Entscheidungsstichwort (Thema)
Mißbräuchliche Vermietung einer Zahnarztpraxis unter Ehegatten; Entgelt bei Vermietung
Leitsatz (NV)
1. Erwirbt oder errichtet die Ehefrau eines Zahnarztes eine Praxis und vermietet sie diese an den Zahnarzt, steht ihr wegen Mißbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten auch bei Verzicht auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze kein Vorsteuerabzug zu, wenn sie den Kapitaldienst und die laufenden Aufwendungen für das Grundstück nicht aus der Miete und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und deshalb auf zusätzliche Zuwendungen ihres Ehemannes in nicht unwesentlichem Umfang angewiesen ist.
2. Entgelt für Vermietungsleistungen ist nicht nur die Nettomiete. Hierzu gehören vielmehr auch die Nebenkosten zur Miete.
Normenkette
AO 1977 § 42; UStG 1980 § 4 Nr. 14, § 10 Abs. 1, § 15 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist mit einem Zahnarzt verheiratet. Sie erwarb mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom ... einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück in ... und ließ dort im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft eine Wohnung errichten. Zur Finanzierung nahm sie ein Darlehen in Höhe von ... DM auf, das durch eine Grundschuld sowie durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft ihres Ehemannes gesichert wurde. Ferner trat ihr Ehemann an sie einen Bausparvertrag in Höhe von ... DM (angespartes Kapital: ... DM) ab.
Die Klägerin vermietete mit Vertrag vom 30. Mai 1984 die inzwischen fertiggestellte Wohnung ab 1. Juni 1984 auf zehn Jahre an ihren Ehemann zum Betrieb einer Zahnarztpraxis. Das Mietverhältnis verlängert sich jedesmal um ein Jahr, wenn es nicht spätestens sechs Monate vor Ablauf der Mietzeit gekündigt wird. Als Mietzins wurden jährlich ... DM zuzüglich Umsatzsteuer und Nebenabgaben lt. Wohngeldabrechnung vereinbart. Der Mietzins ist monatlich im voraus in Raten von je ... DM zuzüglich Nebenabgaben zu zahlen.
Die Klägerin verzichtete gegenüber dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) auf die Umsatzsteuerbefreiung der Vermietungsumsätze und beantragte die Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980. Sie machte für die Streitjahre 1982 bis 1984 die ihr für die Errichtung der Wohnung in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuerbeträge geltend (für 1984 ... DM) und erklärte für 1984 Vermietungsumsätze in Höhe von ... DM.
Nachdem das FA zunächst den Umsatzsteuererklärungen gefolgt war, erkannte es aufgrund der Ergebnisse einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung den Mietvertrag nicht mehr an. Es setzte mit Änderungsbescheiden vom 19. August 1986 die Umsatzsteuer für die Jahre 1982 bis 1984 jeweils auf 0 DM fest, für 1982 gestützt auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), für 1983 und 1984 nach § 164 Abs. 2 AO 1977.
Nachdem der Einspruch hiergegen ohne Erfolg blieb, setzte das Finanzgericht (FG) für die Streitjahre antragsgemäß folgende negative Umsatzsteuer fest: ...
Zur Begründung führte das FG im wesentlichen aus: Die Klägerin könne die ihr in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuerbeträge abziehen. Sie habe mit ihrem Ehemann einen klar vereinbarten Mietvertrag geschlossen, der der Vereinbarung entsprechend tatsächlich durchgeführt worden sei. Die Leistungsbeziehungen hielten einem Fremdvergleich stand. Die Finanzierung der Wohnung dürfe hierbei nicht berücksichtigt werden. Ein Mißbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten liege nicht vor.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 42 AO 1977.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Feststellungen des FG ermöglichen keine abschließende Entscheidung, ob der Klägerin der begehrte Vorsteuerabzug zusteht.
a) Ein Unternehmer kann die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980).
