Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine materiell-rechtlichen Folgerungen für zurückliegende Veranlagungszeiträume hinsichtlich Kinderbetreuungs- und Erziehungsbedarf; Verfassungsmäßigkeit des sog. Besucherfreibetrags
Leitsatz (NV)
- Ohne eine entsprechende Neuregelung durch den Gesetzgeber ist nach dem Beschluss des BVerfG vom 10.11.1998 in BStBl II 1999, 182 der mit der Verfassung nicht im Einklang stehende Rechtszustand hinsichtlich eines Bedarfs für Kinderbetreuung und Kindererziehung für zurückliegende Veranlagungszeiträume hinzunehmen.
- In den Veranlagungszeiträumen 1986 und 1987 ist die Begrenzung des Freibetrags zur Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses (sog. Besucherfreibetrags - § 33a Abs. 1a EStG a.F.) auf 600 DM verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Normenkette
EStG § 33a Abs. 1a, § 32 Abs. 7, §§ 33c, 53
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde im November 1985 von seiner Ehefrau geschieden. Diese übersiedelte nach der Trennung vom Kläger mit den beiden gemeinsamen Kindern (geboren 1977 und 1981) nach X.
In den Einkommensteuer-Erklärungen für die Streitjahre 1986 und 1987 begehrte der Kläger, seine Unterhaltsleistungen an die Kinder in Höhe von 11 360 DM (1986) und 11 460 DM (1987) sowie seine Aufwendungen für die Besuche der Kinder in Höhe von 1 453 DM (1986) und 2 039 DM (1987) steuerlich zu berücksichtigen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) anerkannte für die Unterhaltsleistungen des Klägers an die Kinder gemäß § 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG 1986) für 1986 je einen vollen Kinderfreibetrag in Höhe von zusammen 4 968 DM (2 x 2 484 DM) und für 1987 je einen halben Kinderfreibetrag in Höhe von zusammen 2 484 DM (2 x ½ von 2 484 DM). Für die Aufwendungen zur Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses bzw. des Umgangsrechts zog das FA nach § 33a Abs. 1 a EStG (in der bis 1. Januar 1990 geltenden Fassung) jeweils einen Betrag von 600 DM je Kind vom Gesamtbetrag der Einkünfte ab.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren beantragte der Kläger im Klageverfahren, die Unterhaltszahlungen an die Kinder in voller Höhe anstelle der Kinderfreibeträge sowie die Aufwendungen zur Wahrnehmung des Umgangsrechts in voller Höhe als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Während des Revisionsverfahrens hat das FA die Einkommensteuerbescheide für die beiden Streitjahre geändert. Dabei hat es die durch die Vorschrift des § 53 Satz 1 EStG (Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999, BGBl I 1999, 2552, BStBl I 2000, 4, 8) erhöhten Kinderfreibeträge für 1986 in Höhe von 8 592 DM (2 x 4 296 DM) und für 1987 in Höhe von 4 416 DM (2 x ½ x 4 416 DM) unter Anrechnung des Kindergeldes abgezogen. Der Kläger hat beantragt, die Änderungsbescheide zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (§ 68 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Mit der Revision trägt der Kläger im Wesentlichen noch vor, die Vorentscheidung sei rechtsfehlerhaft. Gegen die Vorschrift des § 53 EStG als solche bestünden zwar keine Einwendungen. Diese Vorschrift decke jedoch nur das sächliche Existenzminimum der Kinder ab; nicht berücksichtigt seien der Erziehungs- und der Betreuungsbedarf. Dieser Bedarf sei auch im Streitfall ggf. im Wege einer Billigkeitsmaßnahme zu berücksichtigen. Die ihm ―dem Kläger― tatsächlich entstandenen Aufwendungen überstiegen die Freibeträge bei weitem. Auch die Aufwendungen zur Wahrung des Umgangsrechts seien nur in "realitätsfremder Weise" berücksichtigt worden. Seiner tatsächlichen Gesamtbelastung durch Unterhaltsleistungen und Aufwendungen zur Wahrung des Umgangsrechts sei in verfassungswidriger Weise nur unzureichend Rechnung getragen worden. Im Übrigen seien ihm im Streitjahr 1987 die vollen Kinderfreibeträge zu gewähren. Die Einkommensteuer der geschiedenen Ehefrau sei im Veranlagungszeitraum 1986 aufgrund negativer Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf -0- DM festgesetzt worden bzw. aus der im Revisionsverfahren vorgelegten Einnahme-Überschussrechnung der Ehefrau für 1987 ergebe sich ein gewerblicher Verlust.
Der Kläger beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung der Einkommensteuerbescheide für 1986 und 1987, zuletzt vom 28. September und 10. Oktober 2000,
a) die Unterhaltszahlungen an die Kinder in Höhe von 11 360 DM (1986) und 11 460 DM (1987) anstelle der gewährten Kinderfreibeträge und
b) die Aufwendungen zur Wahrnehmung des Umgangsrechts in Höhe von 1 453 DM (1986) und 2 039 DM (1987) als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Laufende Aufwendungen der Eltern für den Unterhalt der Kinder werden in den Streitjahren 1986 und 1987 durch das Kindergeld und den Kinderfreibetrag abgegolten. Soweit die Aufwendungen die Kinderfreibeträge und das Kindergeld übersteigen, können sie nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, es sei denn, es handelt sich um ―im Streitfall nicht vorliegende― atypische, unübliche Unterhaltsaufwendungen.
