Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstreckung des § 62 Abs. 2 EStG auf Altfälle verfassungswidrig
Leitsatz (redaktionell)
1) Eine Klage ist auch insoweit zulässig, als mit ihr die Verurteilung der beklagten Behörde zur Gewährung von Kindergeld für die Monate nach Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung begehrt wird.
2) § 62 Abs. 2 EStG ist entgegen seinem Wortlaut einschränkend dahin auszulegen, dass der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung nicht für solche ausländischen Eltern gilt, die auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens 1 Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten.
Normenkette
EStG § 52 Abs. 61a S. 2, § 62 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin ist togolesische Staatsangehörige. Sie ist Mutter von drei in den Jahren 1995, 1997 und 2000 geborenen Kindern und lebt seit 1996 in Deutschland. Nach der Trennung von ihrem Ehemann im August 2003 stellte sie im September 2003 einen eigenen Kindergeldantrag. Bis September 2003 hatte der Ehemann der Klägerin das Kindergeld bezogen.
Da der Klägerin weder eine Aufenthaltserlaubnis noch eine Aufenthaltsberechtigung erteilt worden ist, sondern sie lediglich im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis ist, wurde ihr Kindergeldantrag mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 27. Oktober 2003 abgelehnt. Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 21. November 2003) erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, die ihr erteilte Aufenthaltsbefugnis sei vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes den in § 62 Abs. 2 EStG die erwähnten Aufenthaltstiteln gleichzustellen.
In der mündlichen Verhandlung erklärten die Beteiligten übereinstimmend, dass der Aufenthaltstitel der Klägerin auch nach Ablösung des AuslG durch das AufenthG zum 1. Januar 2005 nicht fortgeschrieben worden sei; die Klägerin habe bis jedenfalls Dezember 2006 den alten Aufenthaltstitel behalten.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 27. Oktober 2003 und der Einspruchsentscheidung vom 21. November 2003 zu verpflichten, dass Kindergeld für die Monate von Oktober 2003 bis Dezember 2004 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung. Da nicht festgestellt werden könne, dass die Klägerin einer Erwerbstätigkeit nachgehe, seien auch die Voraussetzungen der rückwirkend anzuwendenden Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG für die Gewährung von Kindergeld nicht gegeben. Angesichts des klaren Gesetzeswortlauts ergebe sich etwas anderes auch nicht daraus, dass die Ausweisung der Klägerin auf unbestimmte Zeit nicht möglich sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist insgesamt zulässig und begründet. Der Klägerin steht das beantragte Kindergeld zu, weil die Ausweisung der Klägerin auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist und sie sich seit über einem Jahr gestattet in der BRD aufhält.
I. Die Klage ist nicht nur hinsichtlich des Kindergelds für die Monate Oktober und November 2003 zulässig, sondern auch hinsichtlich der Monate Dezember 2003 bis Dezember 2004. Obwohl die Einspruchsentscheidung, mit der die Ablehnung des Kindergeldanspruchs bestätigt wurde, im November 2003 bekannt gegeben worden ist, hält das Gericht entgegen der Ansicht des Niedersächsischen FG im Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04 (EFG 2006, 751) eine Klage, mit der die Verurteilung der beklagten Behörde zu Gewährung von Kindergeld begehrt werden soll, auch für die Monate nach Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung für zulässig.
a) Das Niedersächsische FG hält in seinem Urteil vom 23. Januar 2006 eine Klage gegen einen die Festsetzung von Kindergeld ablehnenden Bescheid für insoweit unzulässig, als sich der Klageantrag auch auf die Monate nach der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids erstreckt. Dabei geht es unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 28. Januar 2004 VIII R 12/03 (BFH/NV 2004, 786) von der These aus, dass der Regelungsgehalt eines Bescheides, durch den ein Kindergeldantrag abgelehnt wird, lediglich den Zeitraum bis einschließlich des Monats der Bekanntgabe erfasse. In diesem BFH-Urteil heißt es zwar einerseits ausdrücklich, dass ein Bescheid, durch den ein ohne ausdrückliche zeitliche Beschränkung gestellter Kindergeldantrag abgelehnt wird, den Anspruch auf Kindergeld nur für den bis dahin abgelaufenen Zeitraum regelt und keine Regelungswirkung für künftige, bei Bescheiderlass noch nicht entstandene Kindergeldansprüche entfaltet. In der Entscheidung des VIII. Senat war allerdings – anders als im vorliegenden Fall – nicht das Kindergeld für künftige Monate streitig, die auf den Monat der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids folgten. Streitig war vielmehr, ob sich die Regelungswirkung eines im Dezember 2000 erlassenen Bescheides auch auf die vergangenen Monate vor Bescheiderlass erstreckte. Diese Frage beantwortete der BFH in s...