst künftig entstehenden juristischen Person ist möglich, insbesondere kann im Namen einer noch nicht entstandenen Kapitalgesellschaft mit der Maßgabe gehandelt werden, dass erst die entstandene Gesellschaft aus dem Vertrag berechtigt und verpflichtet sein soll.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; AO 1977 § 367 Abs. 2; FGO § 44 Abs. 2
Tatbestand
I. Alleininhaber des unter der Firma G, betriebenen Unternehmens war A. Dieser verstarb am … Er wurde durch seine Ehefrau E beerbt, die das Unternehmen zunächst fortführte.
Durch notariell beurkundete Erklärungen vom 20. April 1997 vereinbarte Frau E u.a. mit ihren beiden Söhnen B und C Folgendes:
"§ 2
Überlassung
Frau E überlässt hiermit die nachfolgenden, näher genannten Grundstücke und Erbbaurechte mit allen Rechten und Pflichten sowie Bestandteilen sowie den in den Betriebsräumen ausgeübten Gewerbebetrieb mit allen Aktiven und Passiven an ihre Söhne B und C.
Die Besitzverhältnisse des Gewerbebetriebs einschließlich aller bestehenden Rechte und Pflichten sollen rückwirkend zum 01.01.1997 in eine noch zu gründende GmbH übergehen, an der E einen Geschäftsanteil von 75 % und C einen Geschäftsanteil von 25 % erhält.
….
Die Erschienenen … nehmen die Übertragung des Gewerbebetriebs, des Grundbesitzes und der Erbbaurechte an und verpflichten sich gleichzeitig, alle erforderlichen Erklärungen abzugeben, um die vorgenannte Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter den angegebenen Beteiligungsverhältnissen zu gründen.
….
§ 3
Auflassung/Auflassungsvormerkung
Der in § 2 … genannte Grundbesitz sowie die Erbbaurechte sollen direkt auf die noch zu gründende Gesellschaft mit beschränkter Haftung übergehen, die derzeit noch nicht gegründet ist."
Die in dem Vertrag angesprochenen Grundstücke und Erbbaurechte waren Betriebsgrundstücke der Fa. G.
Durch notariell beurkundete Erklärungen vom 30. Juni 1997 schlossen Frau E und ihre Söhne B und C folgende weitere als "Umwandlung des Unternehmens eines Einzelkaufmanns" bezeichnete Vereinbarung. Diese enthielt u.a. folgende Regelung:
"Unter Hinweis auf den Übertragungsvertrag vom 20.04.1997 … übertrage ich, E, hiermit den unter der vorgenannten Firma betriebenen Gewerbebetrieb mit allen Aktiven und Passiven unter gleichzeitiger Umwandlung in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu 75 % auf meinen Sohn B … und zu 25 % auf meinen Sohn C."
Darüber hinaus enthält die Urkunde eine "Umwandlungserklärung" der beiden Söhne über die Errichtung einer GmbH. Als Anlage war der Vereinbarung u.a. der Gesellschaftsvertrag der künftigen GmbH beigefügt. Danach waren B und C zur Leistung von Stammeinlagen mittels Übertragung des Vermögens der bisherigen Einzelfirma G im Werte von 500 000 DM verpflichtet.
Das Handelsregistergericht beanstandete diesen Vorgang, weil es die Zwischenschaltung einer OHG zwischen die Einzelfirma der Mutter und die GmbH für notwendig ansah und für die OHG keine Anmeldung abgegeben worden sei.
Am 2. Oktober 1997 gaben Frau E und ihre Söhne B und C gegenüber dem Handelsregistergericht notariell beurkundete Erklärungen ab, in denen u.a. ausgeführt ist:
"Ich, E, habe durch Übertragungsvertrag vom 20.04.1997 … die Einzelfirma mit allen Aktiven und Passiven auf meine Söhne B zu 75 % und C zu 25 % übertragen. Wir, B und C, führen den Gewerbebetrieb nunmehr als Offene Handelsgesellschaft unter der Firma G OHG fort. Wir melden die Rechtsänderung und die Änderung der Firma hiermit an."
Mit Bescheid vom 1. April 1998 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) gegen die GmbH und nunmehrige Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) Grunderwerbsteuer in Höhe von … DM fest. Der Bescheid nahm Bezug auf folgenden Sachverhalt: "Durch notariellen Vertrag vom 20.04.1997 … haben Sie die in diesem Vertrag näher bezeichneten Grundstücke ―Einbringung― zu 100 v.H. Anteil erworben." Der Grunderwerbsteuerbescheid stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Mit dem gegen ihn gerichteten Einspruch wurde im Wesentlichen geltend gemacht, es liege eine formwechselnde Umwandlung vor, die nicht der Grunderwerbsteuer unterliege. Während des Einspruchsverfahrens ergingen gesonderte Grundlagenbescheide über die Werte der in Frage stehenden Grundstücke. Durch Änderungsbescheid vom 16. November 1998 wurde auf der Grundlage dieser Feststellungsbescheide die gegen die Klägerin festgesetzte Grunderwerbsteuer wegen eines Grunderwerbs "durch notariellen Vertrag vom 20.4.97" auf … DM erhöht.
