Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine verfassungswidrige Rückwirkung der Steuerpflicht von Erstattungszinsen. Rechtsfehlersaldierung durch das FG bei nur hinsichtlich eines Ehegatten eingetretener Festsetzungsverjährung. keine Anwendung von § 20a Abs. 3 AO auf Arbeitnehmer mit Wohnsitz im Inland. Grenzgebiet im Sinne des DBA Frankreich
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG i. d. F. des JStG 2010, wonach zu den Erträgen aus Kapitalforderungen auch Erstattungszinsen nach § 233a AO gehören, in allen offenen Fällen (vorliegend im Streitjahr 1999) verstößt weder gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot noch gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz.
2. Die Vorschriften über die Festsetzungsverjährung hindern das FG nicht daran, Fehler, die dem FA zugunsten des Gesamtschuldners, der sich auf die Festsetzungsverjährung berufen kann, unterlaufen sind, durch Saldierung zu Lasten des anderen Gesamtschuldners zu korrigieren, wenn diesem gegenüber noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist.
3. Nach § 20a Abs. 3 AO in Verbindung mit der sog. Arbeitnehmer-Zuständigkeitsverordnung-Bau vom 30. August 2001 (BGBl I 2001, 2276) ist für die Einkommensteuer eines Arbeitnehmers, der bei einem Unternehmen i. S. v. § 20a Abs. 1, 2 AO beschäftigt ist und der seinen Wohnsitz im Ausland hat, das in § 1 Abs. 1 oder 2 der Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung für seinen Wohnsitzstaat genannte FA zuständig. Diese Regelung gilt nicht für Arbeitnehmer mit Wohnsitz im Inland.
4. Bezogen auf in Deutschland ansässige Arbeitnehmer liegt das Grenzgebiet auf beiden Seiten der deutsch-französischen Grenze in allen französischen und deutschen politischen Gemeinden, deren Territorium mindestens teilweise in einem 20-Kilometer-Streifen entlang der Grenze liegt. Nicht erforderlich ist, dass der Grenzgänger selbst in dem Grenzstreifen von 20 km Breite wohnt bzw. dass die Arbeitsstätte selbst innerhalb des 20 km-Streifens liegt.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3, § 52a Abs. 8 S. 2 Fassung: 2010-12-08; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; AO § 20a Abs. 3, §§ 233a, 169, 177, 44; DBA FRA Art. 13 Abs. 1, 5 Buchst. b; FGO § 96 Abs. 1 S. 1
Nachgehend
Tenor
1. Unter Änderung des Einkommensteuerbescheides für 1996 vom … Juni 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … Januar 2012 wird die Einkommensteuer 1996 ohne Berücksichtigung einer Änderungssperre nach § 351 AO für den Kläger aber unter Beachtung der Kompensationsmöglichkeit insoweit, als für die Klägerin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.H.v. … EUR (wie im Bescheid vom 20. Dezember 2002) zu berücksichtigen wären, festgesetzt. Dem Beklagten wird aufgegeben, die Steuer nach dieser Maßgabe neu zu berechnen.
Im Übrigen wird die Klage als unbegründet abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern zu 4/5, dem Beklagten zu 1/5 auferlegt.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
4. Für das Streitjahr 1999 wird die Revision zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger – in den Streitjahren noch Eheleute – erzielten u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Kläger ist Gesellschafter-Geschäftsführer der Firmen …A. (in Deutschland) sowie …B. (in Frankreich). Die Klägerin war bei A angestellt.
Nachdem zunächst für die Streitjahre keine von beiden Klägern unterschriebenen Steuererklärungen eingereicht wurden, hatte der Beklagte am 20. Dezember 2002 Schätzungsbescheide zur Einkommensteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 AO erlassen, gegen die die Kläger am 20. Januar 2003 Einsprüche einlegten. Am 28. April 2003 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung erging aber nur für die Jahre 1996 bis 1999, nicht für 1995.
Die Kläger erhoben am 10. Juni 2003 für die Jahre 1996 bis 1999 Klage in den Verfahren 1 K 2181/03 und 1 K 2183/03. Das Finanzgericht legte die Klagen auch als Untätigkeitsklage für das Jahr 1995 aus, behandelte diese separat in den Verfahren 1 K 1021/07 (Kläger) und 1 K 1022/07 (Klägerin) und wies sie als unbegründet ab. Die Urteile in diesen Verfahren wurden auf die Nichtzulassungsbeschwerde durch den BFH aufgehoben und der Rechtsstreit an das Finanzgericht zurückgewiesen und in der Folgezeit eingestellt, da die Beteiligten das tatsächlich noch nicht abgeschlossene außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren betreffend 1995 zunächst fortführten. Hinsichtlich der Jahre 1996 bis 1999 wies das Finanzgericht mit Urteilen vom 25. April 2007 die Klagen in den Verfahren 1 K 2181/03 und 1 K 2183/03 als unzulässig (verfristet) ab. Die hiergegen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden (I B 80/07 und I B 81/07) wurden vom BFH mit Beschlüssen vom 25. September 2008 als u...