Die Klägerin war Unternehmerin (§ 2 Abs. 1 UStG 1980). Sie erbrachte durch die Vermietung der Praxis sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG 1980). Nach dem Willen der Vertragsparteien vollzog sich die Nutzungsüberlassung nicht auf familienrechtlicher Grundlage als Beitrag zur Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Die Parteien hoben vielmehr diesen Lebenssachverhalt aus den familienrechtlichen Beziehungen heraus und stellten ihn durch Abschluß eines (entgeltlichen) Mietvertrags auf eine schuldrechtliche Grundlage.
b) Zur Prüfung, ob dem Vorsteuerabzug § 42 AO 1977 entgegensteht, bedarf es weiterer Aufklärung des Sachverhalts.
aa) Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
bb) Wie der Senat im Urteil vom 16. Januar 1992 V R 1/91 (BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541) näher dargelegt hat, ist es als unangemessene Gestaltung zu beurteilen, wenn ein Unternehmer, der einen Gegenstand für sein Unternehmen benötigt und die finanziellen Mittel zur Anschaffung dieses Gegenstandes besitzt, diese finanziellen Mittel seinem Ehegatten zur Verfügung stellt, der mit diesen Mitteln den Gegenstand erwirbt, um ihn an den Unternehmer-Ehegatten zu vermieten. Der Vermieter-Ehegatte wird unter diesen Umständen gewissermaßen vorgeschaltet, um unter Vermeidung eigener Anschaffung das wirtschaftliche Ergebnis aus den Leistungsbezügen zu erzielen, obwohl der Mieter-Ehegatte die Aufwendungen wirtschaftlich so trägt, als wäre er Grundstückskäufer und Bauherr gewesen. Eine derartige Vorschaltung liegt vor, wenn der Vermieter-Ehegatte in einem überschaubaren Zeitraum vom Zeitpunkt der Vermietung an die Aufwendungen für Zins und laufende Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel und für die Bewirtschaftung des Grundstücks nicht aus der Miete (einschließlich Erstattung der Nebenkosten) und sonstigem eigenen Einkommen decken kann und sich der Mieter-Ehegatte deshalb über die Zahlung von Miete und ggf. Arbeitslohn hinaus in nicht unwesentlichem Umfang an diesen Aufwendungen beteiligen muß.
Eine solche unangemessene Gestaltung widerspricht den Wertungen des Gesetzes, wenn der Mieter-Ehegatte selbst nicht oder - wie ein Zahnarzt (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 4 Nr. 14 Sätze 1, 4 Buchst. b UStG 1980) - nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (vgl. Senatsurteil in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541).
Das FG wird Feststellungen hierzu nachzuholen haben.
2. Sollte sich ergeben, daß danach § 42 AO 1977 dem Vorsteuerabzug entgegensteht, werden ferner Feststellungen zu treffen sein zu der Frage, ob der Änderungsbescheid für 1982 zu Recht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützt wurde.
3. Ist die umsatzsteuerrechtliche Berücksichtigung des Mietverhältnisses nicht ausgeschlossen, sind für das Streitjahr 1984 Feststellungen zur Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer nachzuholen.
Entgelt für die Vermietungsleistungen ist nicht nur die Kaltmiete, sondern alles, was der Mieter aufwendet, um die Vermietungsleistungen zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980). Dazu gehören auch die Nebenkosten zur Miete (vgl. Senatsurteil vom 26. Juli 1955 V 35/55 U, BFHE 61, 155, BStBl III 1955, 258; Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 10 Rdnr. 76, Stand 1989; Hoelscher in Peter/Burhoff, Umsatzsteuer 1980, Kommentar, § 10 Rdnr. 59, Stand 1987; Verfügung der Oberfinanzdirektion Köln S 7100 - 131 - St 131 u.a. vom 11. September 1985, Umsatzsteuer-Rundschau 1986, 44). Es handelt sich hierbei beim Vermieter nicht um durchlaufende Posten i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 4 UStG 1980. Der Vermieter vereinnahmt und verausgabt die entsprechenden Beträge nicht im Namen und für Rechnung eines anderen, sondern hat selbst Anspruch auf Zahlung aus dem Mietvertrag. Anders verhält es sich bei Kosten, die der Mieter selbst unmittelbar dem Kostengläubiger schuldet.
Das FG hat in der Vorentscheidung nicht dargelegt, wie es die Umsatzsteuer für 1984 in Höhe von ... DM errechnet hat. Der Betrag ergibt sich, wenn man nach der Umsatzsteuererklärung der Klägerin für 1984 von einem steuerpflichtigen Umsatz von ... DM ausgeht (Umsatzsteuer hierauf: ... DM) und hiervon die geltend gemachten Vorsteuerbeträge in Höhe von ... DM abzieht. Bei einem Umsatz von ... DM und einer Mietdauer von sieben Monaten beträgt ein Monatsumsatz ... DM. Hierbei handelt es sich um die monatliche Nettomiete ohne Nebenabgaben.
Ferner ist ggf. zu prüfen, ob das Entgelt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 niedriger ist als die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG 1980.
Fundstellen
Haufe-Index 418555 |
BFH/NV 1994, 353 |