Den Einspruch wies das FA mit Bescheid vom 16. März 1999 als unbegründet zurück. Aufgrund der getroffenen vertraglichen Vereinbarungen seien B und C zunächst Miteigentümer der fraglichen Grundstücke geworden und hätten diese dann in die GmbH eingebracht. Diese Einbringung in die GmbH sei ein grunderwerbsteuerrechtlich relevanter Erwerbsvorgang i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die Grundstücke vor der Einbringung in die GmbH im Gesellschaftsvermögen einer OHG befunden hätten. Eine solche vertragliche Vereinbarung über die Einbringung in die OHG sei nicht vorgenommen und auch nicht vollzogen worden.
Mit der dagegen erhobenen Klage wurde (weiterhin) geltend gemacht, es sei keine Grunderwerbsteuer angefallen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) erklärten die Beteiligten übereinstimmend, der Wert der Bemessungsgrundlage betrage … DM. Das FA schränkte daraufhin seinen Klageabweisungsantrag ein. Die Klage solle abgewiesen werden mit der Maßgabe, dass von einer Bemessungsgrundlage von … DM auszugehen sei.
Das FG gab der Klage statt und hob den angefochtenen Steuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf. Die Umwandlung einer OHG in eine GmbH sei eine formwechselnde Umwandlung, die nicht der Grunderwerbsteuer unterliege. Vor der GmbH habe eine OHG bestanden. Aufgrund der Vereinbarung vom 20. April 1997 sei es zwangsläufig zum Entstehen einer OHG gekommen, da zu diesem Zeitpunkt keine GmbH gegründet gewesen sei. Nach dem Willen der an dem Vertrag vom 20. April 1997 Beteiligten habe die OHG als Gesamthandsgesellschaft einen Anspruch auf Übertragung des dort bezeichneten Grundvermögens erhalten. Die in dem Vertrag geregelte Unternehmensnachfolge beziehe sich auf den gesamten Unternehmensbestand, also auch auf die Grundstücke. Der nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 steuerbare Grunderwerb der OHG sei nach § 3 Nr. 6 GrEStG grunderwerbsteuerfrei. Zwar möge es vertretbar sein, § 3 Nr. 6 GrEStG 1983 dann nicht anzuwenden, wenn geplantermaßen eine formwechselnde Umwandlung auf eine Kapitalgesellschaft folge. Dies werde jedoch der Sach- und Interessenlage im Streitfall nicht gerecht, weil in erster Linie eine Unternehmensnachfolge durch die Söhne der bisherigen Einzelunternehmerin gewollt gewesen sei. Im Übrigen lasse der Sachverhalt im Streitfall keinen vorgefassten Plan erkennen.
Hiergegen richtet sich die Revision des beklagten FA, mit der es Verletzung materiellen Rechts geltend macht.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass unter Änderung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 1. April 1998 i.d.F. vom 16. November 1998 die Grunderwerbsteuer auf … DM festgesetzt wird.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen FG-Urteils ergeben zwar eine Rechtsverletzung, die Entscheidung selbst stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Rechtsfehlerhaft nimmt das FG an, der Vertrag vom 20. April 1997 begründe einen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 steuerbaren ―wenn auch steuerfreien― Anspruch auf Übertragung des Eigentums an Grundstücken zugunsten einer OHG, aus der die Klägerin hervorgegangen sei. Diese Auslegung des Vertrags vom 20. April 1997 verstößt gegen die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches ―BGB―). Sie findet keinen Anhalt im Wortlaut des Vertrags. Dieser enthält keinen Hinweis darauf, dass die Söhne B und C in gesamthänderischer Verbundenheit aufgetreten sind. Der Vertragstext gibt keinen Anhalt dafür, dass eine Verpflichtung (der Mutter?) auf Eigentumsübertragung an Grundstücken auf eine bestehende oder ggf. von den Söhnen noch zu gründende Personengesellschaft begründet werden sollte. Umstände außerhalb des Wortlauts des Vertrags, die die vom FG vorgenommene Auslegung rechtfertigen könnten, sind weder festgestellt noch ersichtlich. Entgegen der Auffassung des FG kann aus der sich erst später ergebenden handelsrechtlichen Notwendigkeit der Zwischenschaltung einer OHG nicht geschlossen werden, dass bereits durch den Vertrag vom 20. April 1997 Grundstücksübereignungsansprüche zu Gunsten einer OHG bestehend aus B und C begründet wurden.
