Entscheidungsstichwort (Thema)
Schenkungsteuer, Steuerfreibetrag, Ausländischer Beschenkter, Schenkung unter Gebietsfremden
Leitsatz (amtlich)
Die Art. 63 AEUV und 65 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach bei Schenkungen unter Gebietsfremden die Steuer unter Anwendung eines niedrigeren Steuerfreibetrags berechnet wird, wenn der Erwerber keinen spezifischen Antrag stellt. Diese Artikel stehen auch und auf jeden Fall einer nationalen Regelung entgegen, wonach die Steuer auf Antrag eines solchen Erwerbers unter Anwendung des höheren Freibetrags berechnet wird, der für Schenkungen unter Beteiligung zumindest eines Gebietsansässigen gilt, wobei die Wahrnehmung dieser Option durch den gebietsfremden Erwerber bewirkt, dass für die Berechnung der Steuer auf die betreffende Schenkung alle Schenkungen, die dieser Schenkungsempfänger in den zehn Jahren vor und den zehn Jahren nach der Schenkung von derselben Person erhalten hat, zusammengerechnet werden.
Normenkette
AEUV Art. 63, 65
Beteiligte
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Beschluss vom 22.10.2014; Aktenzeichen 4 K 488/14; EFG 2014, 2153) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Freier Kapitalverkehr ‐ Art. 63 AEUV und 65 AEUV ‐ Schenkungsteuer ‐ Schenkung einer im Inland belegenen Immobilie ‐ Nationale Regelung, die für Gebietsansässige einen höheren Steuerfreibetrag vorsieht als für Gebietsfremde ‐ Bestehen einer optionalen Regelung, die es jeder in einem Mitgliedstaat der Union ansässigen Person erlaubt, den höheren Freibetrag in Anspruch zu nehmen“
In der Rechtssache C-479/14
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. Oktober 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Oktober 2014, in dem Verfahren
Sabine Hünnebeck
gegen
Finanzamt Krefeld
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter A. Arabadjiev, J.-C. Bonichot, S. Rodin und E. Regan (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Dezember 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Frau Hünnebeck, vertreten durch Rechtsanwalt M. Sarburg,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wasmeier, W. Roels und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Februar 2016
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 63 Abs. 1 AEUV und 65 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Sabine Hünnebeck und dem Finanzamt Krefeld über die Berechnung der Schenkungsteuer, die auf die Schenkung eines in Deutschland belegenen Grundstücks anfällt, dessen Miteigentümerin Frau Hünnebeck war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (Artikel aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam) (ABl. 1988, L 178, S. 5) lautet:
„(1) Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert.
(2) Die mit dem Kapitalverkehr zusammenhängenden Zahlungstransaktionen erfolgen zu den gleichen Devisenbedingungen, die bei Zahlungen für laufende Transaktionen gelten.“
Rz. 4
Zu dem in Anhang I der Richtlinie 88/361 aufgeführten Kapitalverkehr gehören unter Rubrik XI („Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“) u. a. Schenkungen und Stiftungen.
Deutsches Recht
Rz. 5
Das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 (BGBl. 1997 I S. 378), zuletzt geändert durch Art. 11 des Gesetzes vom 7. Dezember 2011 (BGBl. 2011 I S. 2592) (im Folgenden: ErbStG), sieht in § 1 („Steuerpflichtige Vorgänge“) vor:
„(1) Der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) unterliegen
1. der Erwerb von Todes wegen;
2. die Schenkungen unter Lebenden;
3. die Zweckzuwendungen;
…
(2) Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes über die Erwerbe von Todes wegen auch für Schenkungen und Zweckzuwendungen, die Vorschriften über Schenkungen auch für Zweckzuwendungen unter Lebenden.“
Rz. 6
§ 2 („Persönliche Steuerpflicht“) ErbStG bestimmt:
„(1) Die Steuerpflicht tritt ein
1. in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes, der Schenker zur Zeit der Ausführung der Schenkung oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuer (§ 9) ein Inländer ist, für den gesamten Vermögensanfall (unbeschränkte Steuerpflicht). Als Inländer gelten
a) natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz...