Entscheidungsstichwort (Thema)
Freistellungsbescheid bei zu Unrecht einbehaltener Einkommensteuer nach § 50a Abs. 4 EStG; Künstler kann auch bei Mithilfe von Angestellten freiberuflich tätig sein
Leitsatz (NV)
1. Ist für Rechnung eines beschränkt Steuerpflichtigen Einkommensteuer nach § 50a Abs. 4 EStG zu Unrecht einbehalten worden, so kann er Erstattung auf der Grundlage eines Freistellungsbescheides verlangen.
2. Ein Künstler kann auch dann eine freiberufliche Tätigkeit ausüben, wenn er sich dabei der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient.
Normenkette
AO 1977 § 37; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 50a Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger hat seinen Wohnsitz im Ausland. Er leitet ein Tanzensemble. Die Ensemblemitglieder sind bei ihm angestellt. Sein Auftraggeber behielt Steuerabzugsbeträge nach § 50a Abs. 4 EStG ein und führte sie an das FA ab. Der Kläger begehrt ihre Erstattung mit der Begründung, es lägen nicht Einkünfte aus selbständiger Arbeit, sondern Einkünfte aus Gewerbebetrieb vor, für die ein Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG nicht vorgenommen werden dürfe.
Mit seiner Klage hatte er keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Die Klage ist ohne Durchführung eines Vorverfahrens zulässig, weil die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erfüllt sind.
1. Der Schuldner der Vergütungen i.S. des § 50a Abs. 4 EStG hat den Steuerabzug für Rechnung des beschränkt steuerpflichtigen Gläubigers (Steuerschuldner) vorzunehmen und die einbehaltene Steuer an das FA abzuführen (§ 50a Abs. 5 Sätze 2 und 3 EStG). Ist dies ohne rechtlichen Grund geschehen (vgl. § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -), kann der Steuerschuldner auf der Grundlage eines Freistellungsbescheids die Erstattung der abgeführten Steuer verlangen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Juni 1984 I R 283/81, BFHE 142, 35, BStBl II 1984, 828).
Nach § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ist durch Steuerbescheid über die volle oder teilweise Freistellung von einer Steuer zu entscheiden. (vgl. BTDrucks VI/1982 zu § 136, S. 145; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 155 AO 1977 Anm. 3; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl. 1983, § 155 AO 1977 Anm. 4). Ein solcher Freistellungsbescheid - als Grundlage für eine Erstattung (§§ 218, 37 AO 1977) - käme in Betracht, wenn der Kläger mit Erfolg geltend machen würde, er sei mit ihm zuzurechnenden Einkünften nicht (beschränkt) steuerpflichtig, weshalb keine Einkommensteuer als Abzugsteuer zu erheben gewesen sei.
2. Der Kläger begehrt - neben der Aufhebung des angefochtenen Bescheids vom 15. November 1977 - die Feststellung, daß seine Einkünfte aus der streitigen Veranstaltung als Einkünfte aus Gewerbebetrieb in der Bundesrepublik Deutschland nicht steuerpflichtig seien. Der Senat legt den Klageantrag, dessen Zulässigkeit hinsichtlich des Feststellungsbegehrens zweifelhaft wäre (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO), dahin aus, daß der Kläger die Verurteilung des FA zum Erlaß eines - vom FA abgelehnten - Freistellungsbescheids begehrt.
3. Diese Klage ist eine Verpflichtungsklage, wenngleich sie auch gegen den die Freistellung ablehnenden Verwaltungsakt gerichtet ist. Das Wesen der vorliegenden Klage wird nicht durch den Antrag auf Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsakts bestimmt, sondern durch den begehrten gerichtlichen Ausspruch über die Verpflichtung zur Freistellung (vgl. BFH-Urteil vom 9. November 1983 II R 71/82, BFHE 140, 13, BStBl II 1984, 446). Damit ist die Verpflichtungsklage auf Erlaß eines abgelehnten, mit Einspruch anfechtbaren Bescheids gerichtet (§ 348 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977). Diese Klage war ohne Durchführung eines Vorverfahrens zulässig (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Januar 1985 GrS 1/83, BFHE 143, 112, BStBl II 1985, 303).
II. Das FA ist nicht verpflichtet, einen Freistellungsbescheid zu erteilen. Das FG hat zu Recht entschieden, daß die streitigen Einkünfte des Klägers dem Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 Satz 1 Buchst. a EStG unterliegen. Der Kläger hat unter Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte im Inland eine selbständige (künstlerische) Tätigkeit ausgeübt (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 2 und 3, § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG).