2. Die Entscheidung des FG stellt sich aus anderen Gründen als richtig dar. Der angefochtene Steuerbescheid erweist sich als rechtswidrig, weil der im angefochtenen Änderungsbescheid bezeichnete Lebenssachverhalt "notarieller Vertrag vom 20.4.97" keinen der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang ergibt, für den die Klägerin (GmbH) als Beteiligte nach § 13 Nr. 1 GrEStG 1983 die Steuer schuldete. Da kein Eigentumsübertragungsanspruch zugunsten einer ―als Folge des nachfolgenden Formwechsels nach § 190 ff. des Umwandlungsgesetzes (UmwG) mit der Klägerin personenidentischen― OHG durch den Vertrag vom 20. April 1997 begründet worden ist, wäre der angefochtene Bescheid nur dann rechtlich aufrechtzuerhalten, wenn sich aus diesem Vertrag nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 steuerbare Ansprüche auf Eigentumsübertragung an Grundstücken zugunsten der aus damaliger Sicht erst noch zu gründenden Klägerin ergäben. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Zwar ist rechtsgeschäftliches Handeln namens einer erst künftig entstehenden juristischen Person grundsätzlich möglich, insbesondere kann im Namen einer noch nicht entstandenen Kapitalgesellschaft mit der Maßgabe gehandelt werden, dass erst die entstandene Gesellschaft aus dem Vertrag berechtigt und verpflichtet sein soll (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 15. Juni 1955, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1955, 1228). Ein dahin gehender rechtsgeschäftlicher Wille lässt sich dem Vertrag jedoch nicht entnehmen. Vielmehr enthält der Vertrag in seinem § 2 1. Absatz das Angebot der Mutter auf Übertragung des Gewerbebetriebs mit allen Aktiven und Passiven nebst den Betriebsgrundstücken auf die Söhne. Dieses Angebot wird von den Söhnen in § 2 5. Absatz des Vertrags ausdrücklich angenommen. Der Vertrag erlegte zwar den Söhnen auf, eine GmbH zu gründen; er enthält jedoch weder eine Vereinbarung, die die Mutter, noch eine solche, die die Söhne zur Eigentumsübertragung auf die noch zu errichtende GmbH verpflichteten.
Die Regelung in § 3 1. Absatz des Vertrags, dass die Grundstücke direkt auf die noch zu gründende GmbH übergehen sollen, kann nur als Vereinbarung eines abgekürzten Leistungswegs bezüglich der dinglichen Eigentumsübertragung verstanden werden. Ohne diese Vereinbarung hätten die Grundstücke dinglich auf die Söhne und von diesen auf die GmbH übertragen werden müssen. Auch ein Anspruch der GmbH gegen die beiden Söhne auf Eigentumsübertragung an dem Grundstück ist mit dem Vertrag nicht begründet worden. In dem Vertrag verpflichten sich die Söhne lediglich, die zur Gründung einer GmbH erforderlichen Erklärungen demnächst abzugeben und in diesem Rahmen die entsprechenden Einlageverpflichtungen zu übernehmen. Eine solche Absichtserklärung im Rahmen eines Vorvertrags begründet unmittelbar noch keine Einlageverpflichtung gegenüber der zukünftigen GmbH. Die originäre rechtsgeschäftliche Verpflichtung der Gesellschafter, die übernommene Stammeinlage an die Gesellschaft zu leisten, folgt erst aus der Abgabe einer entsprechenden Übernahmeerklärung bei Gründung der Gesellschaft (Gummert in Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 3, § 31 Rdnr. 7).
Durch den Vertrag vom 20. April 1997 zu Gunsten von B und C begründete Ansprüche auf Verschaffung des Eigentums an den Betriebsgrundstücken könnten den Bescheid nicht stützen, da diese Erwerbsvorgänge von dem im Bescheid genannten Lebenssachverhalt nicht erfasst werden. Dasselbe gilt für den späteren Erwerb der Grundstücke durch die Klägerin im Rahmen ihrer Gründung durch Einlage seitens der Gesellschafter B und C. Auch diese Vorgänge müssen außer Betracht bleiben, da der Bescheid als zu besteuernden Lebenssachverhalt allein den Vertrag vom 20. April 1997 bezeichnet. Soweit das FA in der Einspruchsentscheidung den Einbringungsvorgang als zu besteuernden Lebenssachverhalt ansieht, hat es den durch den angeforderten Grunderwerbsteuerbescheid erfassten Lebenssachverhalt durch einen anderen Lebenssachverhalt ersetzt und damit die Vorschriften über den Einspruch (§§ 347 ff. der Abgabenordnung ―AO 1977― i.d.F. des Gesetzes vom 24. Juni 1994) verletzt. Reicht der durch den Grunderwerbsteuerbescheid erfasste Lebenssachverhalt nicht aus, um den Steuerbescheid zu begründen, so kann dieser Mangel nicht dadurch geheilt werden, dass der Einspruchsentscheidung der zutreffende, den Steueranspruch begründende Lebenssachverhalt zugrunde gelegt wird (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. Januar 1994 II R 32/90, BFH/NV 1994, 758).
Fundstellen
BFH/NV 2003, 1137 |
ZEV 2003, 335 |