Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bestimmtheit von Bescheiden im Lohnsteuerverfahren
Leitsatz (NV)
Lohnsteuerbescheide sind mangels Bestimmtheit aufzuheben, wenn ein Arbeitgeber Bescheide des FA erhält, die als Haftungsbescheide bezeichnet sind, wenn in ihnen zugleich auf LSt-Prüfungsberichte Bezug genommen wird, aus denen sich ergibt, daß das FA den Arbeitgeber als Steuerschuldner nach § 40 EStG in Anspruch nehmen will.
Normenkette
AO 1977 §§ 155, 191; EStG 1975 §§ 40, 42d
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Aktiengesellschaft, betreibt Werke in A und in B. In beiden Werken wurden Ende 1975 von der Großbetriebsprüfungsstelle Lohnsteuer-Außenprüfungen durchgeführt. Aufgrund der Prüfungsfeststellungen erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) am 15. April 1977 zwei Haftungsbescheide, und zwar betreffend das Werk A über 23 607 DM Lohnsteuer und betreffend das Werk B über 28 843,46 DM Lohnsteuer. Sie sind überschrieben mit ,,Haftungsbescheid" und es heißt in ihnen, daß die Klägerin ,,hiermit für die o.a. Steuerabzugsbeträge nach § 42d Abs. 1 EStG 1975 . . . als Haftender in Anspruch genommen" werde. In den Bescheiden ist auf die jeweiligen Prüfungsberichte Bezug genommen worden.
Streitig sind die Feststellungen der Lohnsteuerprüfer wegen der von der Klägerin an einzelne Arbeitnehmer der beiden Werke steuerfrei gezahlten Kilometergelder für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Beim Werk A handelte es sich um Fahrten eines Arbeitnehmers für die Zeit von Ende 1973 bis einschließlich Oktober 1975, beim Werk B um Fahrten von acht Arbeitnehmern in der Zeit von Oktober 1973 bis 1975. Die wegen der Kilometergelder von der Klägerin nachgeforderte Lohnsteuer bezüglich des Werkes A von 657,30 DM und bezüglich des Werkes B von 5 688,90 DM wurde mit einem Pauschsteuersatz von 30 v. H. erhoben. Inwieweit diese Beträge auf die einzelnen Kalenderjahre entfallen, ist den Prüfungsberichten nicht zu entnehmen. Zur Anwendung des Pauschsteuersatzes von 30 v. H. heißt es in den Prüfungsberichten:
,,Wegen der Vielzahl der zur Versteuerung anstehenden Einzelfälle und des unverhältnismäßigen Arbeitsaufwands wird die Lohnsteuer nach einem Pauschsteuersatz von 30 v. H. erhoben. Die Kirchensteuer beträgt 8 v. H. der Lohnsteuer. Bei dieser Versteuerung bleiben die nachträglich versteuerten Bezüge und die nacherhobenen Steuerabzugsbeträge beim Lohnsteuer-Jahresausgleich oder bei einer evtl. Veranlagung zur Einkommensteuer außer Betracht. Damit entfällt die Ausschreibung berichtigter Lohnsteuerbescheinigungen und berichtigter Lohnzettel durch den Ag."
Im Betriebsprüfungsbericht bzgl. des Werks B ist ferner vermerkt, daß die Klägerin der Pauschalversteuerung zugestimmt hat.
Der Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als die steuerlichen Folgen von Rechenfehlern beseitigt wurden.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte aus, die Klägerin habe die Kilometersätze steuerfrei zahlen können, da die dieser Zahlung zugrundeliegende Betriebsvereinbarung dahin zu verstehen sei, daß die Klägerin die Kraftfahrzeughalter nicht nur von den eigenen Kraftfahrzeugkosten habe freistellen, sondern diesen auch die Aufwendungen habe erstatten wollen, die durch die Mitnahme von Arbeitskollegen verursacht worden seien und für die die Mitfahrer hätten aufkommen müssen, wenn die Klägerin ihnen die Kostenlast nicht abgenommen hätte. Im übrigen habe das FA bei der Nachversteuerung zu Unrecht Nettosteuersätze angewandt.
Gegen diese Entscheidung legte das FA Revision ein. Es rügt die Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes 1971/75 (EStG) und des § 42a Abs. 2 Nr. 2 EStG 1971 bzw. § 40 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1975.
Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA kann schon aus formellen Gründen keinen Erfolg haben, so daß es auf die Prüfung materieller Rechtsfragen nicht ankommt. Denn die mit der Klage angefochtenen Haftungsbescheide können in dem Umfang, in dem das FG die Haftungssumme herabgesetzt hat, deshalb keinen Bestand haben, weil sie nicht hinreichend bestimmt sind.