1. Die vom Kläger herangezogene und in einer Sache des Klägers ergangene Entscheidung in BFHE 107, 288, BStBl II 1973, 134 geht davon aus, daß die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalles darüber entscheiden, ob der Leiter eines Klangkörpers eine eigene künstlerische Leistung erbringt. Die Abgrenzung zwischen freiberuflicher und gewerblicher Tätigkeit liegt weitgehend auf dem Gebiet der Tatsachenwürdigung (vgl. BFH-Urteile vom 25. Oktober 1963 IV 373/60 U, BFHE 77, 750, BStBl III 1963, 595; vom 4. Oktober 1966 I 249/63, BFHE 86, 802, BStBl III 1966, 685). Der Senat ist, da der Kläger keine Verfahrensrügen vorgebracht hat, an die Tatsachenwürdigung durch das FG gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), und zwar auch dann, wenn das vom FG gefundene Ergebnis nicht zwingend, sondern nur möglich ist (vgl. BFH-Urteil vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522).
2. Das FG konnte zu der Auffassung gelangen, daß der Kläger mit seinem Ensemble im Streitfall eine eigene künstlerische Leistung erbracht hat. Daß die Tätigkeit des Ensembles im ganzen künstlerischen Charakter hat, ist zwischen den Beteiligten offenbar nicht streitig (vgl. auch BFH-Urteil vom 19. August 1982 IV R 64/79, BFHE 136, 474, BStBl II 1983, 7).
a) Das FG geht zutreffend davon aus, daß sich ein Künstler der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedienen kann (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 2 und 3 EStG), wenn auch im Hinblick auf die Eigenart der künstlerischen Betätigung unter - gegenüber anderen freiberuflichen Tätigkeiten - engeren Voraussetzungen (vgl. BFH-Urteil vom 2. Dezember 1980 VIII R 32/75, BFHE 132, 77, BStBl II 1981, 170).
Nach den Feststellungen des FG konzipiert der Kläger die Aufführungen des Ensembles, indem er eigene Stücke komponiert oder die Kompositionen anderer Komponisten - evtl. nach eigener Überarbeitung - auswählt. Teile des Auftritts, die von Angestellten des Klägers stammen, müssen mit dem Kläger abgesprochen und nach seinen Vorstellungen in das Programm eingefügt werden. Dieses wird vom Kläger einstudiert und von ihm als musikalischem Leiter zur Aufführung gebracht. Die spezielle Art seiner Musik wird vom Kläger seit über zwei Jahrzehnten - bei wechselnden Mitgliedern des Ensembles - dargeboten. Diese Feststellungen ermöglichen die Folgerung des FG, der Kläger habe - unter Mithilfe der übrigen Ensemblemitglieder - aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich eine künstlerische Leistung erbracht (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG).
b) Die Hinweise der Revision auf die Entscheidung in BFHE 107, 288, BStBl II 1973, 134 greifen nicht durch.
aa) In dieser Entscheidung (unter 3.) ging es darum, daß der Kläger zur Aufzeichnung und Verwertung in Fernsehproduktionen fertige im Ausland ausgearbeitete und einstudierte Programme überlassen und die mit ihrer Erstellung zusammenhängenden Urheber- und Verlagsrechte übertragen hatte. Der Senat sah in dieser Tätigkeit eine Verwertung selbständiger Arbeit, die der Kläger selbst nicht bewirkt habe, und zwar nicht nur bezüglich der Darbietungen ensemblefremder Künstler, sondern auch für die Darbietungen der Mitglieder seines Orchesters. Ein derartiger Sachverhalt liegt im Streitfall nicht vor. Der Kläger verwertete keine - eigene oder fremde - selbständige Arbeit, sondern er übte eine solche Arbeit mit einem Ensemble in der umstrittenen Veranstaltung im Inland aus.
bb) Eine Gewerblichkeit der Betätigung des Klägers folgt auch nicht daraus, daß das Programm im Ausland erarbeitet und unter Einatz technischer Apparate für Klang- und Beleuchtungseffekte aufgeführt wurde. Es liegt in der Natur der Sache, daß eine künstlerische Darbietung ausgearbeitet und einstudiert werden muß und daß für den Auftritt eines Orchesters ein gewisser technischer Aufwand erforderlich ist. Auch insoweit ist die Würdigung des FG nicht zu beanstanden.
cc) Der Kläger kann auch nicht unter Hinweis auf das Urteil in BFHE 107, 288, BStBl II 1973, 134 (unter 5.) eine gewerbliche Betätigung damit begründen, daß seine künstlerische Leistung in seiner kaufmännischen und organisatorischen Leistung untergehe. Ginge die künstlerische Leistung und der maßgebliche gestalterische Einfluß des Klägers in diesem Sinne unter, könnte keine leitende und eigenverantwortliche (künstlerische) Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Halbsatz 2 EStG angenommen werden. Diese hat das FG aber - wie vorstehend erörtert - aufgrund einer nicht zu beanstandenden Würdigung der Tatsachen bejaht.
Fundstellen
Haufe-Index 414027 |
BFH/NV 1985, 17 |