Entscheidungsstichwort (Thema)
Branntweinsteuererhöhung 1976. Besteuerung alkoholischer Getränke
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach der Begriffsbestimmung der Steuer, wie sie in § 1 AO 1977 ihren Niederschlag gefunden hat und wie sie auch für das Grundgesetz gilt, sind Steuern zur allgemeinen Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs bestimmt. Dies schließt nicht aus, daß wirtschaftslenkende Maßnahmen oder andere Zwecke mit der Erhebung von Steuern in verfassungskonformer Weise verfolgt werden können.
2. Eine verfassungsrechtliche Argumentation im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG, die auf die Beeinträchtigung der Endverbraucher durch eine überhöhte Branntweinsteuer eingeht, ist ohne Relevanz.
3. Der Gesetzgeber ist nach dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht gehalten, die Besteuerung auf der Grundlage eines schematischen Steuersatzes bezogen auf den Alkoholgehalt des einzelnen Getränkes durchzuführen.
4. Branntwein muß von Verfassungs wegen nicht in gleicher Weise wie Bier, Schaumwein oder Wein besteuert werden.
5. Die Branntweinsteuererhöhung vom 5. Mai 1976 stellt keinen verfassungswidrigen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung dar.
Normenkette
BranntwMonG § 84 Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
Nach der Begriffsbestimmung der Steuer, wie sie in § 1 der Abgabenordnung 1977 ihren Niederschlag gefunden hat und wie sie auch für das Grundgesetz gilt (vgl. BVerfGE 7, 244), sind Steuern zur allgemeinen Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs bestimmt (vgl. im einzelnen Tipke-Kruse, Komm. zur AO 1977 und EGO, 11.Aufl. § 3 AC Anm. 9). Dies schließt nicht aus, daß wirtschaftslenkende Maßnahmen oder andere Zwecke mit der Erhebung von Steuern in verfassungskonformer Weise verfolgt werden können (vgl. BVerfGE 30, 250 ≪264≫).
Wie sich aus dem Gesetzgebungsverfahren (Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Tabaksteuergesetzes und des Gesetzes über das Branntweinmonopol vom 23. Dezember 1975 – BTDrucks. 7/4518 –) ergibt und wie die Beschwerdeführerin betont hat, ist die Erhöhung der Branntweinsteuer ausschließlich zur Konsolidierung der Bundeshaushalte der Jahre 1977, 1978 und 1979 erfolgt. Sie sollte in 1977 zu einer Mehreinnahme von 300 Millionen DM führen, nicht aber etwa unmittelbar auf den Abbau von Alkoholmißbrauch hinwirken (vgl. Verh. des Deutschen Bundestages, 7. Wp., 242. Sitzung, StenBer. S. 17 115).
Die Anhebung von Steuern zur Schließung von Haushaltslücken ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (zur gesteigerten Wertungs- und Abstufungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Sanierung des Staatshaushalts vgl. BVerfGE 60, 16 ≪43≫). Dabei steht es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, in welchen Bereichen er eine Steuererhöhung für vertretbar und angebracht erachtet.
1. Der Gleichheitssatz hat im Steuerrecht seine besondere Ausprägung in Form des Grundsatzes der Steuergerechtigkeit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefunden (BVerfGE 50, 386 ≪391≫). Dabei ist im Rahmen der Prüfung der mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffenen Regelung, auf die unterschiedliche Verbrauchsbesteuerung von Trinkbranntweinerzeugern, Bierbrauereien, Schaumweinproduzenten und Winzern abzustellen. Daher ist eine verfassungsrechtliche Argumentation im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG ohne Relevanz, die auf die Beeinträchtigung der Endverbraucher durch eine überhöhte Branntweinsteuer eingeht.
Voraussetzung für die Übereinstimmung einer Regelung mit dem Gleichheitssatz im Bereich des Steuerrechts ist lediglich, daß die gewählte Differenzierung auf sachgerechten Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 21, 12 ≪26≫; 26, 1 ≪8≫).
In diesem Zusammenhang ist zunächst festzustellen, daß der Gesetzgeber nur bei der Branntweinsteuer die Verbrauchsteuer nach dem Hektolikter Weingeist bemißt (§ 84 Abs. 2 des Gesetzes über das Branntweinmonopol), während der Steuergegenstand bei der Schaumweinsteuer die Flasche bzw. der Liter Schaumwein ist (§ 2 des Schaumweinsteuergesetzes) und bei Bier an den Hektoliter angeknüpft wird (§ 3 Abs. 1 des Biersteuergesetzes). In dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Gutachten wird ausgeführt, daß bei einer Vergleichsberechnung der Liter Weingeist
bei Schaumwein |
mit |
1 676 DM |
und bei Bier |
mit |
365 DM |
besteuert werde.
