Entscheidungsstichwort (Thema)
Kinderheim als Gewerbebetrieb
Leitsatz (NV)
1. Das Betreiben eines Kinderheims ist eine erzieherische Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn die auswärtige Unterbringung in erster Linie zum Zweck einer planmäßigen körperlichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen erfolgt und die erzieherische Tätigkeit der Gesamtleistung des Heims das Gepräge gibt.
2. Zur Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1; EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) unterhält ein Kinderkurheim. Sie nimmt jährlich nacheinander etwa acht Kindergruppen für etwa 36 bis 48 Tage auf. Die Kinder werden von öffentlichen Körperschaften (Gemeinden, Landkreisen) ausgewählt.
Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Tätigkeit der Klägerin für die Jahre 1965 und 1966 als eine freiberufliche im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anerkannt hatte, beurteilte er sie für die Streitjahre 1967 bis 1973 als eine gewerbliche. Der Einspruch gegen die Gewerbesteuermeßbescheide hatte keinen Erfolg.
Mit der Klage machte die Klägerin geltend, daß sie tatsächlich eine erzieherische Tätigkeit ausgeübt habe und deshalb nicht gewerbesteuerpflichtig sei.
Das Finanzgericht (FG) minderte die Gewerbeerträge der Streitjahre um die begehrten Gewerbesteuerrückstellungen; im übrigen wies es die Klage ab. Die Tätigkeit der Klägerin sei eine gewerbliche und keine erzieherische gewesen, weil die Kinder in der Mehrzahl nicht aus erzieherischen Gründen zur Heimunterbringung ausgewählt worden seien.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sie beantragt sinngemäß, das angefochtene FG-Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 1. April 1976 und die Gewerbesteuermeßbescheide 1967 bis 1973 vom 4. Februar 1970, 12. Februar 1973, 30. April 1974 und 11. Juli 1974 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das Betreiben eines Kinderheims ist nur dann insgesamt keine gewerbliche, sofern eine erzieherische (nicht gewerbesteuerpflichtige) Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn die auswärtige Unterbringung in erster Linie zum Zweck einer planmäßigen körperlichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen erfolgt und die freiberufliche Tätigkeit der Gesamtleistung des Heims das Gepräge gibt (ständige Rechtsprechung, siehe z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 25. April 1974 VIII R 229/71, BFHE 112, 499, BStBl II 1974, 553; vom 27. Juni 1974 IV R 204/70, BFHE 114, 95, BStBl II 1975, 147, und vom 9. April 1975 I R 107/73, BFHE 115, 379, BStBl II 1975, 610). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist dies weniger aus der Sicht der Heimleitung als vielmehr aus der Sicht der versendenden Stellen zu beurteilen. Erfolgt die Auswahl der Kinder für einen Aufenthalt im Heim der Klägerin aus Gründen der physischen oder psychischen Erholung, so führt die entgeltliche Aufnahme selbst dann zu gewerblichen Einkünften, wenn die Heimleitung über sozialpädagogische Fachkenntnisse verfügt und die allgemeine erzieherische Betreuung besonders intensiv gestaltet (BFHE 115, 379, BStBl II 1975, 610).
Das FG ist bei seiner Entscheidung, daß die Betätigung der Klägerin einen Gewerbebetrieb darstellt, von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Nach den für den erkennenden Senat bindenden Tatsachenfeststellungen und -würdigungen (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) handelt es sich im Streitfall nicht um ein in Ausübung eines freien Berufs betriebenes Kinderheim, sondern um einen Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes - GewStG -). Die Bindung besteht für das Revisionsgericht nur dann nicht, wenn die verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommenen Feststellungen und Würdigungen auf Verstößen gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze beruhen; demnach tritt die Bindungswirkung also auch ein, wenn die Gesamtwürdigung des FG zwar nicht zwingend, aber möglich ist (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 1. April 1971 IV R 195/69, BFHE 102, 85, BStBl II 1971, 522).
Das FG ist aufgrund der von ihm erhobenen Beweise zu der Überzeugung gelangt, daß weniger als die Hälfte der in das Kinderheim der Klägerin entsandten Kinder aus erzieherischen Gründen von den Entsendestellen ausgewählt worden seien. Es hat dies im wesentlichen aus den Auskünften der Entsendestellen und aus dem Umstand geschlossen, daß diese lediglich aufgrund der §§ 36 und 37 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) tätig geworden seien. Bei seiner Entscheidung, daß die Tätigkeit der Klägerin eine gewerbliche sei, hat das FG auch berücksichtigt, daß die Aufenthaltsdauer von sechs bis sieben Wochen für einen Erholungszweck spreche und daß für alle Kinder - also auch für diejenigen, die nach Auffassung der Klägerin aus erzieherischen Gesichtspunkten in ihrem Heim untergebracht worden seien - ein gleich hoher Tagessatz gezahlt worden sei. Diese vom FG vorgenommene Sachverhaltswürdigung ist nicht denkgesetzwidrig. Die von ihm gezogenen Schlußfolgerungen sind möglich und deshalb nicht zwingend falsch. Sie widersprechen auch nicht allgemeinen Erfahrungssätzen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin mit der Revision vorgetragenen Einwänden. Insbesondere kann entgegen ihrer Auffassung nicht daraus, daß den Entsendestellen die Unterlagen, aus denen sie die Gründe für die Entsendung der Kinder entnehmen konnten, nicht mehr vollständig vorgelegen haben, gefolgert werden, daß die auf die noch vorhandenen Unterlagen gestützte Annahme des FG zwingend falsch war, die Kinder seien überwiegend nicht aus erzieherischen Gründen in dem Kinderheim der Klägerin untergebracht worden. Ebenso muß die Beurteilung des FG, daß aus der Kurdauer und aus der gleichen Höhe des Tagessatzes für alle Kinder ohne Rücksicht auf die Unterbringungsgründe Schlüsse gegen die Freiberuflichkeit der Betätigung der Klägerin gezogen werden können, als möglich im Sinne der Denkgesetze angesehen werden.
2. Auch die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen sind nicht begründet.
Soweit die Klägerin geltend macht, daß das FG ihr keine Gelegenheit gegeben habe, die Besonderheiten ihrer Tätigkeit darzulegen und ihre Ausführungen unter Beweis zu stellen, obwohl sie dies in der mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 1979 beantragt habe, kann darin keine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs gesehen werden. Von einer Versagung des rechtlichen Gehörs kann im Streitfall keine Rede sein. Nach der Durchführung des aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 1979 ergangenen Beweisbeschlusses ist die Sache erneut am 2. April 1980 vor dem Berichterstatter erörtert worden. Der Klägerin war damit ausreichend Gelegenheit gegeben, die Sach- und Rechtslage aus ihrer Sicht vorzutragen und Anträge zu stellen.
Hinsichtlich der übrigen Verfahrensrügen wird von einer Begründung gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 60782 |
BFH/NV 1986, 358 |