Leitsatz (amtlich)
Spezialisiert sich ein Steuerpflichtiger mit abgeschlossenem Studium der Wirtschaftswissenschaften auf ein eng begrenztes Tätigkeitsgebiet (z. B. die Aufnahme und Bewertung von Warenbeständen in einem bestimmten Wirtschaftszweig) und läßt er diese Tätigkeit im wesentlichen von zahlreichen Hilfskräften in einem unternehmensartig organisierten Großbüro ausführen, so liegt auch dann keine freiberufliche Praxis, sondern ein Gewerbebetrieb vor, wenn diese Arbeiten in der Regel zu den Berufsaufgaben eines Steuerberaters oder beratenden Betriebswirts gehören.
Normenkette
EStG 1958 § 15 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 1; GewStG 1957 § 2 Abs. 1
Tatbestand
Berichtigung: In dem BFH-Urteil vom 28. November 1968 I R 158/67 (BStBl II 1969, 163) wird auf Seite 164 in der 34./35. Zeile, linke Spalte, das Wort "Arbeitgeber" durch das Wort "Arbeitnehmer" ersetzt.
Streitig ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1958 und im Gewerbesteuermeßbetragsverfahren für den Erhebungszeitraum 1959, ob der Betrieb eines Inventurbüros, das für Unternehmen eines bestimmten Wirtschaftszweiges arbeitet und dessen Inhaber akademisch vorgebildet ist, gewerblicher Art ist oder zur freien Berufstätigkeit rechnet (§ 15 Nr. 1, § 18 EStG, § 2 Abs. 1 GewStG).
Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) ist Diplom-Volkswirt und Fachmann für Inventuren eines bestimmten Wirtschaftszweigs. Sein Kundenkreis umfaßte im Jahre 1958 1551 und 1959 1754 Betriebe. Er unterhielt ein Büro mit 28 Angestellten, von denen keiner eine ihm vergleichbare akademische Vorbildung besaß. Außerdem beschäftigte er Heimarbeiter und einen Stab von nicht angestellten vertraglichen Mitarbeitern, die auf Provisionsbasis tätig waren. Diese Mitarbeiter nahmen bei den einzelnen Kunden im gesamten Bundesgebiet die Bestände nach Warenbezeichnung, Menge und Gewicht auf. Bei einem Teil der Inventuren wurden der Steuerpflichtige selbst oder seine geschulten Angestellten tätig. Bei den Inventuren wurden die vom Kläger herausgegebenen Inventurbögen verwendet. Die ausgefüllten Bögen wurden dem Büro des Steuerpflichtigen zugeleitet. Die dort tätigen Angestellten nahmen die Bewertung vor. Die Additionen wurden von weiteren Personen - zum Teil in Heimarbeit - durchgeführt. Bei einem Teil der Kunden nahm der Steuerpflichtige selbst die Bewertung des Warenlagers vor. Im übrigen gab der Steuerpflichtige die Bewertungsrichtlinien. Um Aufträge für Inventurarbeiten und für den Verkauf der Inventurbögen zu erhalten, entfaltete der Steuerpflichtige eine rege Werbetätigkeit. Er versandte Preislisten für die Vornahme von Inventuren und bot darin auch Bücher und Inventurbögen an. Diesen Listen waren lobende Kundenurteile beigefügt. Die Werbeschriften wurden durch Postwurfsendung versandt. Zum Teil lagen sie auch den Katalogen einer GmbH bei, an der der Steuerpflichtige wecentlich beteiligt war und als deren Geschäftsführer er tätig war. Die GmbH gab u. a. eine umfassende Preisliste für die Waren des Wirtschaftszweiges heraus.
Das FA behandelte die Einkünfte des Steuerpflichtigen aus dem Inventurbüro als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das FG wies die Klage als unbegründet zurück.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des Steuerpflichtigen ist unbegründet.
Die vom FG ohne erkennbaren Rechtsfehler getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Folgerung, daß die von dem Steuerpflichtigen in den Streitjahren ausgeübte Tätigkeit nicht freiberuflicher, sondern gewerblicher Art war.
In der Entscheidung IV 283/63 U vom 15. Juni 1965 (BFH 83, 151, BStBl III 1965, 556) führte der Senat aus, daß die entgeltliche Aufnahme und Bewertung von Warenbeständen für Angehörige eines bestimmten Wirtschaftszweigs für sich betrachtet weder eine wissenschaftliche noch eine der Steuerberatung ähnliche Tätigkeit im Sinn des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG in der rückwirkend ab Veranlagungszeitraum 1955 geltenden Fassung (§ 52 Abs. 7 EStG 1960) darstellt. Die Entscheidung betraf die Aufnahme und Bewertung des Warenlagers bei Apotheken. Für Tätigkeiten der vorliegenden Art gilt allgemein, daß sie vor allem Branchen- und Marktkenntnisse erfordern. Dazu ist weder eine wissenschaftliche Vorbildung erforderlich noch kann die Ausübung der Tätigkeit als wissenschaftlich bezeichnet werden. Die Entscheidung IV 283/63 U hob weiter hervor, daß die Aufnahme und Bewertung von Warenbeständen ungeachtet der Notwendigkeit, dabei auch steuerliche Vorschriften zu berücksichtigen, diese Tätigkeit nicht der eines Steuerberaters ähnlich macht.
Es liegt auch keine Ähnlichkeit mit dem Berufsbild eines beratenden Betriebswirts vor. Die Vorinstanz führte zutreffend aus, daß sich die betriebswirtschaftliche Beratung auf alle Fragen der Unternehmensleitung erstreckt, die üblicherweise Gegenstand eines betriebswirtschaftlichen Studiums sind, und daß hierzu besonders die Fragen der Finanzierung, der Gestaltung des Rechnungswesens und der Organisation gehören. Es mag zutreffen, daß der Steuerpflichtige in einzelnen Fällen eine solche weitergehende Beratungstätigkeit entfaltete. Das ist für die Beurteilung des Gesamtbildes seiner Tätigkeit aber ohne Bedeutung. Für die überwiegende Mehrzahl der Mandanten wurde der Steuerpflichtige nur auf einem sehr begrenzten Ausschnitt der betrieblichen Arbeit tätig. Diese aufs stärkste spezialisierte Betätigung prägte das Gesamtbild des Inventurbüros. Zwar reicht die Tatsache einer weitgehenden Spezialisierung für sich noch nicht aus, die Ähnlichkeit mit einem der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten Berufe zu verneinen. Denn für die Beurteilung des Gesamtbilds sind weiter die besondere Organisationsform und der Umfang des Betriebes wichtig.
Die große Zahl der betreuten Betriebe und der dabei tätig werdenden Arbeitskräfte machte es unmöglich, daß der Steuerpflichtige selbst noch in dem von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG geforderten Umfange eigenverantwortlich den Betrieb leitete. Durch die Hinzufügung des Begriffs der Eigenverantwortlichkeit sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß der Gesetzgeber grundsätzlich beim geschichtlich entstandenen Begriff des Freiberuflers verblieb, dessen Tätigkeit durch den unmittelbaren, persönlichen und deshalb individuellen Einsatz und den eigenen Kontakt mit den Klienten sein besonderes Gepräge erhält. Diesen Charakter verliert eine Tätigkeit im selben Maße, wie der unternehmerische und organisatorische Teil dieser Tätigkeit zunimmt und nicht mehr die eigene Leistung des Freiberuflers, sondern die Bereitstellung von Maschinen oder von anderen Kräften, die einen wesentlichen Teil der Tätigkeit übernehmen, in den Vordergrund tritt. Mit wachsendem Umfang verselbständigt sich dieses Unternehmen, so daß seine Leistungen nicht mehr als Leistungen des Leiters, sondern als solche des Unternehmens in Erscheinung treten (vgl. Urteil des BFH IV 61/65 U vom 29. Juli 1965, BFH 83, 154, BStBl III 1965, 557).
In diesem Zusammenhang ist als weiteres, für die Annahme einer gewerblichen Tätigkeit bezeichnendes und in § 1 Abs. 1 GewStDV besonders genanntes Erfordernis die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr zu berücksichtigen. Für sie ist ein wichtiges Indiz die nachhaltig betriebene Werbung, mit der der Steuerpflichtige sich auf verschiedene Weise an einen großen Kreis möglicher Interessenten wandte und seine Leistungen anbot. Es ist für die Beurteilung unerheblich, ob dem Steuerpflichtigen dies aus standesrechtlichen Gründen verboten war. Entscheidend ist, daß der Steuerpflichtige durch diese Werbung ein geschäftliches Verhalten zeigte, daß nur für Gewerbebetriebe typisch ist. Hierher gehört auch die enge Verbindung der Tätigkeit des Inventurbüros mit dem Gewerbebetrieb, den die vom Steuerpflichtigen maßgebend beeinflußte GmbH ausübte.
Da das Inventurbüro nach alledem keine freiberufliche Praxis, sondern einen Gewerbebetrieb darstellt, ist die gesamte in diesem Rahmen entfaltete Tätigkeit als gewerbliche zu behandeln, und zwar auch insoweit, als der Steuerpflichtige in im Verhältnis zur Gesamttätigkeit des Büros unbedeutenden Einzelfällen eine über die Aufnahme und Bewertung von Warenbeständen hinausgehende betriebswirtschaftliche Beratungstätigkeit ausübte.
Fundstellen
Haufe-Index 68400 |
BStBl II 1969, 164 |
BFHE 1969, 195 |