Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigene Mittel des Kindes im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG
Leitsatz (redaktionell)
Leistungen Dritter an ein volljähriges Kind können nur dann als dessen Mittel angesehen werden, wenn die Inanspruchnahme der unterhaltspflichtigen Eltern aufgrund der Gewährung dieser Mittel nicht in Betracht kommt. Dies ist bei Sozialhilfeleistungen nicht der Fall.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 Sätze 2, 1, 1 Nr. 3, § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1, § 32 Abs. 4
Tatbestand
Streitig ist, ob ein volljähriges behindertes Kind, das im eigenen Haushalt lebt und Hilfe zum Lebensunterhalt erhält, außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten.
Der am 01.10.2000 verstorbene Ehemann der Beigeladenen erhielt Kindergeld für die gemeinsame, am 13.01.1952 geborene Tochter J. (J). J. ist schwerbehindert. Der Grad der Behinderung ist seit dem 23.09.1975 auf 100 v.H. mit den Merkzeichen G, aG, RF und H. festgestellt. J. ist auf Grund der Behinderung außer Stande, ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sicherzustellen. Sie arbeitet in einer Werkstatt für Behinderte und erhält dort monatlich 259,17 DM. Weiter erhält sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente (mtl. 1122,20 DM, ab Februar 1998 1137,01 DM).
Der verstorbene Ehemann der Beigeladenen, der, ebenso wie die Beigeladene, Rentenempfänger war und nicht selbst Sozialhilfeleistungen bezog, verwandte das Kindergeld für den Lebensunterhalt seiner Tochter. Diese erhielt durch die Klägerin Sozialhilfe. Dabei rechnete die Klägerin das Kindergeld als Einkommen des Kindes an.
Mit Bescheid vom 19.12.1997 hob der Beklagte gegenüber dem Ehemann der Beigeladenen die Festsetzung des Kindergelds ab Dezember 1997 auf. Dagegen legte die Klägerin am 15.01.1998 Einspruch ein. Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 07.01.1999, auf die verwiesen wird, als unbegründet zurück.
Die Klägerin hat am 27.01.1999 Klage erhoben. Sie beruft sich darauf, dass das Kind außer Stande sei, sich selbst zu unterhalten. Die Bedürftigkeit des Kindes werde durch die Gewährung der ergänzenden Sozialhilfe nicht ausgeschlossen. Sozialhilfe werde nur nachrangig gewährt. Außerdem sei der Bedarf des Kindes höher als die gewährte Hilfeleistung. Insbesondere seien neben einem Grundbedarf von 12.000 DM noch die Unterkunftskosten zu berücksichtigen.
Die Klägerin hat Unterlagen über die gewährten Sozialleistungen vorgelegt, auf die verwiesen wird.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 19.12.1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 07.01.1999 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, der Nachrang der Sozialhilfe finde im Steuerrecht keine Anwendung. Dem Rechenwerk der Klägerin tritt er mit eigenen Berechnungen, auf die Bezug genommen wird, entgegen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig.
Die Klägerin ist klagebefugt. Sie ist im Verfahren über die Festsetzung bzw. Aufhebung des Kindergelds Beteiligte, denn sie hat ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kindergelds (§ 67 Satz 2, § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG). Dies gilt nicht nur, wenn das Kindergeld bis zur Aufhebung durch die Familienkasse an den Sozialleistungsträger ausbezahlt wurde (vgl. dazu BFH, Urteil vom 12.01.2001 VI R 181/97, BStBl II 2001, 443), sondern auch dann, wenn sich die an das Kind zu zahlende Sozialhilfe auf Grund der Anrechnung des Kindergelds als Einkommen des Kindes gemindert hat. In beiden Fällen hat der Sozialleistungsträger eigene Mittel nur unter Abzug des Kindergelds aufzubringen.
Die Klage ist auch begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 19.12.1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 07.01.1999 ist rechtswidrig. Den Kindergeldberechtigten (der Beigeladenen bzw. ihrem verstorbenen Ehemann) steht ein Anspruch auf Kindergeld auch für die Zeit ab Dezember 1997 zu.
Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs.1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außer Stande ist, sich selbst zu unterhalten. Das Kind darf also nicht über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügen, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensbedarfs ausreicht. Dies ist anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen, nämlich des gesamten Lebensbedarfs des Kindes einerseits sowie der finanziellen Mittel des Kindes andererseits, zu prüfen (so BFH, Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BStBl II 2000, 72, Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 40/98, BStBl II 2000, 75, Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 182/98, BStBl II 2000, 79).
Dabei setzt sich der gesamte existenzielle Lebensbedarf des behinderten Kindes typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und einem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen (BFH a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des BFH ist der Grundbedarf mit dem am Existenzminimum eines Alleinstehenden orientier...