Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine rückwirkende Änderung der vor dem 25. Geburtstag des in Ausbildung befindlichen Kindes zutreffend erfolgten Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 oder 3 EStG bei Weiterauszahlung des Kindergeldes über den 25. Geburtstag hinaus bis zum Abschluss der Berufsausbildung
Leitsatz (redaktionell)
1. Wurde Kindergeld für ein volljähriges, in Ausbildung befindliches Kind zeitlich unbefristet festgesetzt, überschreitet das Kind während der Ausbildung die zulässige Altersgrenze von 25 Jahren und wird das Kindergeld gleichwohl bis zum Ende der Berufsausbildung weiter ausgezahlt, so stellt die Überschreitung der für den Kindergeldanspruch maßgeblichen Altersgrenze keine „Änderung der Verhältnisse” i. S. d. § 70 Abs. 2 S. 1 EStG dar, die zu einer rückwirkenden Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab dem Monat nach Überschreitung der Altersgrenze berechtigen könnte.
2. Eine rückwirkende Änderung der Kindergeldfestsetzung (unter 1.) ist auch nicht nach § 70 Abs. 3 EStG möglich, da diese Vorschrift Fälle betrifft, in denen der zutreffende Sachverhalt der Familienkasse bekannt ist, sie die ihr bekannten Tatsachen jedoch rechtlich unzutreffend gewürdigt hat, oder in denen sie ihrer Entscheidung irrtümlich einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat; das ist nicht der Fall, wenn die Familienkasse vor Erreichen der Altersgrenze zutreffend Kindergeld festgesetzt hat.
3. Wurde das gegenüber einem Elternteil festgesetzte Kindergeld an das Kind abgezweigt, erfasst die Rechtswidrigkeit eines Aufhebungsbescheides gegenüber dem kindergeldberechtigten Elternteil in gleichem Umfang die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides gegenüber dem Kind, weil der (nicht aufgehobene) Bewilligungsbescheid Voraussetzung für die Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG und damit Rechtsgrund i. S. d. § 37 Abs. 2 AO für die Zahlung an das Kind ist.
Normenkette
EStG § 70 Abs. 2 S. 1, Abs. 3; EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG § 74 Abs. 1; AO § 37 Abs. 2 S. 1
Nachgehend
Tenor
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 28. Juni 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. September 2010 wird aufgehoben, soweit er den Zeitraum von Juli 2008 bis Juni 2010 betrifft.
Der Erstattungsbescheid vom 28. Juni 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. September 2010 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte ist befugt, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht der Kläger seinerseits zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der am 27. Juni 1983 geborene Kläger begann am 01. September 2007 eine Ausbildung zum Maler und Lackierer, die bis zum 30. August 2010 dauern sollte. Mit Antrag vom 5. Oktober 2007 beantragte seine Mutter, für ihn Kindergeld festzusetzen; gleichzeitig begehrte der Kläger die Abzweigung des Kindergeldes an sich. Die Beklagte entsprach den Anträgen. Sie setzte mit Bescheid vom 8. November 2007 für die Zeit ab September 2007 Kindergeld fest und zweigte mit Bescheid vom selben Tag den gesamten Betrag an den Kläger ab. In der entsprechenden (internen) „Kindergeld-Wiederbewilligungsverfügung/Kassenanordnung” wurde die Zahlung durch Erfassung des Eingabewerts „…” zu der Kennziffer 21 bis Juni 2010 befristet.
Mit an die Mutter des Klägers gerichtetem Bescheid vom 28. Juni 2010 hob die Beklagte gestützt auf § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) die Festsetzung des Kindergeldes ab Juli 2008 auf und forderte das danach überzahlte Kindergeld für die Zeit von Juli 2008 bis Juni 2010 in Höhe von 4096 Euro zurück. Die Rückforderung machte sie mit Erstattungsbescheid vom selben Tag gegenüber dem Kläger geltend. Zur Begründung führte sie aus, nach § 32 Abs. 4 Nr. 2 EStG könne Kindergeld nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gewährt werden. Dies sei bei dem Kläger nur bis zum Juni 2008 der Fall. Etwaige Verlängerungstatbestände (Ableistung des Grundwehrdienstes bzw. Zivildienstes) lägen nicht vor bzw. seien nicht nachgewiesen.
Dagegen hat der Kläger nach Zurückweisung seines Einspruchs Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, das Kindergeld sei ordnungsgemäß beantragt und es seien wahrheitsgemäße Angaben gemacht worden. Das Kindergeld sei aufgrund der entsprechenden Festsetzung zu Recht gezahlt worden. Falls tatsächlich ein Fehler vorliegen sollte, sei dieser Fehler der Beklagten zuzurechnen und nicht von ihm zu verantworten. Er habe darauf vertraut, dass sein Antrag ordnungsgemäß bearbeitet werde. Infolge der Aufnahme einer Berufsausbildung sei er der Auffassung gewesen, ihm stünde auf jeden Fall Kindergeld zu. Eine Aufhebung der Festsetzung sei nach § 70 Abs. 3 EStG erst ab dem auf die Neufestsetzung folgenden Monat möglich. Eine Korrektur nach § 70 Abs. 2 EStG sei nicht zulässig, ...