Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 13.03.1996) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. März 1996 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen zwei ihm gegenüber ausgesprochene fristlose Kündigungen als Geschäftsführer der Beklagten.
Er war seit dem Jahre 1966 bei der Beklagten beschäftigt, wurde Anfang 1991 neben Rosemarie S.-B. (kaufmännischer Bereich) zum Geschäftsführer der Beklagten berufen (technischer Bereich) und schloß mit der Beklagten am 31. März 1993 einen entsprechenden Anstellungsvertrag. Gleichzeitig übernahm er einen Geschäftsanteil von 25 % an der Beklagten. Rosemarie S.-B. hält 70 %, ihre Mutter Kate S. 5 %. Im Jahre 1994 kam es zu Unstimmigkeiten. Die Gesellschafterversammlung der Beklagten berief am 14. Dezember 1994 den anwesenden Kläger als Geschäftsführer ab und kündigte den Anstellungsvertrag fristlos. Diese fristlose Kündigung wurde am 19. Dezember 1994 wiederholt und hilfsweise die ordentliche Kündigung ausgesprochen.
In dem Verfahren 4 O 588/94 LG Gießen hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß das Dienstverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 14. Dezember 1994 nicht aufgelöst worden sei. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte am 20. März 1995 eine weitere fristlose Kündigung ausgesprochen, gegen die der Kläger im Verfahren 4 O 133/95 LG Gießen ebenfalls eine entsprechende Feststellungsklage erhoben hat. Diese Klage hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufungen der Parteien hat das Oberlandesgericht die beiden Verfahren verbunden und die Klagen insgesamt abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat den Begriff des „wichtigen Grundes” (§ 626 Abs. 1 BGB) nicht verkannt.
1. Ein solcher Grund liegt vor, wenn eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu einem ordentlichen Ablauf unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile dem Kündigenden nicht zugemutet werden kann (Sen. Urt. v. 23. Oktober 1995 – II ZR 130/94, WM 1995, 2064, 2065 m.w.N.). Dabei ist nicht nur zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden, vielmehr müssen bei der zusätzlich erforderlichen Interessenabwägung alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles daraufhin abgewogen werden, ob es dem Kündigenden unzumutbar ist, das Dienstverhältnis bis zum Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung fortzusetzen (Sen. Urt. v. 19. Oktober 1987 – II ZR 97/87, BGHR BGB § 626 Abs. 1 – wichtiger Grund 1 = WM 1988, 165, 166).
2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger in erheblichem Umfang Arbeitskräfte der Beklagten für den Bau seines privaten Hauses eingesetzt und hierzu Materialien der Beklagten verwendet. Ohne Rechtsverstoß hat das Berufungsgericht angenommen, daß dieser Sachverhalt einen wichtigen Grund für die fristlose Kündigung bildet.
II. Die weitere Feststellung des Berufungsgerichts, der Mitgesellschafterin Rosemarie S.-B. sei dieses Verhalten des Klägers nicht bekannt gewesen, beruht jedoch auf einem Verfahrensfehler. Der Kläger hat die vor dem Berufungsgericht benannten Zeuginnen W. und T. nicht nur dazu benannt, was auf den einzelnen Einsatztafeln und Rapportzetteln verzeichnet war, sondern auch dazu, Rosemarie S.-B. sei sein Verhalten bekannt gewesen, ohne daß sie etwas dagegen unternommen habe. Zu diesem bestrittenen Vortrag hätte das Berufungsgericht die benannten Zeuginnen hören müssen.
Das Berufungsgericht durfte die Vernehmung dieser Zeuginnen auch nicht unter dem Gesichtspunkt unterlassen, daß es für die Kenntnis der Umstände, die den wichtigen Grund bilden, auf das zuständige Organ, hier also auf die Gesellschafterversammlung, ankommt (Sen. Urt. v. 9. November 1992 – II ZR 234/91, GmbHR 1993, 33, 34 f. = ZIP 1993, 32, 34). Die Mitgesellschafterin Rosemarie S.-B. vertrat kraft notariell beurkundeter Vollmacht ihre Mutter, Kate S. Ihre etwaige Kenntnis von dem Vorgehen des Klägers reichte daher aus (§ 166 Abs. 1 BGB).
III. Für das weitere Verfahren ist auf folgendes hinzuweisen:
1. Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt ab Kenntnis zu laufen. Darunter ist zu verstehen, daß der Kündigungsberechtigte zu Beginn der Frist eine sichere und umfassende Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen haben muß. Das ist der Fall, wenn alles in Erfahrung gebracht ist, was als notwendige Grundlage für die Entscheidung über den Fortbestand oder die Auflösung des Anstellungsverhältnisses anzusehen ist (Sen. Urt. v. 26. Februar 1996 – II ZR 114/95, ZIP 1996, 636 = NJW 1996, 1403 f.). Deshalb ist die Feststellung des Landgerichts, auf die das Berufungsurteil Bezug nimmt, die Mitgesellschafterin habe zwar Kenntnis gehabt, sie sei aber „jedenfalls nicht über Leistungen in solchem Umfang informiert …, wie sie aufgrund der Beweisaufnahme feststehen”, gewesen, nicht geeignet, die Frist in Lauf zu setzen (vgl. zu den Voraussetzungen hierfür Sen. Urt. v. 24. November 1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77, 78). Hieraus läßt sich die Schwere der klägerischen Verfehlungen nicht mit der erforderlichen Genauigkeit ableiten. Entscheidend ist, wann der Mitgesellschafterin das volle Ausmaß der gesellschaftswidrigen Tätigkeit des Klägers bekannt geworden ist.
2. Die Feststellung des Landgerichts könnte jedoch in anderem Zusammenhang an Bedeutung gewinnen. Der Kündigende trägt die Behauptungs- und Beweislast dafür, erst innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB Kenntnis von den die Kündigung rechtfertigenden Tatumständen erlangt zu haben (Sen. Urt. v. 2. Juli 1984 – II ZR 16/84, ZIP 1984, 1113 f.). Hatte die Beklagte über ihre Mehrheitsgesellschafterin „dem Grunde nach” schon längere Zeit Kenntnis von dem Verhalten des Klägers, erweist sich ihre Behauptung, sie habe hiervon überhaupt nichts gewußt, als unrichtig. Dieser Umstand wäre bei der Beweiswürdigung zu beachten.
3. War die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt, konnte die Beklagte die ihr nachträglich bekanntgewordenen Kündigungsgründe auch für die Kündigung vom 14. Dezember 1994 heranziehen.
IV. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise die notwendigen ergänzenden Feststellungen treffen kann.
Unterschriften
Röhricht, Dr. Hesselberger, Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Kraemer
Fundstellen