Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersetzung der Entscheidungsgründe durch Bezugnahme auf andere Entscheidung
Leitsatz (NV)
1. Grundsätzlich ist es möglich, die Gründe eines finanzgerichtlichen Urteils durch Bezugnahme oder Beifügung einer neutralisierten Entscheidung in einer anderen Sache zu ersetzen.
2. Ein wesentlicher Verfahrensmangel kann sich daraus ergeben, wenn die Gründe durch die Bezugnahme auf eine bei Beginn der Revisionsfrist weder bekannte noch zugängliche Entscheidung ersetzt werden.
Normenkette
FGO § 105 Abs. 2 Nrn. 4-5, § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 119 Nr. 6
Tatbestand
Die Ehefrau des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) betreibt seit April 1971 eine Schankwirtschaft, deren Inhaberin sie seit 1976 ist. Der Kläger, der mit seiner Ehefrau in den Streitjahren 1979 und 1980 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurde, ist in dem Gaststättenbetrieb als Angestellter tätig. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte im Jahre 1982 eine Außenprüfung in der Gaststätte durch und erhöhte die Gewinne in den Streitjahren durch Zuschätzungen um 18 871 DM (1979) bzw. 17 981 DM (1980). Das Finanzgericht (FG) wies die gegen die geänderten Steuerbescheide (Einkommensteuer 1979, 1980) erhobene Klage ab. In den Entscheidungsgründen führte es aus: ,,Der erkennende Senat hat in dem gegen die Ehefrau des Klägers ergangenen Urteil . . . vom heutigen Tage - es betraf die Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 1979 und 1980 - entschieden, daß der Beklagte die in der Buchführung für die Gaststätte ausgewiesenen Gewinne mit Recht um die streitigen Hinzuschätzungen erhöht hat. Die Gründe sind in den Entscheidungsgründen des genannten Urteils im einzelnen dargestellt. Der Senat nimmt darauf Bezug und sieht von der Darstellung weiterer Gründe ab."
Mit der Revision rügt der Kläger, daß die Vorentscheidung ohne Entscheidungsgründe ergangen sei, weil der Hinweis auf eine andere Entscheidung in einem anderen Verfahren nicht ausreichend sei.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
Das FA hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Revision ist zulässig, weil der Kläger rügt, die Vorentscheidung sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Die Rüge ist formgerecht erhoben worden. Die Tatsache, die den Verfahrensmangel ergeben soll, daß die Entscheidung der Vorinstanz ohne eigene Entscheidungsgründe unter Bezugnahme auf eine Entscheidung in einem anderen Verfahren ergangen sei, ist bezeichnet i. S. von § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO.
Die Revision ist auch begründet. Nach § 105 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 FGO muß ein FG-Urteil einen Tatbestand und Entscheidungsgründe enthalten. Zwar ist anerkannt, daß das FG auf andere eigene Entscheidungen Bezug nehmen darf (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. April 1984 VIII R 229/83, BFHE 141, 113, BStBl II 1984, 591 m.w. Rechtsprechungshinweisen). Der Bezugnahme sind jedoch Grenzen gesetzt. Ein wesentlicher Verfahrensmangel ist insbesondere dann gegeben, wenn das FG die Gründe seiner Entscheidung dadurch ersetzt, daß es auf eine Urkunde verweist, deren Inhalt dem Kläger bei Beginn der Revisionsfrist weder bekannt noch zugänglich war (vgl. BFH-Urteil vom 28. März 1984 I R 117/83, BFHE 141, 206, BStBl II 1984, 666 m.w. Rechtsprechungshinweisen). Dies gilt insbesondere für den Fall, wenn die Bezugnahme auf eine andere Entscheidung erfolgt ist, die nicht zwischen denselben Beteiligten ergangen ist (vgl. Urteil in BFHE 141, 113, BStBl II 1984, 591).
Im Streitfall ist das FG-Urteil . . . nicht gegen dieselben Beteiligten wie die Vorentscheidung ergangen.
Lediglich der Beklagte, das FA, war in beiden Fällen derselbe. Kläger sind demgegenüber unterschiedliche Personen, im anhängigen Verfahren der Kläger, im anderen Verfahren (Az. des FG-Urteils . . .) die Ehefrau. Der Mangel der Vorentscheidung ist erheblich, weil die Feststellungen des FG in der Vorentscheidung ohne die unstatthafte Bezugnahme dem Kläger die Wahrnehmung seiner prozessualen Rechte nicht ermöglicht, zumal auch kein neutralisierter Abdruck der Entscheidung in der anderen Sache beigefügt war (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 116 FGO Tz. 21). Das Fehlen von Gründen i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO erfüllt zugleich den Tatbestand des § 119 Nr. 6 FGO, der einen wesentlichen Revisionsmangel enthält. In diesem Fall ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen. Daher ist die Zurückverweisung an das FG ohne Sachentscheidung des erkennenden Senats geboten.
Fundstellen