Orientierungssatz
1. NV: Bei der Überlassung von Arbeitnehmern aufgrund von Arbeitnehmergestellungsvereinbarungen ist steuerrechtlich in der Regel davon auszugehen, daß kein Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers zum „Entleiher” der Arbeitskräfte begründet wird, wenn vertragliche Beziehungen nur zwischen dem „Verleiher” und dem „Entleiher” hergestellt werden und die tatsächlichen Beziehungen zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer sich nicht ändern (vgl. Urteil des BFH vom 5. Oktober 1977 I R 90/75). Werden Verpflichtungen ausgeschlossen, die sich aus dem Arbeitsverhältnis normalerweise ergeben, kann dies nicht gegen die Arbeitgebereigenschaft angeführt werden, wenn diese Verpflichtungen nicht von dem als Arbeitgeber in Betracht Kommenden übernommen werden. Auf die Nichtabführung der Lohnsteuer kann für den steuerrechtlichen Arbeitgeberbegriff nicht abgestellt werden, wenn gerade dieser eine der Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer bildet.
2. NV: Ist eine Person deshalb als ständiger Vertreter (§ 13 AO 1977) einer britischen Kapitalgesellschaft anzusehen, weil sie im Inland deren Geschäfte besorgt, indem sie die für die Lohnzahlung an die im Inland beschäftigten britischen Arbeitnehmer erforderlichen Beträge von den Bankkonten abhebt, und an die Arbeitnehmer auszahlt, so ist die Gesellschaft inländischer Arbeitgeber, weil sie eines der Anknüpfungsmerkmale der §§ 8 bis 13 AO 1977 erfüllt. Nicht entscheidend ist, ob die Gesellschaft in der Bundesrepublik über eine Betriebstätte i.S. des DBA GBR verfügt; denn dieser Betriebstättenbegriff gilt nur für Zwecke des Abkommens, in dem jedoch keine Vereinbarungen über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer enthalten sind. Ohne Vorlage einer Freistellungsbescheinigung (§§ 39b, 39d EStG) darf der Arbeitgeber nicht von der Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer absehen. Er kann sich auch nicht unmittelbar auf eine vom Antrag des Arbeitnehmers abhängige Steuerbefreiung nach dem DBA GBR berufen (vgl. BFH-Rechtsprechung).
3. NV: Das FG kann die Feststellungen in einem Landgerichtsurteil verwerten, wenn den Beteiligten bekannt war, daß das FG dieses Urteil heranzog, nachdem sich die Beteiligten zunächst mit dem Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluß des Verfahrens bzw. bis zum Ergehen einer Entscheidung in dem Strafverfahren einverstanden erklärt haben (vgl. BFH-Urteil vom 9.3.1971 II R 94/67).
4. NV: In einem Haftungsbescheid nach § 42d EStG müssen dann nicht die einzelnen Steuerschuldner (Arbeitnehmer) und die einzelnen Steuerschulden genannt werden, wenn es aufgrund einer Unterlassung des Arbeitgebers nicht möglich ist, die Namen der Arbeitnehmer, die einen lohnsteuerlichen Vorteil erlangt haben, festzustellen (vgl. BFH-Rechtsprechung).
5. NV: Im Rahmen einer Schätzung (hier: von Lohnsteuerabzugsbeträgen) gilt nicht der Grundsatz „Im Zweifel zugunsten des Angeklagten” (vgl. BFH-Urteil vom 10.10.1972 VII R 117/69).
6. NV: Der Arbeitgeber (hier: eine ausländische Kapitalgesellschaft) muß etwaige Zweifel, ob er zur Einbehaltung von Lohnsteuer verpflichtet ist, durch eine Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG klären lassen (vgl. BFH-Urteil vom 5.10.1977 I R 90/75). Unterläßt er dies, kann er sich nicht auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum berufen.
7. NV: Ein Verständigungsverfahren aufgrund eines DBA berührt nicht das gerichtliche Verfahren, das die Aussetzung der Vollziehung betrifft; denn in diesem Verfahren wird nicht endgültig über das Bestehen eines Abgabenbetrages entschieden.
8. NV: Zahlungen des in Anspruch genommenen Haftungsschuldners führen allein nicht zu einer Änderung des angefochtenen Haftungsbescheids. Denn bei dessen Aufhebung in Höhe der geleisteten Zahlung könnte der Haftungsschuldner die geleistete Zahlung zurückfordern, ohne daß entschieden werden müßte, ob der Haftungsbescheid in seiner ursprünglichen Form zu Recht erging.
