Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Änderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 A0 bei unterlassener Sachverhaltsaufklärung durch das Finanzamt
Leitsatz (redaktionell)
Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist ausgeschlossen, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht (§ 88 AO) nicht verborgen geblieben wäre oder die Unkenntnis für die ursprüngliche Veranlagung nicht ursächlich war.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, §§ 88, 90; EStG § 3 Nr. 9, § 34
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit der geänderten Einkommensteuerbescheide 1998 und 2000 vom 27.02.2002.
Die Kläger wurden in den Streitjahren 1998 und 2000 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Der am 07.12.1942 geborene Kläger war bis zum 31 .03.1998 als technischer Angestellter bei der X-AG beschäftigt. Am 23.03.1998 schlossen der Kläger und die X-AG , die Personal abbauen wollte, eine Vereinbarung, wonach der Kläger ab dem 31.03.1998 "unbezahlten Übergangsurlaub" erhalten und zum 31.12.2000 mit Vollendung des 58. Lebensjahres endgültig aus der Firma ausscheiden sollte. Bei Beginn des Übergangsurlaubes sollte der Kläger zur "Umorientierung" eine "Einmalzahlung" in Höhe von 120.322,12 DM (brutto) und zum 31 .12.2000 eine in ihrer Höhe dem Freibetrag des § 3 Nr. 9 EStG 1998 entsprechende "Abfindung" von 36.000 DM (brutto) erhalten. Die Leistungen betrugen zusammen 156.322,12 DM und damit erheblich mehr als der Bruttojahreslohns des Klägers in den vorangegangenen Jahren (Bruttoarbeitslohn 1996: 62.653,69 DM, 1997: 61.047,12 DM). Die X-AG hatte auch in den Vorjahren ähnliche Verträge mit anderen Arbeitnehmern geschlossen.
In der Steuererklärung 1998 , die am 19.10.1999 beim Beklagten einging, gab der Kläger in Zeile 10 der Anlage N ("Entschädigungen, die ermäßigt zu besteuern sind") einen Betrag von 120.322,12 DM an und legte seine Lohnsteuerkarte für 1998 vor, die einen entsprechenden Eintrag enthielt.
Der Beklagte veranlagte die Kläger und setzte die Einkommensteuer 1998 mit Bescheid vom 01.03.2000 in Höhe von 15.572 DM fest. Die Abfindung in Höhe von 120.322,12 DM wurde nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG 1998 mit 12,915 % ermäßigt besteuert; der Freibetrag des § 3 Nr. 9 EStG 1998 wurde nicht berücksichtigt. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 06.11.2000 schrieb das Arbeitgeberfinanzamt an die X-AG , dass bei der vorangegangenen Außenprüfung die sogenannte "Umorientierungshilfe" sowie die "Abfindungszahlung" jeweils als eigenständige Sachverhalte gewürdigt worden seien und die Zahlung der "Umorientierungshilfe" nach §§ 24 Nr. 1 b i. V. m. 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG als ermäßigt zu besteuernde Entschädigung betrachtet worden sei. An dieser Einschätzung werde "ab sofort " nicht mehr festgehalten. Beide Zahlungen seien insgesamt als einheitliche Abfindungsleistung für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses zu beurteilen. Es bestünden "keine Bedenken", den Freibetrag nach § 3 Nr. 9 EStG schon bei der erste Rate (der sog. "Umorientierungshilfe") zu gewähren. Den Klägern und dem Beklagten wurde dieses Schreiben erst später bekannt.
Am 11.06.2001 reichten die Kläger ihre Einkommensteuererklärung 2000 beim Beklagten ein. Auf dem Mantelbogen hatten die Kläger angekreuzt: "Für alle 2000 bezogenen außerordentlichen Einkünfte wird die ermäßigte Besteuerung beantragt." In der Anlage N (Zeile 10) war bei "Arbeitslohn für mehrere Jahre" ein Betrag von 12.000 DM angegeben; dieser Betrag entsprach der Differenz zwischen der 2000 vereinbarungsgemäß ausgezahlten "Abfindung" von 36.000 DM und dem Freibetrag des § 3 Nr. 9 EStG 2000 , der nur noch 24.000 DM betrug. Im Feld "Entschädigungen" (Anlage N, Zeile 11) war nichts eingetragen. Außerdem legte der Kläger seine Lohnsteuerkarte für 2000 vor, in der bei "Ermäßigt besteuerter Arbeitslohn für mehrere Kalenderjahre und ermäßigt besteuerte Entschädigungen" 12.000 DM angegeben waren.
Der Beklagte veranlagte die Kläger und setzte die Einkommensteuer 2000 mit Bescheid vom 31.07.2001 in Höhe von 2.833 DM fest. Hierbei besteuerte der Beklagte einen Betrag von 10.616 DM (= 12.616 DM - 2.000 DM Arbeitnehmerfreibetrag) gemäß "§ 34 Abs. 1 EStG" mit einem Steuersatz von 8,2419 %. Auch dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 08.02.2002 erhielt der Beklagte vom Bundesamt für Finanzen im Zusammenhang mit der Auswertung der Ergebnisse einer Lohnsteueraußenprüfung bei der X-AG eine Prüfungsmitteilung, in der die Auffassung vertreten wurde, dass "Einmalzahlung" und "Abfindung" lediglich zwei Raten einer als einheitlich zu beurteilenden Entschädigung darstellten. Der Freibetrag nach § 3 Nr. 9 EStG sei bei der ersten Rate zu berücksichtigen. Im Streitfall sei von einem zu versteuernden Zufluss von 84.322,12 DM (120.322,12 DM - 36.000 DM Freibetrag) im Jahr 1998 und von 36.000 DM im Jahr 2000 auszugehen. Damit fehle es an der für die Anwendung der §§ 34, ...