Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Revision nicht nur für einen der Verfahrensbeteiligten; Einschränkung des Ermessens bei Prüfungsanordnungen durch die BpO (St)
Leitsatz (NV)
1. Die Zulassung der Revision kann nicht auf einen Verfahrensbeteiligten beschränkt werden.
2. Wird eine Außenprüfung bei Stpfl. angeordnet, die einen gewerblichen oder land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalten oder die freiberuflich tätig sind, so kann das FA den sachlichen und zeitlichen Umfang der Prüfung gemäß § 196 AO 1977 nach seinem Ermessen bestimmen. Es muß dabei jedoch den Inhalt der BpO (St) vom 27. 4. 1978 (BStBl I 1978, 195) beachten, mit der die Finanzverwaltung ihrem Ermessen selbst Grenzen gesetzt hat.
Normenkette
AO 1977 § 193 Abs. 1, § 196; BpO (St) § 4 Abs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine aus drei Rechtsanwälten bestehende Sozietät. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ordnete im November 1982 bei ihr eine Betriebsprüfung für die Jahre 1979 bis 1981 an. Durch eine am Jahresende 1982 zugestellte Verfügung erweiterte das FA die Prüfung auf den Zeitraum 1975 bis 1978 (Gewinnfeststellung und Umsatzsteuer 1975 bis 1978, Einheitsbewertung des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1977). Die Beschwerde blieb erfolglos. Auf die Klage ließ das Finanzgericht (FG) die erweiterte Prüfungsanordnung nur hinsichtlich der Gewinnfeststellung 1976 und 1978 bestehen. Es ging davon aus, daß die Steuerschulden der Gesellschaft bzw. der Gesellschafter im übrigen verjährt seien und deshalb die Prüfung ergebnislos bleiben müsse. Nicht verjährt seien lediglich Einkommensteuerschulden des Gesellschafters A für 1976 und des Gesellschafters B für 1978; deshalb könne für diesen Zeitraum eine Prüfung durchgeführt werden.
Das FG hat die Revision zugunsten des FA zugelassen. Revision ist jedoch nur seitens der Klägerin eingelegt worden. Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt, die erweiterte Prüfungsanordnung auch hinsichtlich der Gewinnfeststellung 1976 und 1978 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision der Klägerin ist zulässig. Das FG hat sie zwar nur für das teilweise unterlegene FA, nicht aber für die ebenfalls teilweise unterlegene Klägerin zugelassen. Diese Beschränkung der Revision ist unwirksam. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für die ,,Rechtssache", d. h. den Streitfall im ganzen, zugelassen. Sie kann nicht auf einzelne Streitpunkte und einen Prozeßbeteiligten beschränkt werden (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Januar 1970 IV 2/65, BFHE 98, 326, BStBl II 1970, 383; vom 10. März 1981 VIII R 195/77, BFHE 133, 189, BStBl II 1981, 470; vom 13. Mai 1981 II R 167/80, BFHE 133, 450, BStBl II 1981, 649). Ausnahmen sind allenfalls denkbar, wenn sich eine Klage gegen mehrere Steuerveranlagungen in derselben oder in verschiedenen Steuerarten richtet (BFHE 98, 326, BStBl II 1970, 383). So liegen die Verhältnisse im Streitfall nicht, bei dem es um die Rechtmäßigkeit einer Prüfungsanordnung geht.
2. Auf die Revision der Klägerin muß die erweiterte Prüfungsanordnung im ganzen aufgehoben werden.
Das FG hat die Prüfungsanordnung nur hinsichtlich der Gewinnfeststellungszeiträume 1976 und 1978 bestehen lassen und Ermittlungen im Hinblick auf die noch nicht verjährte Einkommensteuer von zwei Mitgliedern der Sozietät für zulässig erklärt. Der Senat kann offenlassen, ob dem FG hierin beizutreten ist, ob ferner eine einheitliche Gewinnfeststellung durchgeführt werden kann, wenn die Feststellungen nur für einen Gesellschafter Bedeutung haben und ob bei Verneinung dieser Frage die Feststellungen der Außenprüfung gleichwohl bei der Einkommensbesteuerung des Gesellschafters berücksichtigt werden können und im Hinblick darauf die Außenprüfung durchgeführt werden kann. Die Prüfungsanordnung erweist sich nämlich bereits aus einem anderen Grund als rechtswidrig.
a) Macht das FA, wie im Streitfall, von der Prüfungsmöglichkeit des § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) Gebrauch, so kann es den sachlichen und zeitlichen Umfang der Prüfung gemäß § 196 AO 1977 nach seinem Ermessen bestimmen (BFH-Urteil vom 10. Februar 1983 IV R 104/79, BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286). Es muß dabei jedoch den Inhalt der Betriebsprüfungsordnung (Steuer) - BpO (St) - vom 27. April 1978 (BStBl I 1978, 195) beachten, mit der die Finanzverwaltung ihrem Ermessen selbst Grenzen gesetzt hat.
