Diesen Anforderungen wird der Vorlagebeschluß nicht gerecht. Dabei kann es offen bleiben, ob das Sozialgericht die Entscheidungserheblichkeit des § 44e Abs. 1 Satz 3 BKGG für den gesamten Rechtsstreit hinreichend dargetan hat. Denn es hat sich jedenfalls bei seinen Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit dieser Vorschrift mit naheliegenden Gesichtspunkten nicht befaßt.
a) Die Begründung des Vorlagebeschlusses läßt eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 14 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG vermissen. Der Vorlagebeschluß geht nicht darauf ein, daß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sozialrechtliche Ansprüche nur dann den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG genießen, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Betroffenen beruhen (vgl. BVerfGE 53, 257 ≪290 f.≫; 97, 271 ≪284≫). Ferner bleibt unerörtert, daß das rechtsstaatliche Vertrauensschutzprinzip nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rückwirkenden Regelungen nicht ausnahmslos entgegensteht. Vielmehr sind selbst Regelungen mit echter Rückwirkung zulässig, wenn die ursprüngliche Rechtslage unklar und verworren oder lückenhaft war (vgl. BVerfGE 30, 367 ≪388≫; 88, 384 ≪404≫). Dies gilt ferner dann, wenn der Gesetzgeber eine nichtige Bestimmung rückwirkend durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm ersetzt (vgl. BVerfGE 7, 89 ≪94≫; 13, 261 ≪272≫).
b) Bei der Frage der Vereinbarkeit der zur Prüfung gestellten Bestimmung mit Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG befaßt sich der Vorlagebeschluß zwar mit der Anordnung des Bundesverfassungsgerichts, in den noch nicht bestandskräftig abgeschlossenen Fällen die Benachteiligung der betroffenen Familien zu beheben (vgl. BVerfGE 82, 60 ≪97≫). Das vorlegende Gericht setzt sich aber nicht mit der Tragweite dieses Regelungsauftrags und mit den vom Gesetzgeber hierzu angestellten Überlegungen auseinander.
Das Bundesverfassungsgericht hat in dem genannten Kindergeldbeschluß erkennbar an die Regelung des § 79 Abs. 2 BVerfGG angeknüpft, die für den hier vorliegenden Fall der Unvereinbarkeitserklärung grundsätzlich analoge Anwendung findet (vgl. BVerfGE 37, 217 ≪262 f.≫; 81, 363 ≪384≫; stRspr). Danach ist der Gesetzgeber nicht verpflichtet, die Wiederaufnahme aller auf der Grundlage einer verfassungswidrigen Norm bestandskräftig abgeschlossenen Fälle anzuordnen. Vielmehr kann er aus Gründen des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit bestimmen, daß in der Vergangenheit abgeschlossene und mit Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbare Entscheidungen unberührt bleiben. Der Gesetzgeber muß lediglich für die noch schwebenden und alle künftigen Fälle eine verfassungsmäßige Regelung treffen (vgl. BVerfGE 20, 230 ≪235 f.≫; 97, 35 ≪48≫).
Wie vorzugehen ist, wenn ein Verfahren in der Vergangenheit zwar nicht förmlich beendet, aber formlos eingestellt wurde, ist in § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht ausdrücklich geregelt. Auch das Bundesverfassungsgericht ist in dem erwähnten Beschluß auf die Frage nicht näher eingegangen, welche Folgen es für die nachträgliche Anhebung des Kindergeldanspruches hat, wenn es nur deswegen zu keiner förmlichen Minderungsentscheidung gekommen ist, weil der Kindergeldberechtigte nur den Sockelbetrag beantragt und die für eine Überprüfung des Erhöhungsanspruchs maßgeblichen Steuerbescheide nicht in angemessener Zeit vorgelegt hat.
Der Gesetzgeber hat diese Regelungslücke dadurch geschlossen, daß er die Fälle der faktischen Einstellung des Verfahrens den Fällen des förmlichen Abschlusses gleichgestellt hat. Wer in Kenntnis der maßgeblichen Einkommensteuerfestsetzung nur den kindergeldrechtlichen Sockelbetrag verlangt habe, müsse nicht so gestellt werden wie Kindergeldberechtigte, die eine gegen sie erlassene Minderungsentscheidung mit den zulässigen Rechtsbehelfen angegriffen hätten. Dasselbe gelte für Berechtigte, die zunächst nur den Sockelbetrag beantragt und nicht innerhalb eines halben Jahres nach der maßgeblichen Steuerfestsetzung eine Kindergelderhöhung verlangt hätten (vgl. BTDrucks 12/219, S. 42).
Mit diesen Motiven des historischen Gesetzgebers setzt sich die Richtervorlage nicht auseinander. Sie befaßt sich nicht mit der Frage, ob die in § 44e Abs. 1 Satz 3 BKGG getroffene Gleichstellung der formlos eingestellten und der förmlich beendeten Verfahren mit der vom Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage des § 79 Abs. 2 BVerfGG vorgenommenen Interessenabwägung in Einklang steht. Sie geht auch nicht näher darauf ein, ob durch die Regelung des § 44e Abs. 1 Satz 3 BKGG eine sachgerechte Gleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte herbeigeführt wird, wie dies in Rechtsprechung und Literatur angenommen wird (vgl. BSG vom 13. August 1996, 10 BKG 10/96; Wickenhagen/Krebs, Kindergeldgesetze, Stand 1992, § 44e BKGG Rn. 4, 7). Schließlich prüft der Vorlagebeschluß nicht, ob die Regelung des § 44e Abs. 1 Satz 3 BKGG Parallelen in anderen Übergangsregelungen findet. So hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in einer Entscheidung zur Berücksichtigung des familiären Existenzminimums bei der Beamtenbesoldung ausgeführt, daß der Beamte nicht erwarten könne, aus Anlaß einer verfassungsrechtlich gebotenen Besoldungskorrektur gewissermaßen ohne eigenes Zutun nachträglich in den Genuß der Befriedigung eines womöglich Jahre zurückliegenden Unterhaltsbedarfs zu kommen, den er selbst gegenüber seinem Dienstherrn zeitnah nicht geltend gemacht habe (vgl. BVerfGE 81, 363 ≪385≫).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.