a) Wie der X. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinem die Einkommensteuer-Veranlagungen des Klägers für 1984 und 1985 betreffenden Urteil vom 24. Juli 1996 X R 152/90 (BFH/NV 1996, 889) bereits ausgeführt hat, ist es verfassungsrechtlich weder geboten, dass Unterhaltsleistungen für die Kinder in der vollen Höhe des bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs berücksichtigt werden noch, dass die steuerliche Entlastung für kindbedingte Aufwendungen am bürgerlich-rechtlichen Unterhalt ausgerichtet wird. Der Gesetzgeber muss aber den Unterhaltsaufwand für Kinder des Steuerpflichtigen in dem Umfang von der Einkommensteuer freistellen, in dem die Unterhaltsaufwendungen zur Gewährleistung des Existenzminimums der Kinder erforderlich sind (vgl. Bundesverfassungsgericht ―BVerfG―, Beschlüsse vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60, 86 ff., BStBl II 1990, 653, 659; vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, 259 ff., BStBl II 1999, 174, 178 f.).
Der Gesetzgeber hat nunmehr in § 53 Satz 1 EStG unter Berücksichtigung der Vorgaben des BVerfG (vgl. auch Beschlüsse vom 10. November 1998 2 BvR 1220/93, BVerfGE 99, 268, BStBl II 1999, 193, und 2 BvR 1852/97, 2 BvR 1853/97, BVerfGE 99, 273, BStBl II 1999, 194) das Existenzminimum eines Kindes in den Streitjahren 1986 und 1987 durch Freibeträge in Höhe von 4 296 DM (1986) und von 4 416 DM (1987) von der Steuer ausgenommen. Gegen die Höhe dieser neuen Freibeträge bringt der Kläger ausdrücklich keine Einwendungen vor. Diese Beträge betreffen ―wie der Kläger zutreffend angeführt hat― allerdings nur das sächliche Existenzminimum eines Kindes.
b) Der Kläger kann sein Begehren auf Berücksichtigung weiterer Aufwendungen auch nicht auf den Umstand stützen, dass nach neuerer Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Beschluss vom 10. November 1998 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) die Leistungsfähigkeit von Eltern ―über das sächliche Existenzminimum der Kinder hinaus― auch durch den Betreuungsbedarf und den Erziehungsbedarf gemindert wird. Entsprechend den Vorgaben des BVerfG ist der Gesetzgeber insoweit nicht verpflichtet, der Verfassung gemäße Neuregelungen auch für die Vergangenheit zu treffen (vgl. auch BFH-Beschluss vom 29. Januar 1999 VI R 176/90, BFHE 188, 48, BStBl II 1999, 233). Schon aus diesem Grunde hat der Kläger den bisherigen Rechtszustand hinsichtlich eines evtl. Betreuungs- und Erziehungsbedarfs hinzunehmen (vgl. BFH-Urteile vom 2. Dezember 1998 X R 48/97, BFH/NV 1999, 1192; vom 16. Dezember 1998 X R 68/98, BFH/NV 1999, 1193; vom 2. Dezember 1998 X R 9/96, BFH/NV 1999, 1213).
Entgegen der Ansicht des Klägers kann die Einkommensteuer für 1986 und 1987 insoweit auch nicht aus Billigkeitsgründen niedriger festgesetzt werden. Ungeachtet des Umstands, dass das Steuerfestsetzungs- und das Billigkeitsverfahren aufgrund der in § 163 Satz 3 der Abgabenordnung (AO 1977) verankerten Zweigleisigkeit zu trennen ist, hat das BVerfG eine "entsprechende Anwendung des Rechtsgedankens der §§ 163, 227 AO" auf die Ausgangsverfahren bzw. auf die Beschwerdeführer in den konkret betroffenen verfassungsgerichtlichen Verfahren zu den Kinderbetreuungskosten und dem Haushaltsfreibetrag beschränkt (vgl. Beschluss in BStBl II 1999, 182, 192 unter Ziff. D III.; BFH-Urteile in BFH/NV 1999, 1192, 1193, 1213).
c) Für das Streitjahr 1987 kann dem Kläger für die beiden Kinder jeweils nur der halbe Kinderfreibetrag gewährt werden. Bei den diesbezüglichen Darlegungen des Klägers handelt es sich um neues tatsächliches Vorbringen, das ―selbst wenn es im Rahmen des § 32 Abs. 6 EStG 1986 erheblich wäre― im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden kann, weil der Kläger dessen Nichtberücksichtigung in der Vorinstanz nicht mit durchgreifenden, rechtzeitig vorgebrachten Verfahrensrügen geltend gemacht hat (§ 118 Abs. 2 FGO).
2. Aufwendungen zur Wahrnehmung des Umgangsrechts mit den Kindern ―wie sie der Kläger geltend macht― werden nach § 33a Abs. 1 a EStG pauschal durch einen Abzug vom Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 600 DM je Kind abgegolten. Darüber hinausgehende Aufwendungen werden steuerrechtlich nicht berücksichtigt. Das BVerfG hat die Regelung des § 33a Abs. 1 a EStG als verfassungsgemäß beurteilt (Beschlüsse vom 7. Juni 1993 2 BvR 194/91, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 594, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1993, 533, und vom 2. November 1995 2 BvR 496/90, DStZ 1996, 112). Die Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen das die Streitjahre 1984 und 1985 betreffende BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 889, in dem gleichfalls die Vorschrift des § 33a Abs. 1 a EStG im Streit stand, hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 11. Oktober 1996 2 BvR 1929/96, Steuer-Eildienst 1996, 746).
Fundstellen
Haufe-Index 602773 |
BFH/NV 2001, 1110 |