Normenkette
EStG § 38 Abs. 1, §§ 42d, 39 Abs. 3 S. 4, § 39b Abs. 6, § 49 Abs. 1 Nr. 4, § 42e; AO 1977 §§ 12-13, 162, 191; FGO § 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 69 Abs. 3; DBA GBR Art. II Abs. 2 Buchst. L; DBA GBR Art. XVIII A Abs. 4
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 12.06.1986; Aktenzeichen XII V 15/85) |
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) trat im Inland als Verleiherin britischer Arbeitnehmer an deutsche Auftragsnehmer des Bauhaupt- und Baunebengewerbes auf. Ihre Interessen wurden vom 1.August 1982 bis zum 28.Juni 1983 u.a. von dem britischen Staatsbürger A wahrgenommen. Dieser wurde am 28.Juni 1983 verhaftet; seine Wohnung wurde durchsucht. Aufgrund der dabei und im Verlauf der weiteren Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse gelangte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) zu der Auffassung, daß A von seiner Wohnung aus die Geschäfte der Antragstellerin betrieben habe, indem er insbesondere mit den deutschen Entleihfirmen Verträge abgeschlossen, diesen Rechnungen ausgestellt, das Inkasso betrieben und den englischen Arbeitnehmern im Inland Löhne ausbezahlt habe, ohne daß hierbei Lohnsteuern einbehalten und abgeführt worden wären. Wegen dieses Sachverhalts erließ das FA unter dem 11.November 1983 einen Lohnsteuerhaftungsbescheid gegen die Antragstellerin in Höhe von … DM „z.Hd. d. ständigen Vertreters Herrn A”, den es durch Bescheid vom 23.Dezember 1983 wieder zurücknahm. Am gleichen Tage erließ es –nachdem es die Antragstellerin vergeblich zur Bestellung eines inländischen Bevollmächtigten gemäß § 123 der Abgabenordnung (AO 1977) aufgefordert hatte– den streitbefangenen, auf § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG) gestützten Haftungsbescheid über insgesamt … DM. Die Summe war in der Anlage zu dem Haftungsbescheid auf die einzelnen Monate aufgegliedert. Der Einspruch der Antragstellerin wurde als unbegründet zurückgewiesen. Gleichzeitig mit der von ihr erhobenen Klage beantragte sie, die Vollziehung des strittigen Haftungsbescheids auszusetzen. Sie beantragte ferner, soweit die Aussetzung der Vollziehung gewährt werde, die Verwirkung von Säumniszuschlägen bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung über den Aussetzungsantrag aufzuheben.
Das Finanzgericht (FG) setzte die Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids in Höhe von … DM aus und wies im übrigen die Anträge zurück. Der Beschluß des FG ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1986, 542 auszugsweise veröffentlicht.
Gegen den Beschluß des FG hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist teilweise begründet. Der Beschluß des FG wird insoweit aufgehoben, als das FG es abgelehnt hat, die Verwirkung der Säumniszuschläge, die auf den Betrag von … DM entfallen, aufzuheben. Die Verwirkung der auf den Betrag von … DM entfallenden Säumniszuschläge wird aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
1. Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids
Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs.3 i.V.m. Abs.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids bestehen nicht. Nach den vom FG festgestellten Umständen kann bei der gebotenen summarischen Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß die Antragstellerin zu Recht in Höhe von … DM in Anspruch genommen wurde, für die das FG den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ablehnte.
1.1. Das FA war nicht deswegen an dem Erlaß des strittigen Haftungsbescheides gehindert, weil es bereits unter dem 11.November 1983 einen Lohnsteuerhaftungsbescheid über einen geringeren Betrag erlassen hat. Dieser Haftungsbescheid ist nicht wirksam geworden. Er wurde der Antragstellerin nicht bekanntgegeben (§ 124 Abs.1 Satz 1 AO 1977). Die Bekanntgabe an A ist nicht der Bekanntgabe an die Antragstellerin gleichzustellen. A war nicht Zustellungsbevollmächtigter der Antragstellerin.
1.2. Die Antragstellerin haftet gemäß § 42d Abs.1 Nr.1 EStG jedenfalls in Höhe von … DM wegen nicht einbehaltener und abgeführter Lohnsteuer.
