Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbschaft- und Schenkungsteuer, Im Inland belegene Immobilie, Ansässigkeit des Erblassers in anderem Mitgliedstaat, Unterschiedliche Freibetragsregelung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 63 AEUV verstoßen, dass sie Rechtsvorschriften erlassen und beibehalten hat, nach denen bei Anwendung der Erbschaft- und Schenkungsteuer in Bezug auf eine in Deutschland belegene Immobilie nur ein geringer Freibetrag gewährt wird, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes oder der Schenker zur Zeit der Ausführung der Schenkung und der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig waren, während ein wesentlich höherer Freibetrag gewährt wird, wenn wenigstens einer der beiden Beteiligten zur betreffenden Zeit in Deutschland ansässig war.
2. Die Bundesrepublik Deutschland trägt die Kosten.
3. Das Königreich Spanien trägt seine eigenen Kosten.
Normenkette
AEUV Art. 63
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Tatbestand
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ‐ Art. 63 AEUV ‐ Freier Kapitalverkehr ‐ Schenkung- und Erbschaftsteuer ‐ Nationale Rechtsvorschriften, die einen höheren Freibetrag vorsehen, wenn der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes, der Schenker oder der Erwerber im Inland ansässig waren ‐ Gegenstand der Vertragsverletzungsklage ‐ Beschränkung ‐ Rechtfertigung“
In der Rechtssache C-211/13
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingelegt am 19. April 2013,
Europäische Kommission, vertreten durch W. Mölls und W. Roels als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze und A. Wiedmann als Bevollmächtigte,
Beklagte,
unterstützt durch
Königreich Spanien, vertreten durch A. Rubio González als Bevollmächtigten,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2014,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 63 AEUV verstoßen hat, dass sie Rechtsvorschriften erlassen und beibehalten hat, nach denen bei Anwendung der Erbschaft- und Schenkungsteuer in Bezug auf eine in Deutschland belegene Immobilie nur ein geringer Freibetrag gewährt wird, wenn der Schenker oder Erblasser und der Erwerber zum Zeitpunkt der Erbschaft oder Schenkung in einem anderen Mitgliedstaat ansässig waren, während ein wesentlich höherer Freibetrag gewährt wird, wenn wenigstens einer der beiden Beteiligten zu jenem Zeitpunkt in Deutschland ansässig war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 2
Art. 1 der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages [Artikel aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam] (ABl. L 178, S. 5) lautet:
„(1) Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert.
(2) Die mit dem Kapitalverkehr zusammenhängenden Zahlungstransaktionen erfolgen zu den gleichen Devisenbedingungen, die bei Zahlungen für laufende Transaktionen gelten.“
Rz. 3
Zu den in Anhang I der Richtlinie 88/361 aufgeführten Kapitalbewegungen gehören „Direktinvestitionen“ in Rubrik I, „Immobilieninvestitionen (soweit nicht unter I erfasst)“ in Rubrik II und der „Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“ in Rubrik XI, der u. a. Erbschaften und Vermächtnisse umfasst.
Deutsches Recht
Rz. 4
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 (BGBl. 1997 I S. 378), geändert am 8. Dezember 2010 (BGBl. 2010 I S. 1768) (im Folgenden: ErbStG), sieht vor, dass der Erwerb von Todes wegen und die Schenkungen unter Lebenden der Erbschaftsteuer bzw. Schenkungsteuer unterliegen.
Rz. 5
Nach § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 ErbStG tritt die Steuerpflicht ein
„1. in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer … ein Inländer ist, für den gesamten Vermögensanfall. Als Inländer gelten
a) natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) deutsche Staatsangehörige, die sich nicht länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland einen Wohnsitz...