Mit der Beschwerdeführerin soll ungeachtet der speziellen Art der Besteuerung davon ausgegangen werden, daß alle alkoholischen Getränke Äthylalkohol enthalten, der im Ergebnis bei Wein unbesteuert bleibt und bei den anderen Produkten in unterschiedlicher Höhe besteuert wird. Andererseits sind die einzelnen Erzeugnisse untereinander von völlig anderer Beschaffenheit, so daß der Gesetzgeber nach dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht gehalten ist, die Besteuerung auf der Grundlage eines schematischen Steuersatzes bezogen auf den Alkoholgehalt des einzelnen Getränkes durchzuführen. So kann die auf der Berechnungsgrundlage der Beschwerdeführerin sich ergebende Differenz von 274 DM pro 100 l reinen Alkohols zwischen Brannt- und Schaumwein vernachlässigt werden. Insoweit erlaubt der Unterschied zwischen Schaumwein und Branntwein ohne weiteres eine abweichende steuerliche Belastung.
In der zweiten und dritten Beratung des Entwurfs der Änderung des Tabaksteuergesetzes und des Gesetzes über das Branntweinmonopol wurde auch auf die Vorschläge der Verbände eingegangen, die Biersteuer zu erhöhen und eine Weinsteuer zu erheben, und zwar zum Teil anstelle der beabsichtigten Branntweinsteuererhöhung (StenBer., a.a.O., S. 17 114). Dies ist mit der Begründung abgelehnt worden, daß die Weinsteuer zu einer neuen Bagatellsteuer mit einem ganz erheblichen Verwaltungsaufwand führen würde und daß die Ertragshoheit für die Biersteuer bei den Ländern liege – Art. 106 Abs. 2 Nr. 5 GG – (StenBer., a.a.O., S. 17 114 f.). Da sich der Gesetzgeber im Rahmen seiner weitgehenden Gestaltungsfreiheit im Bereich des Steuerrechts beispielsweise von finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen oder steuertechnischen Erwägungen leiten lassen kann, ist die mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffene gesetzliche Regelung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (vgl. BVerfGE 50, 386 ≪392≫). Wenn die Beschwerdeführerin vorträgt, der Bund habe die Gesetzgebungshoheit für die Biersteuer und von dieser hätte er Gebrauch machen müssen, so kann dem nicht gefolgt werden. Der Gleichheitssatz kann den Gesetzgeber nicht zu gesetzgeberischen Maßnahmen zwingen, die zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels (hier Sanierung des Bundeshaushalts) ungeeignet sind.
2. Aus der Sicht der Beschwerdeführerin handelt es sich bei § 84 des Branntweinmonopolgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes und des Gesetzes über das Branntweinmonopol vom 5. Juli 1976 um eine Regelung der Berufsausübung, die ihr eine in ihrer Einseitigkeit unverhältnismäßige und unzumutbare Belastung auferlege und daher verfassungswidrig sei.
Der besondere Freiheitsraum, den Art. 12 Abs. 1 GG sichern soll, kann auch durch Vorschriften berührt werden, die infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Freiheit der Berufswahl mittelbar zu beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 13, 181 ≪185 f.≫). Entsprechend kann sich eine Steuernorm als Regelung der Berufsausübung darstellen, für die Art. 12 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab in Betracht kommt. Indessen kann von einer unzumutbaren Belastung der Beschwerdeführerin mit der Folge der Verfassungswidrigkeit der mittelbar angegriffenen Vorschrift wegen Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG nicht ausgegangen werden. Das folgt einmal aus der Abwälzbarkeit der Steuer und zum anderen daraus, daß nach dem eigenen Vortrag der Beschwerdeführerin der Absatz an branntweinhaltigen Getränken durch die Erhöhung der Steuer nicht wesentlich beeinträchtigt wird: „Das Trinkbedürfnis etwa nach Branntwein ist ein anderes als das nach Wein oder Bier. Die Befriedigung dieses Bedürfnisses wird beim Kauf die wesentliche Rolle spielen; wirtschaftliche Überlegungen werden dagegen nur nachrangige Bedeutung haben” (Gutachten S. 52, vgl. auch S. 49 ff.).
Durch die Erhöhung der Branntweinsteuer verteuerte sich – unter – Berücksichtigung einer vorgesehenen Mehrwertsteueranhebung – die 0,7-Literflasche der nachstehend aufgeführten Spirituosen wie folgt (BTDrucks 7/4518, S. 6):
Eierliköre |
(20 Vol. v.H.) |
0,47 Deutsche Mark |
Fruchtsaftliköre |
(25 Vol. v.H.) |
0,60 Deutsche Mark |
andere Liköre |
(30 Vol. v.H.) |
0,71 Deutsche Mark |
Korn |
(32 Vol. v.H.) |
0,76 Deutsche Mark |
Doppelkorn, Weinbrand |
(38 Vol. v.H.) |
0,90 Deutsche Mark |
Obstwässer |
(40 Vol.v.H.) |
0,95 Deutsche Mark |
Whisky |
(43 Vol. v.H.) |
1,02 Deutsche Mark |
Auch aus dieser Aufstellung, die steuerbedingt eine nur relativ geringfügige Erhöhung der Endverbraucherpreise ergäbe, folgt, daß die mittelbar angegriffene Regelung keinen verfassungswidrigen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung der Beschwerdeführerin darstellt.
3. Die von der Beschwerdeführerin unmittelbar angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen und der Steuerbescheid des Hauptzollamts beruhen auf der gesetzlichen Regelung. Daß die Gerichte oder das Hauptzollamt unter anderen Gesichtspunkten Verfassungsrecht verletzt hätten, ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen