Leitsatz (amtlich)
Weist der Finanzminister eines Landes seine nachgeordneten Behörden an, in einer bestimmten Art von Einzelfällen die Hilfeleistung in Steuersachen zu untersagen, so stellt diese Anweisung noch keinen anfechtbaren Verwaltungsakt dar.
Normenkette
FGO § 40
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Interessengemeinschaft in der Form eines eingetragenen Vereins, deren satzungsmäßige Aufgabe die Hilfeleistung in Lohnsteuersachen ihrer Mitglieder (Arbeitnehmer) und deren Interessenvertretung in allen Lohnsteuerfragen ist; jedes Mitglied hat einen jährlichen Mitgliedsbeitrag zu zahlen. Der beklagte Finanzminister hat in einem von der Klägerin als "Verfügung" bezeichneten Erlaß vom 3. Januar 1966 an die ihm unterstellten (OFDen) die Auffassung vertreten, die Befugnis der Klägerin zur Hilfeleistung in Lohnsteuersachen nach § 107a Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b AO i. F. des Gesetzes vom 29. April 1964 Art. 1 Nr. 1 (BGBl I 1964, 297) umfasse nicht die Hilfeleistung in Veranlagungsfällen nach § 46 EStG. Er hat deshalb die Weisung erteilt, eine solche, über das Gesetz nach seiner Auffassung hinausgehende Tätigkeit der Klägerin zu unterbinden. Die FÄ hätten in jedem einschlägigen Einzelfall die Klägerin nach § 107 Abs. 2 AO durch eine mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Verfügung zurückzuweisen. Eine OFD wurde gebeten, ein bestimmtes FA anzuweisen, von denjenigen Einkommensteuererklärungen, bei denen die Klägerin mitgewirkt habe, drei Musterfälle der Veranlagung nach § 46 EStG auszuwählen und in ihnen durch mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Verfügungen nach § 107a Abs. 4 AO der Klägerin zu untersagen, in diesen und in gleichgelagerten Fällen Hilfe zu leisten. In einem Schreiben vom gleichen Tage an die Klägerin legte der Finanzminister nochmals seine Rechtsansicht zu den streitigen Fragen dar und unterrichtete sie über die erforderlich gewordenen Maßnahmen. Das Schreiben an die Klägerin schloß: "Ich habe die nachgeordneten Behörden entsprechend angewiesen. Eine Abschrift meines Erlasses ist beigefügt." Die Klägerin erhob gegen den Erlaß des Finanzministers vom 3. Januar 1966 beim FG Klage. Sie begehrte die Aufhebung des Erlasses (der "Verfügung"), soweit durch ihn ihre Tätigkeit beeinträchtigt werde; hilfsweise wünschte sie festzustellen, daß der Erlaß des Finanzministers den § 107a Abs. 3 Nr. 4 AO verletze und daher nicht rechtsverbindlich sei. Das FG wies die Klage als unzulässig ab, weil es an der Prozeßvoraussetzung eines "Verwaltungsakts" für eine Anfechtungsklage im Streitfall mangle; auch eine Feststellungsklage sei unzulässig.
Mit der Revision macht die Klägerin insbesondere geltend: Zu Unrecht habe das FG angenommen, es liege kein anfechtbarer Verwaltungsakt vor. Sachlich-rechtlich sei die Vorentscheidung ebenfalls unrichtig. Die Klägerin beantragt, die angefochtene Entscheidung und den Erlaß des Finanzministers aufzuheben.
Der beklagte Finanzminister führt aus: Bei seinem Erlaß vom 3. Januar 1966 habe es sich um eine verwaltungsinterne Weisung gehandelt; das FG habe daher zu Recht die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Finanzminister beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Zur Frage der Zulässigkeit der Klage:
Zutreffend hat das FG die Anfechtungsklage aus § 40 FGO für unzulässig erklärt, weil der angefochtene Erlaß des Finanzministers kein Verwaltungsakt ist (vgl. dazu auch das Urteil des BVerwG I A 6.54 vom 18. Oktober 1956, DVBl 1957, 321).
