Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch für aus humanitären Gründen geduldete Ausländer
Leitsatz (redaktionell)
1) Der Senat hält entgegen der Ansicht des Niedersächsischen Finanzgerichts (FG Nds. v. 23.1.2006 - 16 K 12/04, EFG 2006, 751) eine Klage auf Gewährung von Kindergeld auch für die Monate nach Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung für zulässig.
2) Der Ausschluss von Ausländern von der Kindergeldberechtigung gilt entgegen § 62 Abs. 2 EStG i.d.F. des JStG 1996 nicht für solche ausländische Eltern, die auf unbestimmte Zeit aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden können und die sich seit mindestens einem Jahr ununterbrochen in Deutschland aufhalten, vgl. BVerfG v. 6.7.2004 - 1 BvL 4/97, 1 BvL 5/97, 1 BvL 6/97, BVerfGE 111, 160 = BFH/NV 2005, Beil. 2, 114.
3) Entgegen BFH v. 15.3.2007 - III R 93/03, BFH/NV 2007, 1234 ist die Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG v. 13.12.2006 nicht auf Sachverhalte vor dem 1.1. 2005 anwendbar.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 2 S. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin ist Staatsbürgerin der Elfenbeinküste. Sie hatte im Jahr 1999 einen Deutschen geheiratet und lebt seitdem in der BRD. In der Folgezeit bemühte sich die Klägerin um eine Aufenthaltserlaubnis. Seit August 2002 hält sich auch der 1988 geborene Sohn K der Klägerin aus einer früheren Verbindung im Inland auf. Noch vor der Klärung des aufenthaltsrechtlichen Status der Klägerin reichte der Ehemann die Scheidung ein. Seit Oktober 2002 lebt K im Haushalt der Klägerin.
Vor dem Hintergrund des anhängigen Scheidungsverfahrens erließ die Ausländerbehörde am 19. November 2002 eine Ausweisungsverfügung gegen die Klägerin, die weder über eine Aufenthaltserlaubnis noch eine Aufenthaltsberechtigung verfügte. Die Ausweisungsverfügung wurde allerdings aus humanitären Gründen nicht vollzogen. Im April 2003 wurde der Klägerin eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) erteilt, die später bis September 2003 verlängert wurde.
Im April 2003 bzw. Juni 2003 beantragte die Klägerin Kindergeld für K. Der Kindergeldantrag wurde mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 15. August 2003 abgelehnt. Ein Anspruch auf Kindergeld für Ausländer mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland bestehe nach § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG nur, wenn diese im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Aufenthaltserlaubnis seien. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2004).
Der Prozessbevollmächtigte konnte auch in der mündlichen Verhandlung keine Angaben betreffenden den Stand des Verfahrens über den Widerspruch der Klägerin gegen ihre Ausweisungsverfügung machen. Er erklärte aber, aus eigener Anschauung zu wissen, dass das Kind zumindest bis August 2005 im Haushalt der Mutter in Deutschland gelebt habe, da sich die Wohnung der Klägerin in dem Haus befunden habe, in welchem er auch seine Kanzlei betrieben hatte. Später sei die Klägerin umgezogen, lebe aber seines Wissens auch ab September 2005 immer noch in der BRD. Er selbst habe seine Kanzlei Ende 2005 in die Stadt X verlegt und deshalb seit einiger Zeit keinen Kontakt mehr zur Klägerin. Er könne deshalb nicht bestätigen, dass die Klägerin zwischenzeitlich entweder einer Erwerbstätigkeit nachgehe oder Arbeitslosengeld beziehe.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 15. August 2003 und der Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2004 zu verpflichten, das Kindergeld für die Monate ab April 2003 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung. Da nicht festgestellt werden könne, dass die Klägerin einer Erwerbstätigkeit nachgehe, seien auch die Voraussetzungen der rückwirkend anzuwendenden Neufassung des § 62 Abs. 2 EStG für die Gewährung von Kindergeld nicht gegeben. Angesichts des klaren Gesetzeswortlauts ergebe sich etwas anderes auch nicht daraus, dass die Ausweisung der Klägerin auf unbestimmte Zeit nicht möglich sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist insgesamt zulässig und begründet. Der Klägerin steht das beantragte Kindergeld zu, weil die Ausweisung der Klägerin auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist und sie sich seit über einem Jahr geduldet in der BRD aufhält.
I. Die Klage ist nicht nur hinsichtlich des Kindergelds für die Monate April 2003 bis Februar 2004 zulässig, sondern auch hinsichtlich der Monate März bis Dezember 2004. Obwohl die Einspruchsentscheidung, mit der die Ablehnung des Kindergeldanspruchs bestätigt wurde, im Februar 2004 bekannt gegeben worden ist, hält das Gericht entgegen der Ansicht des Niedersächsischen FG im Urteil vom 23. Januar 2006 16 K 12/04 (EFG 2006, 751) eine Klage, mit der die Verurteilung der beklagten Behörde zu Gewährung von Kindergeld begehrt werden soll, auch für die Monate nach Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung für zulässig.
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