Leitsatz (amtlich)
Der stille Gesellschafter einer atypischen stillen Gesellschaft haftet nicht persönlich für die Umsatzsteuerschulden der Gesellschaft.
Normenkette
AO §§ 103, 105 Abs. 1, § 113; UStG 1951 § 1 Nr. 1; EStG § 15 Nr. 2
Tatbestand
Im Verfahren vor dem BFH ist noch streitig, ob der Kläger und Revisionsbeklagte aus einer stillen Gesellschaft für Umsatzsteuer 1963 und 1964 sowie für Verspätungszuschläge 1964 gemäß § 105 Abs. 1 in Verbindung mit § 103 AO oder gemäß § 113 AO persönlich haftet.
Herr L betrieb in X eine Dreherei und Schlosserei. Auf Grund einer als "Gesellschaftsvertrag über die Errichtung einer stillen Gesellschaft" bezeichneten Vereinbarung vom ... beteiligte sich der Kläger an diesem Gewerbebetrieb mit einem "Einlagekapital" von ... DM und seiner "ganzen Arbeitskraft". Der Kläger war berechtigt, alle Bücher einzusehen und hatte spätestens am 30. April jeden Jahres Anspruch auf eine Bilanz des vergangenen Jahres. Am Gewinn sollte der Kläger zu 50 v. H. mit der Maßgabe beteiligt sein, daß der Gewinnanteil des Herrn L ... DM höher liegen sollte als der des Klägers. Weiter war vereinbart, daß der Kläger "am Gesellschaftsvermögen, am Substanzzuwachs und an dem durch Veräußerung von Anlagevermögen erzielten Gewinn" beteiligt sein sollte, am Verlust dagegen "nur mit seiner Einlage". Im "Auseinandersetzungsfalle" war eine "Auseinandersetzungsbilanz" aufzustellen, in die - mit Ausnahme des Geschäftswerts - alle Vermögensgegenstände "mit ihrem wirklichen Wert" im "Auseinandersetzungszeitpunkt" einzusetzen waren.
Der Gewerbebetrieb lief weiter unter dem Namen des Herrn L. Dieser war allein zur Geschäftsführung berechtigt. Dem Kläger oblagen die Organisation, Einteilung und Überwachung der Arbeit. Er erhielt nach einer bei den Akten befindlichen "Eidesstattlichen Versicherung" vom ... "auf den Gewinn einen wöchentlichen Vorschuß von ... DM".
Im Jahre 1964 kam es zwischen Herrn L und dem Kläger wegen der Verschuldung des Unternehmens zu Auseinandersetzungen, die zur Auflösung der stillen Gesellschaft führten.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) sah den Kläger als atypischen stillen Gesellschafter an mit der Folge, daß der Kläger bei der Einkommensteuer wegen seiner Bezüge wie ein Mitunternehmer als Gewerbetreibender behandelt wurde. Die Feststellungsbescheide 1961 bis 1963 für die Gesellschaft L-S sind rechtskräftig geworden.
Nachdem die Einziehung der betrieblichen Steuerrückstände bei der Gesellschaft ohne Ergebnis geblieben war, erließ das FA gegen den Kläger als Gesellschafter einen Haftungsbescheid über ... DM (insbesondere Lohnsteuer, Umsatzsteuer, Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten).