1.2.1. Die Antragstellerin hatte als inländischer Arbeitgeber i.S. des § 38 EStG Lohnsteuer von den an die in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) tätigen Arbeitnehmer bezahlten Beträgen Lohnsteuer einzubehalten (§ 38 Abs.3 EStG) und an das Betriebsstätten-FA abzuführen (§ 41a Abs.1 Nr.2 EStG).
1.2.2. Die Antragstellerin war Arbeitgeber der Personen, an die die Bezüge ausbezahlt wurden, für die sie wegen der nichteinbehaltenen abgeführten Lohnsteuer in Anspruch genommen wurde. Nach der Rechtsprechung ist bei der Überlassung von Arbeitnehmern aufgrund von Arbeitnehmergestellungsvereinbarungen steuerrechtlich in der Regel davon auszugehen, daß kein Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers zum „Entleiher” der Arbeitskräfte begründet wird, wenn vertragliche Beziehungen nur zwischen dem „Verleiher” und dem „Entleiher” hergestellt werden und die tatsächlichen Beziehungen zwischen dem Verleiher und dem Arbeitnehmer sich nicht ändern (Urteil des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 5.Oktober 1977 I R 90/75, BFHE 124, 29, BStBl II 1978, 205, m.w.N.). Dem stehen die Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts B, soweit sie sich auf die unerlaubte Arbeitsvermittlung beziehen, nicht entgegen. Danach bestanden zwischen der Antragstellerin und den Arbeitnehmern keine arbeitsrechtlichen Beziehungen; die Antragstellerin hatte vielmehr unerlaubt Arbeitnehmer vermittelt (vgl. § 18 Abs.1 Satz 2 und § 23 Abs.1 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes –AFG– vom 25.Juni 1969, BGBl I, 582). Hierbei hielt das Landgericht für entscheidend, daß die Antragstellerin die Lohnsteuer und Sozialabgaben nicht ordnungsgemäß abführte und kein Arbeitgeberrisiko trug, da sie mit den Arbeitern befristete Verträge abschloß und bei Nichtbeschäftigung nur geringe und bei Krankheit gar keine Zahlungen leistete. Außerdem seien vielfach Arbeiter bei den deutschen Firmen verblieben, während ihre „Entleiher” wechselten. Entscheidend für die steuerliche Handhabung ist, daß vertragliche Beziehungen zwischen der Antragstellerin und den Arbeitnehmern einerseits und der Antragstellerin und den deutschen Firmen andererseits bestanden und die Löhne von der Antragstellerin getragen wurden. Dies gilt auch, soweit die deutschen Firmen die Arbeitnehmer selbst bezahlten; denn die Auszahlung wurde nur für Rechnung der Antragstellerin geleistet. Werden Verpflichtungen ausgeschlossen, die sich aus dem Arbeitsverhältnis normalerweise ergeben, kann dies nicht gegen die Arbeitgebereigenschaft angeführt werden, wenn diese Verpflichtungen nicht von dem als Arbeitgeber in Betracht Kommenden übernommen werden. Gerade dies war hier der Fall; denn den deutschen Beschäftigungsfirmen kam es darauf an, mit diesen Verpflichtungen nicht belastet zu sein. Auf die Nichtabführung der Lohnsteuer kann für den steuerlichen Arbeitgeberbegriff nicht abgestellt werden, wenn gerade dieser eine der Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer bildet.
1.2.3. Nach § 38 Abs.1 Satz 1 EStG gilt u.a. als inländischer Arbeitgeber, wer im Inland eines der Anknüpfungsmerkmale der §§ 8 bis 13 AO 1977 erfüllt. Es kommt nicht darauf an, ob die Antragstellerin in der Bundesrepublik eine Betriebsstätte unterhielt; denn bei der gebotenen summarischen Betrachtung ist davon auszugehen, daß A ständiger Vertreter der Antragstellerin i.S. des § 13 AO 1977 in dem Zeitraum zwischen dem 1.August 1982 und dem 28.Juni 1983 war. Ständiger Vertreter ist nach § 13 Satz 1 AO 1977 eine Person, die nachhaltig die Geschäfte eines Unternehmers besorgt und dessen Sachweisungen unterliegt. A besorgte die Geschäfte der Antragstellerin, indem er die für die Lohnzahlung an die Arbeitnehmer erforderlichen Beträge von den Bankkonten der Antragstellerin in B abhob und an die Arbeitnehmer auszahlte. Er unterlag den Sachweisungen der Antragstellerin. A führte nach den Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts B die Geschäfte der Antragstellerin entsprechend den Vorstellungen des Gesellschafters C der Antragstellerin.