Ist Lohnsteuer nachzuerheben, weil sie vom Arbeitgeber nicht vorschriftsmäßig einbehalten und abgeführt worden ist, kommt eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers durch Haftungsbescheid oder Pauschalierungsbescheid (Steuerbescheid) in Betracht. Die pauschalierte Lohnsteuer, die der Arbeitgeber selbst schuldet, weist gegenüber einer vom Arbeitnehmer geschuldeten Lohnsteuer, für die der Arbeitgeber lediglich haftet, wesentliche Unterschiede auf (vgl. zur wesensmäßigen Verschiedenheit von pauschaler Lohnsteuer und Lohnsteuerhaftung Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. November 1982 VI R 219/80, BFHE 137, 46, BStBl II 1983, 91; vom 2. Dezember 1983 VI R 47/80, BFHE 140, 143, BStBl II 1984, 362, und vom 7. Dezember 1984 VI R 72/82, BFHE 142, 494, BStBl II 1985, 170). Der Steuerbescheid dient der Festsetzung einer Steuerschuld gegenüber dem Steuerschuldner (§ 155 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Dagegen wird durch einen Haftungsbescheid eine Person für die Steuerschuld eines anderen in Anspruch genommen (§ 191 AO 1977). Diese Unterschiede und das Gebot der inhaltlichen Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes schließen es aus, daß vom Arbeitgeber pauschalierte Lohnsteuer und Lohnsteuer, für die er haftet, mit einheitlichem Bescheid angefordert werden, wenn dieser nur als Haftungsbescheid bezeichnet ist (BFH-Urteil vom 28. Januar 1983 VI R 35/78, BFHE 138, 188, BStBl II 1983, 472) oder wenn nach der Bezeichnung des Bescheides unklar ist, ob das FA ein Lohnsteuerhaftungsschuld oder eine pauschale Lohnsteuer festsetzen wollte (BFHE 140, 143, BStBl II 1984, 362). Auch ein Bescheid, in dessen Tenor der Arbeitgeber als Haftender in Anspruch genommen wird, dessen Begründung aber eindeutig auf Festsetzung einer pauschalen Lohnsteuer hinweist, ist wegen inhaltlicher Unbestimmtheit unwirksam (BFH-Urteil vom 15. März 1985 VI R 30/81, BFHE 143, 226, BStBl II 1985, 581).
Im Streitfall sind die beiden angefochtenen Bescheide vom 15. April 1977 als Haftungsbescheide übeschrieben und es heißt dort, daß die Klägerin hiermit für Lohnsteuerabzugsbeträge nach § 42d Abs. 1 EStG 1975 als Haftende in Anspruch genommen wird. Aus den Prüfungsberichten, auf die in den Haftungsbescheiden verwiesen wird, ergibt sich jedoch, daß das FA die Klägerin bezüglich des hier streitigen Sachverhalts, nämlich der steuerfreien Zahlung von Kilometergeldern für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte an bestimmte Arbeitnehmer, nicht im Haftungswege, sondern als Steuerschuldnerin nach Maßgabe des § 40 EStG in Anspruch nehmen wollte.
Nach Abs. 1 Nr. 2 dieser Vorschrift kann das Betriebsstätten-FA die Lohnsteuer mit einem unter Berücksichtigung der Vorschriften des § 38a EStG zu ermittelnden Pauschsteuersatz erheben, sofern in einer größeren Zahl von Fällen Lohnsteuer nachzuerheben ist, weil der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig einbehalten hat. Nach § 40 Abs. 1 Satz 2 EStG ist jedoch Voraussetzung für die Pauschalierung der Lohnsteuer, daß deren Ermittlung nach § 39b bis 39d EStG schwierig ist oder einen unverhältnismäßigen Arbeitsaufwand erfordern würde. Nach § 40 Abs. 3 EStG hat der Arbeitgeber die pauschale Lohnsteuer zu übernehmen und ist Schuldner dieser pauschalen Lohnsteuer. Der pauschal besteuerte Arbeitslohn und die pauschale Lohnsteuer bleiben nach dieser Vorschrift bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer und beim Lohnsteuer-Jahresausgleich außer Ansatz. Die pauschale Lohnsteuer darf dabei weder auf die Einkommensteuer noch auf die Jahreslohnsteuer angerechnet werden.
Obwohl die Prüfer bei der Nachversteuerung der Kilometergelder § 40 EStG nicht genannt haben, haben sie hier die Erhebung der pauschalen Lohnsteuer doch auf diese Vorschrift gestützt. So haben sie die Lohnsteuer pauschal mit 30 v. H. berechnet und entsprechend den vorgenannten Bestimmungen des § 40 EStG zur Begründung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eine Erhebung des ,,Pauschsteuersatzes von 30 v. H." deswegen erfolge, weil ,,wegen der Vielzahl der zur Versteuerung anstehenden Einzelfälle und des unverhältnismäßig großen Aufwandes" dieses erforderlich sei. Sie haben ferner betont, daß ,,bei dieser Besteuerung . . . die nachträglich versteuerten Bezüge und die hierauf entfallenden Steuerabzugsbeträge beim Lohnsteuer-Jahresausgleich oder bei einer evtl. Veranlagung zur Einkommensteuer außer Betracht bleiben" müßten. Gerade die Außerachtlassung der nachträglich versteuerten Bezüge und der hierauf entfallenden Steuerabzugsbeträge beim Lohnsteuer-Jahresausgleich oder bei einer evtl. Einkommensteuerveranlagung ist nach dem EStG 1975 nur denkbar bei einer Pauschalierung der Lohnsteuer nach §§ 40 ff. EStG.
Das FA geht in seinem Revisionsschriftsatz vom 25. Januar 1982 selbst davon aus, daß die Pauschalbesteuerung auf § 40 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1975 beruhe. Soweit es der Ansicht ist, die Pauschalbesteuerung für die Vorjahre gründe sich auf § 42a Abs. 2 Nr. 2 EStG 1971, kann dem nicht gefolgt werden. Es wird insoweit Bezug genommen auf das Urteil in BFHE 137, 46, BStBl II 1983, 91, in dem der Senat ausgeführt hat, daß in Fällen wie dem vorliegenden eine vom Prüfer im Jahr 1975 vorgenommene Pauschalierung sich nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 1975 auch dann richte, wenn es sich um geldwerte Vorteile für die Kalenderjahre 1971 bis 1974 handelt.
Im Hinblick auf die genannte Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Bescheide hat das FG im Ergebnis zu Recht den Klageanträgen entsprochen. Die Revision des FA kann deshalb keinen Erfolg haben.
Fundstellen
Haufe-Index 414281 |
BFH/NV 1986, 308 |