Leitsatz
Übernimmt der Betreiber einer Baumschule auf Wunsch eines Teils seiner Kunden auch das Einpflanzen der dort gekauften Pflanzen, können die (dem ermäßigten Steuersatz unterliegende) Lieferung der Pflanzen und das (dem Regelsteuersatz unterliegende) Einpflanzen umsatzsteuerrechtlich jeweils selbstständige Leistungen sein (entgegen BMF in BStBl I 2004, 638, 646 f. Rz. 35 Nr. 1 Abs. 1 und Rz. 41).
Normenkette
§ 12 Abs. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1993/1999; Anlage zum UStG 1993/1999 Nrn. 6 bis 9
Sachverhalt
Eine Baumschule verkaufte die Pflanzen zu 80 % "pur", zu 20 % übernahm sie auch das Einpflanzen. Ob dies zwei Leistungen seien oder eine einheitliche Leistung, war streitig. Das FG (FG Nürnberg, Urteil vom 11.04.2006, II 356/2004, EFG 2006, 1708) bestätigte den Inhaber der Baumschule, den Kläger.
Entscheidung
Die Revision des FA hatte keinen Erfolg. Der BFH hat die Beurteilung des FG bestätigt: Das FG hatte ausgeführt, das Einpflanzen, das für sich allein als sonstige Leistung zu werten sei, verliere durch die vorhergehende Pflanzenlieferung nicht seine Selbstständigkeit. Das Interesse des Verbrauchers, der Pflanzen in einer Baumschule oder in einem Gartencenter erwerbe, richte sich in erster Linie auf die Erlangung der Verfügungsmacht über die Pflanzen. Dies werde belegt durch das Verhältnis der Umsätze des Klägers aus reinen Pflanzenlieferungen (80 %) und der Umsätze aus Pflanzenlieferung verbunden mit Pflanzarbeiten (20 %). Das Angebot des Einpflanzens stelle sich als naheliegendes Zusatzangebot dar. Nehme der Verbraucher dieses Zusatzangebot wahr, verliere er deswegen nicht sein primäres Interesse an der Pflanzenlieferung.
Hinweis
1. Die Kriterien des EuGH, wonach mehrere Leistungen (Lieferungen und/oder sonstige Leistungen) als einheitlich oder als selbstständig zu beurteilen sind, sind schon mehrfach wiedergegeben worden. Grundsatz ist: Jede Leistung ist als eigenständige, selbstständige Leistung zu betrachten; allerdings darf eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Maßgeblich ist insoweit die Sicht des Durchschnittsverbrauchers: Einheitliche Leistung bei Haupt- und Nebenleistung (im Sinn einer Leistung, die für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen) oder bei enger Verbindung der beiden Leistungen, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.
Getrennte Abrechnung als allein ausschlaggebendes Kriterium haben EuGH und BFH verneint – zu Recht, denn das liefe auf eine Art Wahlrecht des Unternehmers hinaus. Auch das Verhältnis der Preise zwischen den betreffenden Leistungen soll (jedenfalls) kein ausschlaggebendes Kriterium sein, kann aber jedenfalls als "objektive Gegebenheit" (so der EuGH) eine Indizwirkung haben.
2. Dass eine Leistung auch für sich bestehen kann, kann allein nicht – wie dem EuGH-Urteil vom 11.06.2009, C-572/07 – RLRE Tellmer Property, BFH/NV 2009, 1368 zu entnehmen sein könnte – entscheidend sein. Denn ebenso wie das Reinigen von Gemeinschaftsflächen eines vermieteten Mehrfamilienhauses (EuGH-Urteil Tellmer Property: selbstständige Leistungen) und das Verlegen eines Unterseekabels eine selbstständige Leistung sein könnte (EuGH-Urteil vom 29.03.2007, C-111/05 – Aktiebolaget NN: einheitliche Leistung, BFH/NV Beilage 2007, 293), könnte dies auch der Transport des Hotelkunden vom Bahnhof zum Hotel (EuGH-Urteil vom 22.10.1998, C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin: Nebenleistung zu Unterbringung, Haufe-Index 60670). Die Ergebnisse, die der EuGH den Mitgliedstaaten nahelegt, sind gleichwohl verschieden. Regel-(Selbstständigkeit der Leistungen) und Ausnahme (Beurteilung als einheitliche Leistung), Verhältnis der Preise sowie die Behandlung der am Umsatz Beteiligten – die, bei selbstständiger Vereinbarung, schließlich auch für Mängelfolgen von Bedeutung sein kann – und die Denkfigur der Beurteilung des Durchschnittsverbrauchers sind als Kriterien brauchbar. Dass sich darüber im Einzelfall trefflich streiten lässt, ist wie bei jeder wertenden Beurteilung vorprogrammiert.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 25.06.2009 – V R 25/07