Das FG konnte die Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts B verwerten. Den Beteiligten war bekannt, daß das FG das Urteil des Landgerichts heranzog, nachdem sich die Beteiligten zunächst mit dem Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluß des Verfahrens bzw. bis zum Ergehen einer Entscheidung in dem Strafverfahren einverstanden erklärt haben (vgl. BFH-Urteil vom 9.März 1971 II R 94/67, BFHE 102, 207, BStBl II 1971, 597). Nicht entscheidend ist, ob die Antragstellerin in der Bundesrepublik über eine Betriebsstätte i.S. des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26.November 1964 –DBA-Großbritannien– (BGBl II 1966, 359) i.d.F. des Revisionsprotokolls vom 23.März 1970 (BGBl II 1971, 46) verfügte (vgl. Art.II Abs.1 Buchst.l -(ii)- und -(iv)-). Der Betriebsstättenbegriff in dem DBA gilt nur für Zwecke des Abkommens. In diesem sind jedoch keine Vereinbarungen über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer enthalten (vgl. BFH-Urteile vom 5.Oktober 1977 I R 90/75, BFHE 124, 29, BStBl II 1978, 205, und vom 26.November 1986 I R 256/83, amtlich nicht zur Veröffentlichung bestimmt).
1.2.4. Das DBA-Großbritannien steht der Haftung der Antragstellerin nicht entgegen. Die Antragstellerin durfte ohne Vorlage einer Bescheinigung des Betriebs-FA, wonach die gezahlten Arbeitslöhne von der Lohnsteuer freizustellen sind, nicht von der Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer absehen. Soweit die Arbeitnehmer unbeschränkt steuerpflichtig waren, ergibt sich dies aus § 39b Abs.6 EStG; für die beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer aus § 39d Abs.3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs.6 EStG. Der Senat kann offenlassen, ob eine Einbehaltungs- und Abführungsverpflichtung auch dann nur gegen die Vorlage einer Bescheinigung i.S. des § 39b Abs.6 EStG entfällt, wenn der Arbeitslohn nach einem DBA in der Bundesrepublik nicht steuerpflichtig ist. Denn das DBA-Großbritannien läßt einen Steuerabzug im Quellenstaat auch dann zu, wenn die Bezüge nur in dem anderen Staat besteuert werden können (vgl. Art.XVIII A Abs.4 DBA-Großbritannien). Es sieht lediglich eine Erstattung der einbehaltenen Steuern auf Antrag des Empfängers der Einkünfte vor, soweit die betreffenden Einkünfte nach dem Abkommen von der Steuer im Quellenstaat befreit sind. Die Antragstellerin kann sich nicht unmittelbar auf eine derartige Steuerbefreiung berufen (vgl. BFH-Urteile vom 26.November 1986 I R 256/83, amtlich nicht zur Veröffentlichung bestimmt, sowie vom 22.Oktober 1986 I R 261/82, BFHE 148, 143).
Es kommt damit nicht darauf an, ob der Bundesrepublik nach Art.XI Abs.2 DBA-Großbritannien das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Arbeitslöhne zusteht. Offenbleiben kann auch, ob die Voraussetzungen des Art.II Abs.2 DBA-Großbritannien vorliegen, wonach ein Besteuerungsrecht der Arbeitslöhne durch die Bundesrepublik auch dann möglich ist, wenn dieser nach Art.XI DBA-Großbritannien an sich kein Besteuerungsrecht zustünde.
1.2.5. Die Antragstellerin konnte in Höhe von … DM in Anspruch genommen werden.
Zwar müssen in dem Haftungsbescheid nach § 42d EStG grundsätzlich die einzelnen Steuerschuldner (Arbeitnehmer) und die einzelnen Steuerschulden genannt werden (BFH-Urteile vom 7.Dezember 1984 VI R 164/79, BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164, und VI R 72/82, BFHE 142, 494, BStBl II 1985, 170). Das FA (§ 162 AO 1977) und die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit (§ 96 Abs.1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO 1977) müssen eine derartige Aufgliederung jedoch dann nicht vornehmen, wenn es aufgrund einer Unterlassung des Arbeitgebers nicht möglich ist, die Namen der Arbeitnehmer, die einen lohnsteuerlichen Vorteil erlangt haben, festzustellen (vgl. Urteil in BFHE 142, 483, BStBl II 1985, 164). Im Streitfall konnten genaue Feststellungen darüber, wie lange jeder Arbeitnehmer in der Bundesrepublik war und wieviel er verdiente, nicht getroffen werden. Die individuellen Daten der einzelnen Arbeitnehmer (Steuerklasse, Alter, Familienstand und Kinderzahl) waren dem FA nicht bekannt. Die Ermittlung der angeführten Grundlagen für die Errechnung der individuellen Steuerschulden ist nicht möglich bzw. nicht zumutbar, da davon auszugehen ist, daß viele Arbeitnehmer nach Großbritannien zurückgekehrt sind. Auf die in dem Zeitraum vom 1.Januar 1983 bis zum 25.Juni 1983 umfassende Zusammenstellung kann sich die Antragstellerin nicht berufen. Abgesehen davon, daß sich aus der Zusammenstellung die individuellen Verhältnisse der einzelnen Arbeitnehmer nicht ergeben, hat die Zusammenstellung aus den vom FG dargestellten Gründen keine Beweiskraft.
Der Senat kann wegen des Verböserungsverbots offenlassen, ob es nicht gerechtfertigt wäre, die Antragstellerin wegen eines höheren Betrages in Anspruch zu nehmen. Es ist bereits hinsichtlich der beschränkten steuerpflichtigen Arbeitnehmer jedenfalls eine Lohnsteuerschuld von insgesamt … DM angefallen. Es liegt im Rahmen einer jedenfalls die Antragstellerin nicht benachteiligenden Schätzung, wenn das FG davon ausgeht, daß 2/3 der Arbeitnehmer beschränkt steuerpflichtig waren. Nach ihrem eigenen Vortrag waren die Arbeitnehmer jeweils nicht länger als 183 Tage im Kalenderjahr tätig; nach den Feststellungen des Landgerichts B hielt sich die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer weniger als sechs Monate im Inland auf. Für den überwiegenden Teil der Arbeitnehmer kann damit davon ausgegangen werden, daß sie in der Bundesrepublik weder einen Wohnsitz (§ 8 AO 1977) noch einen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO 1977) hatten. Die Nichtvorlage der Bescheinigung i.S. des § 39d Abs.1 EStG rechtfertigt es, die Steuerklasse VI zugrunde zu legen (§ 39d Abs.3 Satz 4 i.V.m. § 39c Abs.1 EStG). Die individuelle Steuerschuld, die der Haftung des Arbeitgebers zugrunde liegt, besteht bei diesem Kreis von Arbeitnehmern in der abzuführenden Lohnsteuer (§ 50 Abs.5 Satz 1 EStG). Geht man von einem durchschnittlichen Wochenlohn von … DM aus, der sich aus der von der Antragstellerin vorgelegten Zusammenstellung ergibt, ergibt sich nach der Lohnsteuertabelle des Jahres 1982 in der Steuerklasse VI eine Lohnsteuer von … DM und damit ein Steuersatz von 33,86 v.H. Entfallen von dem Gesamtbetrag von … DM 2/3 auf beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer, errechnet sich eine Summe der Steuern in Höhe von … DM.
Das FG konnte jedenfalls von einer Summe ausgezahlter Löhne in Höhe von … DM ausgehen. Es konnte sich dabei auf die Feststellungen des Landgerichts B beziehen. Die von der Antragstellerin vorgelegte Aufstellung kann diese Feststellungen nicht erschüttern, zumal ihr nach den Feststellungen des FG keine Beweiskraft zukommt. Der Senat muß angesichts des Verböserungsverbots nicht darauf eingehen, ob wegen des Anteils der unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer eine Erhöhung des Betrages in Betracht kommt, für den die Antragstellerin haftet. Er kann auch offenlassen, ob nicht deshalb ein höherer Betrag zugrunde zu legen ist, weil die mit den Arbeitnehmern getroffenen Vereinbarungen unter Umständen als Nettolohnvereinbarungen auszulegen sind, mit der Folge, daß die abzuführende Lohnsteuer die Bemessungsgrundlage erhöht. Der Senat ist nicht an die Feststellungen des Urteils des Landgerichts gebunden, nach denen die Antragstellerin für den strittigen Zeitraum nur eine Lohnsteuer von … DM abzuführen hatte. Den Betrag errechnete das Landgericht, indem es zugunsten der Angeklagten von der günstigeren Steuerklasse I und II ausging. Das Landgericht hat dabei im Rahmen der Ermittlung des Sachverhalts bei der Höhe der hinterzogenen Beträge den Grundsatz „Im Zweifel zugunsten des Angeklagten” angewandt, der im Rahmen einer Schätzung grundsätzlich nicht gilt (vgl. BFH-Urteil vom 10.Oktober 1972 VII R 117/69, BFHE 107, 168, BStBl II 1973, 68).
1.3. Das FA hat in der Einspruchsentscheidung darauf hingewiesen, daß sich die Antragstellerin nicht in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden habe. Sie habe etwaige Zweifel, ob sie zur Einbehaltung von Lohnsteuer verpflichtet gewesen sei, durch eine Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG klären lassen können (vgl. BFH-Urteil vom 5.Oktober 1977 I R 90/75, BFHE 124, 29, BStBl II 1978, 205).
1.4. Der Inanspruchnahme der Antragstellerin stünde nicht entgegen, wenn zwischen den zuständigen Behörden der Bundesrepublik und Großbritanniens ein Schriftwechsel darüber geführt werden sollte, welchem Staat die Lohnsteuer zustehen soll. Der Senat muß im vorliegenden Fall nicht auf die Frage eingehen, inwieweit sich eine Verständigungsvereinbarung auf ein rechtskräftiges gerichtliches Urteil auswirkt (vgl. hierzu Vogel, Kommentar zur Doppelbesteuerung, Art.25 Rz.70). Jedenfalls berührt ein derartiges Verständigungsverfahren nicht das gerichtliche Verfahren, das die Aussetzung der Vollziehung betrifft; denn in diesem Verfahren wird nicht endgültig über das Bestehen des Steuer- bzw. Haftungsbetrages entschieden.
1.5. Gegen die Inanspruchnahme der Antragstellerin spricht nicht, daß von ihr schon Zahlungen in Höhe von … DM geleistet wurden (vgl. Anlage zum Schreiben des FA vom 25.Juli 1986, wonach ausgehend von einer Steuerschuld von … DM noch ein Rückstand von … DM besteht). Zahlt der in Anspruch Genommene, so führt dies allein nicht zu einer Änderung des angefochtenen Haftungsbescheids. Würde das Gericht in Höhe der geleisteten Zahlung den Haftungsbescheid aufheben, könnte der Haftende die geleistete Zahlung zurückfordern, ohne daß entschieden werden müßte, ob der Haftungsbescheid in seiner ursprünglichen Form zu Recht erging. Diese Erwägungen treffen auch hinsichtlich des am 22.Juli 1983 vor Ergehen der Einspruchsentscheidung vom 15.März 1984 bezahlten Betrages zu. Soweit die Rechtsprechung die Zahlung vor Ergehen der Einspruchsentscheidung bei der Inanspruchnahme im Haftungswege berücksichtigt, handelt es sich nicht um Fälle, in denen der in Anspruch genommene Haftungsschuldner die Zahlungen leistete (vgl. BFH-Urteile vom 24.Oktober 1979 VII R 7/77, BFHE 129, 13, BStBl II 1980, 158; vom 6.Dezember 1979 V R 125/76, BFHE 129, 126, BStBl II 1980, 103, und vom 17.Oktober 1980 VI R 136/77, BFHE 131, 449, BStBl II 1981, 138).
2. Antrag auf Aufhebung der Verwirkung der Säumniszuschläge
Soweit die Antragstellerin beantragt, die Verwirkung von Säumniszuschlägen bis zum Ergehen der Entscheidung über den Aussetzungsantrag aufzuheben, ist die Beschwerde teilweise begründet. Das FG hat den Antrag insoweit zu Unrecht abgewiesen, als es abgelehnt hat, die Säumniszuschläge auf den Betrag von … DM rückwirkend für nicht angefallen zu erklären. Da das FG in Höhe dieses Betrages die Vollziehung ausgesetzt hat, ist auch die Festsetzung der Säumniszuschläge aufzuheben, die auf diesen Betrag entfallen. Bei der Festsetzung der Säumniszuschläge handelt es sich um einen Vollzug des Haftungsbescheides i.S. des § 69 Abs.3 Satz 4 FGO. Im einzelnen wird auf den Beschluß des erkennenden Senats vom 10.Dezember 1986 I B 121/86 (BFHE 149, 6) verwiesen. Im übrigen hat das FG den Antrag auf Aufhebung der verwirkten Säumniszuschläge im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Soweit das FG die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt hat, kommt eine Aufhebung der verwirkten Säumniszuschläge nicht in Betracht.
Fundstellen