Leitsatz
Das Elterngeld, das ein behindertes Kind, für das Kindergeld begehrt wird, wegen der Betreuung und Erziehung seines eigenen Kindes erhält, gehört in vollem Umfang zu den Bezügen, die zur Abdeckung des Grundbedarfs des behinderten Kindes geeignet sind.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, § 67 Satz 2, § 74 Abs. 1 EStG, § 10 Abs. 1 BEEG
Sachverhalt
Die 1989 geborene Klägerin ist schwerbehindert (GdB 100, Merkzeichen Bl, H, G und B) und Mutter von drei Kindern, die 2010, 2011 und 2012 geboren wurden. Sie bezog Blindengeld, Leistungen nach dem SGB II sowie Elterngeld nach dem BEEG von zunächst 300 EUR und nach der Geburt des zweiten Kindes 375 EUR. Der Beigeladene, ihr Vater, beantragte für sie Kindergeld. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab, weil die Behinderung der Klägerin nicht ursächlich dafür sei, dass sie sich nicht selbst unterhalten könne.
Das FG wies die Klage ab (FG Düsseldorf, Urteil vom 23.5.2013, 14 K 2164/11 Kg, EFG 2013, 1243). Es entschied, die Klägerin sei zwar nicht dazu imstande, sich selbst zu unterhalten. Dafür sei aber nicht ihre Behinderung ursächlich, denn sie könne nach dem eingeholten Sachverständigengutachten eine vollschichtige Berufstätigkeit ausüben.
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies zurück. Im zweiten Rechtsgang ist zum einen nochmals die Behinderungsbedingtheit der Unfähigkeit zum Selbstunterhalt zu prüfen und zum anderen sind, da es Hinweise auf eine nicht laufende Zahlungsweise des Elterngeldes gab, die Bezüge monatsweise zuzuordnen.
Hinweis
1. Nach § 67 Satz 2 EStG kann außer dem Berechtigten auch derjenige einen Antrag auf Kindergeld stellen, der ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kindergeldes hat. Das kann gemäß § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG auch das Kind selbst sein, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltsverpflichtet ist. Aus der Antragsbefugnis des Kindes folgt zugleich die Klagebefugnis in einem finanzgerichtlichen Verfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit eines Kindergeld-Ablehnungsbescheides gestritten wird.
2. Kinder werden gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG berücksichtigt, wenn sie wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande sind, sich selbst zu unterhalten, und die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist. Ein Kind ist außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Der Lebensbedarf eines behinderten Kindes setzt sich aus dem Grundbedarf und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Der Grundbedarf orientierte sich am Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG a.F.); derzeit ist entsprechend § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG der Grundfreibetrag von 8.354 EUR anzusetzen.
3. Die Prüfung des Imstandeseins zum Selbstunterhalt ist für jeden einzelnen Monat durchzuführen. Erreichen die Einkünfte und Bezüge des Kindes die Summe aus Grundbedarf und behinderungsbedingtem Mehrbedarf, so kann das Kind sich selbst unterhalten.
4. Blindengeld (hier monatlich 609 EUR) deckt den durch Blindheit verursachten Mehrbedarf auch insoweit ab, als es den anteiligen Pauschbetrag nach § 33b Abs. 3 Satz 3 EStG von monatlich 308 EUR übersteigt. Denn es ist zu vermuten, dass in Höhe des tatsächlich ausgezahlten Blindengeldes ein behinderungsbedingter Mehraufwand besteht.
5. Zu den Bezügen, mit deren Hilfe ein behindertes Kind den existenziellen Grundbedarf abdecken kann, gehören nach gefestigter BFH-Rechtsprechung auch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und für die Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II sowie Grundsicherung nach §§ 41ff. SGB XII. Das ist insofern problematisch, als derartige bedarfsorientierte Sozialleistungen grundsätzlich gegenüber dem Kindergeld nachrangig sind, sodass die Sozialleistungsträger das Kindergeld anrechnen oder – im Wege der Abzweigung oder eines Erstattungsanspruchs – selbst erhalten können. Bei behinderten Kindern lassen dagegen ausreichend hohe Sozialleistungen den Kindergeldanspruch entfallen.
6. Zu den Bezügen des behinderten Kindes gehört auch das Elterngeld für seine Kinder (= Enkel des Kindergeldberechtigten). Das FG war dagegen der Ansicht, nur Elterngeld, das den Betrag von 300 EUR überschreite, führe zu anzusetzenden Bezügen und bezog sich hierzu auf Abschn. 63.4.2.3.1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der DA‐FamEStG 2009, BStBl I 2009, 1033 (aufgegeben in der DA‐FamEStG, BStBl I 2012, 739). Diese Anweisung dürfte wegen § 10 Abs. 1 BEEG ergangen sein, wonach das Elterngeld bei einkommensabhängigen Sozialleistungen bis zu einer Höhe von insgesamt 300 EUR im Monat unberücksichtigt bleibt. Diese Vorschrift ist bei der Prüfung der Fähigkeit zum Selbstunterhalt jedoch nicht anwendbar, weil der Anspruch auf Kindergeld originär dem Kindergeldberechtigten – in der Regel einem Elternteil – zusteht und nicht dem Kind, das wegen eines eigenen Kindes Elterngeld bezieht.
7. Die von einem Gutachter bestätigte Möglichkeit, eine vollschichtige Tätigkeit auszuü...