Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Fahrten eines Arbeitnehmers mit einem Kraftfahrzeug zur Einnahme des Mittagessens zu Hause berechtigen nicht zum mehrfachen Ansatz der Pauschsätze des § 26 Abs. 2 EStDV 1955 an einem Arbeitstag (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs VI 159/58 S vom 18. März 1960, BStBl 1960 III S. 255). Die durch solche Fahrten entstehenden Kosten können aber unter Umständen in der tatsächlichen Höhe eine als erweiterte Krankheitskosten nach § 33 EStG zu berücksichtigende Belastung darstellen.
Normenkette
EStG § 9 Ziff. 4, § 9/1/4, § 33; EStDV § 26 Abs. 2; LStDV § 20/2/2
Tatbestand
Der Bf. ist Steuerberater, und zwar ist er bei der X.-Treuhand-AG angestellt. Für die Fahrten zwischen seiner Wohnung und seiner Arbeitsstätte benutzte er im Streitjahr 1956 ein eigenes Kraftfahrzeug. Die Kosten hierfür wurden vom Finanzamt im Rahmen des § 26 EStDV 1955 bei der Veranlagung als Werbungskosten berücksichtigt. Das Finanzamt lehnte jedoch den Abzug von weiteren 518 DM ab, welche der Bf. als Kosten für seine mittäglichen Heimfahrten an 160 Tagen im Streitjahr geltend gemacht hatte. Sein gegen die Veranlagung eingelegter Einspruch hatte in diesem Punkt keinen Erfolg. Auch die Berufung wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Das Finanzgericht ging davon aus, daß die Kosten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ihrem Wesen nach Werbungskosten seien, die nur im Rahmen des § 26 EStDV 1955 zum Abzug kommen könnten. Wenn der Bf. mittags nach Hause gefahren sei, weil er seine Arbeitszeit durch eine größere Ruhepause mit ärztlich verordneter Bettruhe habe unterbrechen müssen, so seien die dadurch entstandenen Kosten durch den ihm zugestandenen Pauschbetrag nach § 26 EStDV 1955 abgegolten. Gegen die Rechtsgültigkeit dieser Regelung beständen keine Bedenken. Eine mehrfache Berücksichtigung des Pauschbetrags bei mehreren Fahrten an einem Tag zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sei danach nicht möglich. Da die Fahrtkosten begrifflich den Werbungskosten zuzurechnen seien, könnten sie nach § 33 Abs. 2 letzter Satz EStG 1955 auch nicht - wie der Bf. hilfsweise beantragt habe - als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
Der Bf. rügte mit seiner Rb., daß das Finanzgericht hinsichtlich der streitigen Fahrtkosten die Anwendbarkeit des § 33 EStG zu Unrecht nicht geprüft habe. Wenn er auf Grund ärztlicher Anordnung wegen eines Herzleidens mittags nach Hause gefahren sei, um nach dem Essen zu ruhen, so seien die dadurch entstandenen Fahrtaufwendungen solche der privaten Lebensführung. Da sie zwangsläufige und außergewöhnliche Aufwendungen darstellten, sei eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG 1955 gerechtfertigt.
Entscheidungsgründe
Die wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Senat hat in dem Urteil VI 159/58 S vom 18. März 1960 (BStBl 1960 III S. 255) die Rechtsgültigkeit der in § 26 Abs. 2 EStDV 1955 (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955) getroffenen Regelung über die steuerliche Berücksichtigung der durch die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entstehenden Kosten bejaht. In dieser Entscheidung wurde ausgeführt, daß der nach der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Betracht kommende Pauschbetrag für jeden Arbeitstag nur einmal als Werbungskosten abgezogen werden kann. Es liegt auch keiner der in dieser Entscheidung angeführten Ausnahmefälle vor, der eine Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für eine mit einem Pkw zurückgelegte zweite Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Rahmen der Werbungskosten rechtfertigen würde. Es ist danach nicht zu beanstanden, daß das Finanzgericht in der Vorentscheidung dem Antrag des Bf. auf Anerkennung der Kosten für die Mittagsheimfahrten in Höhe von 518 DM als Werbungskosten nicht entsprochen hat.
Dem Finanzgericht kann jedoch nicht gefolgt werden, wenn es ohne nähere Prüfung der Voraussetzungen auch eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG 1955 unter Hinweis auf Abs. 2 letzter Satz dieser Vorschrift abgelehnt hat. Die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gehören zwar begrifflich im allgemeinen zu den Werbungskosten. Fährt ein Steuerpflichtiger jedoch mit seinem Kraftfahrzeug ohne berufliche Veranlassung aus rein privaten Gründen mehrfach am Tag zur Arbeitsstätte und zurück, so sind die Fahrtkosten insoweit keine Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen aus seinem Arbeitsverhältnis. Sie sind dann keine Werbungskosten. Weil sie auf private Gründe zurückzuführen sind, gehören sie vielmehr zu den Kosten der privaten Lebenshaltung. Es ist denkbar, daß sie als Krankheitskosten anzusehen sind und daß sie unter diesem Gesichtspunkt nach § 33 EStG 1955 bei der Einkommensteuer berücksichtigt werden können. § 33 Abs. 2 letzter Satz EStG 1955 steht dem jedenfalls nicht entgegen, wenn die Aufwendungen nicht zum beruflichen, sondern zum privaten Bereich der Steuerpflichtigen zu rechnen sind. Es geht deshalb nicht an, die Möglichkeit der steuerlichen Berücksichtigung der Kosten für mittägliche Heimfahrten, die auf eine ärztliche Anordnung zurückzuführen sind, von vornherein abzulehnen. Das Finanzgericht hat dies verkannt. Die Vorentscheidung ist daher wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Da bisher die Voraussetzungen für eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG 1955 nicht geprüft worden sind, ist die Sache in tatsächlicher Hinsicht noch nicht spruchreif. Sie wird daher nach Aufhebung der Vorentscheidung an das Finanzgericht zur nochmaligen Entscheidung zurückverwiesen.
Das Finanzgericht wird bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 33 EStG zu beachten haben, daß die Kosten für mittägliche Heimfahrten nur dann als außergewöhnliche Belastungen im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden können, wenn auf Grund einer ärztlichen Anordnung einwandfrei dargetan ist, daß die Heimfahrten zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit des Bf. erforderlich waren. Zur Verhinderung einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme des § 33 EStG muß hierbei ein strenger Standpunkt eingenommen werden. Falls das Finanzgericht hiernach dazu kommen sollte, die Kosten der mittäglichen Heimfahrt als außergewöhnliche Belastung anzusehen, können die tatsächlich erwachsenen Aufwendungen, soweit sie auch der Höhe nach zwangsläufig sind, gemäß § 33 EStG berücksichtigt werden. Die in § 26 Abs. 2 EStDV 1955 (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955) enthaltenen Pauschsätze können dabei nicht zugrunde gelegt werden, da diese pauschale Regelung nicht für § 33 EStG erlassen wurde und die für die Abgeltung der Werbungskosten maßgebenden Gesichtspunkte auch nicht sinngemäß für die Behandlung von Fahrtkosten im Rahmen der außergewöhnlichen Belastung herangezogen werden können.
Fundstellen
Haufe-Index 409696 |
BStBl III 1960, 258 |
BFHE 1961, 33 |
BFHE 71, 33 |