Der Begriff des Verwaltungsakts war und ist umstritten (vgl. z. B. Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 25; Franz Mayer, Staatslexikon, 8. Bd. 1963, Spalte 230). Der BGH hat in dem Urteil III ZR 194/56 vom 10. März 1958 (DVBl 1958, 868, Die Öffentliche Verwaltung 1958 S. 629) den Standpunkt vertreten, "Rundverfügungen" eines Regierungspräsidenten (Weisungen) an nachgeordnete Stellen seien Verwaltungsakte im Sinne des § 25 der Verordnung der Militärregierung Nr. 165. Dieses mithin zu einem anderen als dem im Streitfall in Betracht kommenden Gesetz ergangene Urteil ist im Schrifttum weitgehend angegriffen worden, so von Bettermann in DVBl 1958, 869, Anm. Ziff. 2; von Forsthoff im Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Bd., Allgemeiner Teil, 9. Aufl., 1966 S. 199, Anm. 1, und von Obermayer im DVBl 1968, 629/632. Wie Bettermann (a. a. O.) zutreffend dargelegt hat, trugen die Ausführungen des BGH über die Frage des Verwaltungsakts nicht die Entscheidung.
Das BVerwG hat in dem erwähnten Urteil I A 6.54 und in dem Urteil in BVerwGE 14, 84 ausgesprochen, daß eine Erklärung, die ein Verwaltungsorgan gegenüber einer anderen Behörde abgibt, in der Regel kein Verwaltungsakt ist, weil sie nicht selbst gegenüber dem Bürger einen Einzelfall regelt. Das BVerwG hat auch ausgesprochen, daß - wenn Aufsichtsbehörden den unterstellten Behörden Weisungen erteilen - im Rechtsweg anfechtbar im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG der Verwaltungsakt ist, den die ausführende Behörde auf die Weisung hin erläßt, nicht aber die Weisung selbst. Nach H. J. Wolff, Verwaltungsrecht I, 7. Aufl., 1968, § 46 I a. E., S. 297, dem der erkennende Senat folgt, ist unter dem Begriff "Verwaltungsakt" jede von einem Subjekt öffentlicher Verwaltung auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts - zu dem als ein besonderes Gebiet auch das Steuerrecht zählt - getroffene Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls zu verstehen, durch welche eine oder mehrere Personen unmittelbar betroffen ... werden. Wie H. J. Wolff (a. a. O. S. 296 und in § 46 VII b) S. 307) mit Recht darlegt, ist für das Vorliegen eines Verwaltungsakts wesentlich, daß es sich um "externe", nicht um "interne" (innerdienstliche) verwaltungsrechtliche Regelungen handelt. Deshalb sind auch die innerdienstlichen Anweisungen eines Finanzministers oder einer OFD an die unterstellten FÄ keine Verwaltungsakte.
Der Senat vermag somit der Meinung des BGH im Urteil III ZR 194/56 nicht beizutreten. Abgesehen davon, daß das Urteil des BGH zu einem anderen als dem im Streitfall anzuwendenden Gesetz ergangen ist, ist der erkennende Senat schon mit Rücksicht darauf, daß das bezeichnete Urteil des BGH nicht auf der Entscheidung der Frage, wann ein Verwaltungsakt vorliegt, beruhte, nicht genötigt, nach Art. 95 Abs. 3 GG jetziger Fassung in Verbindung mit § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (BGBl I 1968, 661) die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der in Art. 95 Abs. 1 GG genannten Gerichte einzuholen.
Diejenigen Fälle, in denen Anweisungen vorgesetzter Stellen an nachgeordnete Stellen ergehen und sie den "Amtswalter" als Person betreffen, d. h. soweit in der amtlichen Weisung eine dienstliche Weisung enthalten ist (H. J. Wolff, a. a..O., § 46 VII b) S. 307, BVerwGE 14, 84), können hier außer Betracht bleiben, da ein derartiger Fall nicht gegeben ist.