Mit Ausnahme einer Prüfung von Großbetrieben soll der Prüfungszeitraum danach nicht über die letzten drei Besteuerungszeiträume zurückreichen, für die bei der Bekanntgabe der Prüfungsanordnung Steuererklärungen für die Ertragsteuern abgegeben wurden (§ 4 Abs. 2 BpO (St)). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen ist. Hierzu genügt nicht bereits die Möglichkeit, daß sich solche Steuernachforderungen herausstellen. Angesichts der Komplexität der betrieblichen Vorgänge und der Besteuerungstatbestände ist diese Möglichkeit regelmäßig vorhanden. Die Ausdehnung des Besteuerungszeitraums soll nach dem Sinn des § 4 Abs. 2 BpO (St) aber die Ausnahme bleiben; damit wird der begrenzten Prüfungskapazität der Finanzverwaltung und dem Interesse des Steuerpflichtigen Rechnung getragen, von belastenden Prüfungsmaßnahmen verschont zu bleiben (BFH-Urteil vom 1. August 1984 I R 138/80, BFHE 142, 198). Mit einer Steuernachforderung ist vielmehr erst dann zu rechnen, wenn sie wahrscheinlich ist, d. h. wenn mehr Umstände für als gegen die Annahme einer solchen Nachforderung sprechen. Der Senat schließt sich darin dem Urteil in BFHE 142, 198 an. Solche Umstände können sich insbesondere aus einer bereits laufenden Außenprüfung ergeben; sie müssen in der erforderlichen Begründung der Prüfungserweiterung angegeben werden (BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286).
b) Die Prüfungsanordnung in der Fassung der vom FG herangezogenen Beschwerdeentscheidung enthält keinen Hinweis auf Umstände, die eine Steuernachforderung wahrscheinlich machen; solche Umstände hat auch das FG nicht festgestellt.
Die Beschwerdeentscheidung hat als Gründe für die Erweiterung angeführt, (1) daß den Steuererklärungen der Klägerin jeweils Gewinnermittlungen mit unterschiedlichen Ergebnissen beigefügt gewesen seien, (2) daß fraglich sei, ob geltend gemachte Zinsen der Privatsphäre zugehörten, (3) daß geprüft werden müsse, ob Aufwendungen aus einer Bürgschaftsverpflichtung überhaupt Betriebsausgaben seien, (4) daß die Umsatzsteuererklärung 1975 Unstimmigkeiten enthalte, (5) daß schließlich ungewiß sei, ob Einnahmen aus einer Testamentsvollstreckung der Umsatzsteuer unterworfen worden seien. Die Finanzbehörde ist erkennbar davon ausgegangen, daß eine Aufklärung dieser Punkte möglicherweise zu Mehrsteuern führen könne. Solche Erwägungen werden in der Regel bei der Auswahl von prüfungswürdigen Betrieben für den Prüfungsplan eines Jahres berücksichtigt; für die Erweiterung des Prüfungszeitraums genügen sie nicht. Tatsächliche Verdachtsgründe für die Verkürzung von Steuern hat die Beschwerdebehörde nicht anführen können.
Das FG ist allein auf die zu (2) angeführte Möglichkeit eingegangen, daß gezahlte Zinsen (1976: 10 044 DM, 1978: 12 531 DM) zu Unrecht als Betriebsausgaben abgezogen worden seien. Da das FA Zweifel habe, ob die Zahlungen betrieblich veranlaßt waren, erscheine die Prognose zutreffend, daß mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen sei. Damit werden jedoch die an die Prognose zu stellenden Anforderungen verkannt. Zweifel an der richtigen steuerlichen Behandlung eines Vorgangs lassen die Möglichkeit von Mehrsteuern zu, machen sie aber noch nicht wahrscheinlich.
Im Ergebnis hat das FA im Streitfall den Prüfungszeitraum durch zwei Prüfungsanordnungen von vornherein auf sieben Jahre festgelegt. Darin liegt eine Überschreitung der seinem Ermessen durch § 4 Abs. 2 BpO (St) gesetzten Grenzen und ein gemäß § 102 FGO gerichtlich nachprüfbarer Ermessensfehler, der zur Aufhebung der Prüfungsanordnung im ganzen führt.
Fundstellen
Haufe-Index 413940 |
BFH/NV 1987, 79 |