Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer, Verzinsung, Zinseszins, Höhe der Verzinsung bei zuviel entrichteter Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Das Recht der Union ist dahin auszulegen, dass nach ihm der Steuerpflichtige, der einen zu hohen Mehrwertsteuerbetrag entrichtet hat, der vom betreffenden Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Mehrwertsteuervorschriften der Union erhoben worden war, Anspruch auf Erstattung der unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Steuer sowie Anspruch auf deren Verzinsung haben muss. Ob der Hauptbetrag nach einer Regelung über die einfache Verzinsung, einer Zinseszinsregelung oder nach einer anderen Regelung zu verzinsen ist, ist nach nationalem Recht unter Beachtung der Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz zu bestimmen.
Normenkette
EGRL 112/2006
Beteiligte
Littlewoods Retail Ltd u.a |
Littlewoods Retail Ltd u. a |
HM Commissioners for Revenue and Customs |
Verfahrensgang
High Court of Justice (Vereinigtes Königreich) (Urteil vom 25.11.2010; ABl. EU 2011, Nr. C 89/12) |
Tatbestand
„Zweite und Sechste Mehrwertsteuer-Richtlinie ‐ Vorsteuer ‐ Erstattung des zu viel gezahlten Betrags ‐ Zinszahlungen ‐ Modalitäten“
In der Rechtssache C-591/10
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 25. November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 2010, in dem Verfahren
Littlewoods Retail Ltd u. a.
gegen
Her Majesty’s Commissioners for Revenue and Customs
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.-C. Bonichot und der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter K. Schiemann, E. Juhász, G. Arestis, A. Borg Barthet (Berichterstatter) und D. Šváby sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. November 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Littlewoods Retail Ltd u. a., vertreten durch D. Anderson und L. Rabinowitz, QC, sowie durch S. Elliott, Barrister,
‐ der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Murrell als Bevollmächtigte im Beistand von D. Wyatt, QC,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, K. Petersen und J. Möller als Bevollmächtigte,
‐ der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und N. Rouam als Bevollmächtigte,
‐ der zyprischen Regierung, vertreten durch K. Lykourgos und E. Symeonidou als Bevollmächtigte,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels als Bevollmächtigte,
‐ der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und C. Soulay als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. Januar 2012
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Unionsrechts bei Ersatz eines finanziellen Schadens, den ein Steuerpflichtiger durch die Überzahlung von Mehrwertsteuer erlitten hat.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den Gesellschaften der Littlewoods-Gruppe (im Folgenden: Littlewoods) auf der einen Seite und Her Majesty’s Commissioners for Revenue and Customs (im Folgenden: Commissioners) auf der anderen Seite wegen der Modalitäten für den Ersatz des finanziellen Schadens, den Littlewoods durch die Überzahlung von Mehrwertsteuer erlitten hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 8 und Anhang A Nr. 13 der Zweiten Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (ABl. 1967, Nr. 71, S. 1303) bestimmen die Besteuerungsgrundlage für die Mehrwertsteuer u. a. bei Lieferungen und Dienstleistungen.
Rz. 4
Art. 11 Teil C Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) bestimmt:
„Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Besteuerungsgrundlage unter von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.
Jedoch können die Mitgliedstaaten im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von dieser Regel abweichen.“
Recht des Vereinigten Königreichs
Rz. 5
Der Value Added Tax Act 1994 (Mehrwertsteuergesetz von 1994, im Folgenden: VATA 1994) enthält die Vorschriften über die Verwaltung, Erhebung und Durchführung der Mehrwertsteuer sowie über die Rechtsbehelfe, die bei einem Fachgericht eingelegt werden können. Dieses Ge...