Nach erfolglosem Einspruch hob das Finanzgericht (FG) den Haftungsbescheid hinsichtlich der Umsatzsteuer und der darauf entfallenden Säumniszuschläge und Vollstrekkungskosten ersatzlos auf. Das FG sah eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, und zwar - in Übereinstimmung mit dem FA - eine atypische stille Gesellschaft, als gegeben an, weil der Kläger nicht bloß Geldgläubiger mit Anspruch auf Erfolgsbeteiligung gewesen sei, sondern Anspruch auf Zuteilung etwaiger bei seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft im Betriebsvermögen enthaltener stiller Reserven gehabt habe. Die getroffene Regelung lasse zwar erkennen, daß die Vertragspartner beiderseitige gesellschaftsrechtliche Bindungen nach Art einer steuerlichen Mitunternehmerschaft im Sinne des § 15 EStG gewollt hätten. Die Voraussetzungen der Haftungsvorschriften der AO seien aber nicht gegeben. Die gesamtschuldnerische Haftung der Mitglieder einer BGB-Gesellschaft könne auch ohne besondere Abrede Dritten gegenüber auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt werden, sofern eine solche Beschränkung, z. B. bezüglich der Vertretungsmacht, für Dritte bei Prüfung erkennbar sei. Dem FA habe der Vertrag vom ... vorgelegen, aus dem sich eindeutig ergeben habe, daß der Kläger keine Vertretungsmacht haben und als stiller Gesellschafter auch nicht nach außen haften sollte. Dem FA sei also erkennbar gewesen, daß der Kläger - ähnlich wie ein Kommanditist - für die Schulden der Gesellschaft nur mit seiner Einlage habe einstehen wollen. Infolgedessen hafte der Kläger nicht für die von dem Unternehmer geschuldete Umsatzsteuer des Betriebes.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht. Der Kläger sei als atypischer stiller Gesellschafter Mitunternehmer der Gesellschaft L-S im Sinne des § 15 Nr. 2 EStG gewesen und hafte wie jeder andere Mitunternehmer für die Betriebsteuern. Die Zugriffsmöglichkeit des FA ergebe sich auch über § 113 AO. Danach seien, wo Gesellschaften als solche der Besteuerung unterliegen, hinsichtlich der persönlichen Haftung der einzelnen Gesellschafter sinngemäß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts anzuwenden. Nach bürgerlichem Recht hafteten die an Personengesellschaften Beteiligten den Gläubigern grundsätzlich persönlich und unbeschränkt. Der vertretungsberechtigte Gesellschafter verpflichte im Zweifel alle Gesellschafter als Gesamtschuldner. Ausschlaggebend sei, daß die Vertretungsmacht des vertretungsberechtigten Gesellschafters L nicht beschränkt gewesen sei. Für das FA als Steuergläubiger sei es uninteressant, daß der als Haftender in Anspruch genommene Mitunternehmer S (Kläger) keine Vertretungsmacht gehabt habe. Durch den Willen, seine Haftung zu beschränken, habe der Kläger dem FA gegenüber eine Haftungsbeschränkung nicht herbeiführen können. Um dieses Ziel zu erreichen, hätte der Kläger eine andere Gesellschaftsform (z. B. die Form einer typischen stillen Gesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft) wählen müssen.
Im Laufe des Revisionsverfahrens hat das FA wegen teilweiser Bezahlung der Rückstände durch den ehemaligen Mitgesellschafter L die Haftungsforderung gegen den Kläger auf ... DM beschränkt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision hat keinen Erfolg.
FA und FG haben die Vereinigung L-S zutreffend als atypische stille Gesellschaft beurteilt. Eine solche liegt vor, wenn der stille Gesellschafter nicht bloß - wie es in den §§ 335, 336 HGB vorgesehen ist - am Gewinn (und Verlust), sondern auf schuldrechtlichem Wege auch am Gesellschaftsvermögen beteiligt wird, so daß eine echte Wertbeteiligung an der Substanz eintritt (vgl. Urteil des BGH II ZR 15/52 vom 29. November 1952, BGHZ 8, 157). Dieser Fall ist hier gegeben, weil der Kläger nach der Vereinbarung vom ... "am Gesellschaftsvermögen, am Substanzzuwachs und an dem durch Veräußerung von Anlagevermögen erzielten Gewinn" beteiligt war.
Eine persönliche Haftung des atypischen Gesellschafters für Schulden der Gesellschaft besteht indessen nicht.
Die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 in Verbindung mit § 103 AO liegen nicht vor. Bei Personenvereinigungen, die als solche steuerpflichtig sind, aber keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen, haben die Mitglieder die Pflichten zu erfüllen, die den Personenvereinigungen wegen der Besteuerung auferlegt sind. Die atypische stille Gesellschaft ist jedoch nicht als solche umsatzsteuerpflichtig, weil sie - wie der Senat schon wiederholt entschieden hat (vgl. u. a. die Urteile des BFH V 104/54 S vom 26. Mai 1955, BFH 61, 95, BStBl III 1955, 234, und V 264/59 vom 18. Oktober 1962, StRK, Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz, § 85, Rechtsspruch 25) - keine Unternehmereigenschaft besitzt. Die Bezeichnung "Mitunternehmer" in § 15 Nr. 2 EStG (Einkünfte aus Gewerbebetrieb), auf die sich das FA beruft, hat mit dem Unternehmerbegriff des Umsatzsteuerrechts nichts zu tun. "Mitunternehmer" im Sinne der genannten Vorschrift ist eine Person, für deren "Mitrechnung" und auf deren "Mitverantwortung" der Betrieb geführt wird, wobei es unerheblich ist, ob dies nach außen hin in Erscheinung tritt oder nicht (vgl. Urteil des RFH VI A 159/37 vom 14. April 1937, RStBl 1937, 683, und Paulick, Handbuch der stillen Gesellschaft, 1959, § 19 III). Dagegen kommt es für die Unternehmereigenschaft des Umsatzsteuerrechts entscheidend auf das Auftreten nach außen an (vgl. Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 10. Auflage, §§ 1 bis 3 RZ 5 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung). § 103 AO ist nicht anwendbar, weil der Kläger nicht - wie die Vorschrift voraussetzt - Mittel verwaltet, die ihn zur Entrichtung von Steuern befähigt hätten (vgl. Urteil des BFH VI 157/57 vom 22. August 1958, StRK, Reichsabgabenordnung, § 104, Rechtsspruch 3).
Aus den zu § 105 Abs. 1 AO dargelegten Gründen ist auch § 113 AO nicht anwendbar. Es kommt hinzu, daß der atypische stille Gesellschafter auch bürgerlich-rechtlich für Schulden der Gesellschaft grundsätzlich nicht haftet (§§ 113, 118 AO). Nach der Rechtsprechung und nach der überwiegenden Meinung der Rechtslehre ist auch bei der atypischen stillen Gesellschaft der Grundsatz des § 335 Abs. 2 HGB, wonach der Inhaber aus den in dem Betrieb geschlossenen Geschäften allein berechtigt und verpflichtet wird, nicht gänzlich ausgeschaltet. Die stille Gesellschaft kann sich nicht gegen den Willen der Vertragspartner automatisch in eine OHG verwandeln, so daß der stille Gesellschafter nunmehr für alle Schulden der Gesellschaft haftet (Urteil des Bundesarbeitsgerichts - BAG - 2 AZR 28/54 vom 16. März 1955, Juristenzeitung 1955 S. 582; Rasner, Die atypische stille Gesellschaft, ein Institut des Gesellschaftsrechts, 1961, Abschnitt C III 2 a, S. 129 ff.). Die Frage war lange Zeit in den Fällen streitig, in denen die wirtschaftliche Macht (Unternehmensbesitz) und Verantwortung (Unternehmensleitung) zwischen den Beteiligten dergestalt verlagert werden, daß der stille Gesellschafter der eigentliche Leiter des Unternehmens ist und die Form der stillen Gesellschaft nur dazu benutzt, sich trotz tatsächlicher Unternehmensleitung der unbeschränkten persönlichen Haftung zu entziehen (vgl. Paulick, a. a. O., § 8 II). Aber selbst dann, wenn der eigentliche Geschäftsherr und Geschäftsinhaber nur die von ihm vorgeschobene Person zur Führung seiner Geschäfte ist, hat der BGH (Urteil des BGH IV ZR 32/63 vom 6. November 1963, BB 1964, 327) die Haftung des stillen Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft verneint. Die unmittelbare Haftung des stillen Gesellschafters widerspreche der Haftungsregelung, wie sie für handelsrechtliche Gesellschaften und ihre Gesellschafter im HGB vorgeschrieben sei. Sie würde unter bestimmten Voraussetzungen zu einer gefahrvollen Aufweichung des Rechts führen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung müßte sich bei der Abgrenzung der Tatbestände in einer überaus bedenklichen Kasuistik verlieren und der Rechtssicherheit in einem unvertretbaren Umfange Abbruch tun (vgl. auch Fischer, Fragen aus dem Recht der stillen Gesellschaft, Juristische Rundschau 1962 S. 201, Abschn. 1 a, und Koenigs, Die stille Gesellschaft, 1961 S. 237 ff. und die dort angeführte Rechtsprechung und Literatur; anderer Ansicht insbesondere Schlegelberger-Geßler, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 4. Aufl., § 335 Rdnr. 51, und Paulick, a. a. O., § 8 II). Einer Vertiefung dieser Frage bedarf es nicht, weil dem Kläger keinerlei Geschäftsführungsbefugnisse zustanden und die Abweichung von dem Normalfall der stillen Gesellschaft (§§ 235 ff. HGB) im Streitfalle nur geringfügig war. Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger die an sich zulässige Abweichung bewußt dazu mißbraucht hätte, um sich auf Kosten des FA in sittenwidriger Weise Vorteile zu verschaffen, so daß aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben eine Haftung gerechtfertigt wäre, sind nicht vorhanden.
Auf die abweichende Begründung des FG für die Verneinung einer Haftung des Klägers braucht nicht eingegangen zu werden.
Die Haftung für Säumniszuschläge hat die Vorinstanz mit zutreffender Begründung abgelehnt.
Die Revision des FA war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1969, 603 |
BFHE 1969, 149 |