Im Streitfall hat der beklagte Finanzminister des Landes in seinem Erlaß vom 3. Januar 1966 an die ihm unterstellten OFDen die Weisung erteilt, die Tätigkeit der Klägerin - soweit sie nach seiner Auffassung über die geltenden gesetzlichen Vorschriften hinausginge - zu unterbinden. Er hat weiter Weisungen darüber gegeben, wie die FÄ zu diesem Zweck in den einzelnen Fällen zu verfahren haben werden. Er hat also entgegen den Ausführungen der Klägerin, sie nicht zurückgewiesen oder gar - wie sie meint - gegen sie ein "allgemeines Berufsverbot" ausgesprochen, sondern hat vielmehr die nachgeordneten Dienststellen innerdienstlich angewiesen, wie sie in künftigen Einzelfällen zu verfahren hätten, insbesondere auch die Fälle und den Umfang bezeichnet, in welchen und inwieweit eine Untersagung (Zurückweisung) in Zukunft zu geschehen hätte. Anfechtbare Verwaltungsakte waren somit nicht die Weisungen des Finanzministers in dem Erlaß vom 3. Januar 1966 als solche, sondern erst die auf Grund der Weisungen ergehenden Verwaltungsakte, die die Weisungen erst vorbereiteten (vgl. dazu auch H. J. Wolff, a. a. O., S. 307, drittletzter Absatz, und die bezeichnete Entscheidung des BVerwG im DVBl 1957, 321/2). Für eine auch nur teilweise auszusprechende Untersagung der Hilfeleistung der Klägerin in Steuersachen nach § 107a Abs. 4 AO i. F. des Gesetzes vom 29. April 1964 wäre im übrigen das FA, nicht der Finanzminister, zuständig gewesen. Auf die den Finanzminister selbst mit einer Untersagungsbefugnis ausstattende Vorschrift des § 107a Abs. 5 AO i. F. des Gesetzes vom 29. April 1964 hat sich der Finanzminister in seinem Erlaß vom 3. Januar 1966 nicht gestützt.
Auch unter Berücksichtigung des Schreibens des Finanzministers vom 3. Januar 1966 an die Klägerin ist die Vorentscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden. In dem Schreiben vom 3. Januar 1966 legte der Finanzminister zunächst nochmals seine Rechtsansicht zu den streitigen Fragen dar. Darin lag kein Verwaltungsakt. Ein solcher war aber auch nicht etwa deshalb gegeben, weil der Finanzminister die Klägerin gleichzeitig über die "bedauerlicherweise nun notwendig gewordenen Maßnahmen" unterrichtete; eine solche Mitteilung stellt keinen Verwaltungsakt dar. Auch die Unterrichtung der Klägerin davon, daß, soweit sie über den Rahmen dessen, was der Finanzminister nach dem Gesetz für eine befugte Hilfeleistung hielt, hinausgehen würde, sie "künftig in Einzelfällen insoweit gemäß § 107 Abs. 2 AO zurückgewiesen werden wird", d. h. daß sie insoweit von den FÄ in den einschlägigen Einzelfällen zurückgewiesen werden wird, enthielt noch keinen Verwaltungsakt. Desgleichen enthielt die Mitteilung der innerdienstlichen Weisung darüber, wie ein FA hinsichtlich dreier Musterfälle verfahren werde, keinen Verwaltungsakt. Es ist allerdings zutreffend, daß auch eine innerdienstliche Weisung ihren internen Charakter dadurch verlieren kann, daß die anweisende Behörde ihre Weisung einem Außenstehenden ausdrücklich eröffnet (vgl. Bachof, Verwaltungsakt und innerdienstliche Weisung in Laforet-Festschrift, Veröffentlichungen des Instituts für Staatslehre und Politik e. V. in Mainz, Bd. 3, Verfassung und Verwaltung in Theorie und Wirklichkeit, 1952, S. 312/313 unter c). Wie Bachof, a. a. O., mit Recht darlegt, ist aber ein Verwaltungsakt dann nicht gegeben, wenn die die Weisung mitteilende Stelle klar zum Ausdruck bringt, daß sie nur eine "Benachrichtigung" (Mitteilung) geben will. Daß der Finanzminister in dem Schreiben vom 3. Januar 1966 an die Klägerin diese nur über seine Rechtsauffassung und über die von den nachgeordneten Behörden zu treffenden Maßnahmen benachrichtigen wollte, ergibt sich besonders aus dem ersten und aus dem letzten Absatz dieses Schreibens.
Nach alledem hat die Vorentscheidung die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die Revision der Klägerin war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 68557 |
BStBl II 1969, 470 |
BFHE 1969, 426 |