Entscheidungsstichwort (Thema)
Versteuerung eines beim Vorvermächtnisnehmer zu Lebzeiten nicht fälligen Nachvermächtnis
Leitsatz (redaktionell)
- Bei Nacherbschaften wird abweichend von der Zivilrechtslage für steuerliche Zwecke ein Vollrechtserwerb des Vorerben fingiert, was eine weitere steuerliche Fiktion des Erwerbs des Nacherben vom Vorerben nach sich zieht.
- Ein Nachvermächtnisnehmer erwirbt steuerlich nicht vom Vorvermächtnisnehmer, wenn das Vorvermächtnis mangels Eintretens einer Bedingung (Fälligkeit) tatsächlich nicht eintritt.
- § 4 Abs. 4 1. Alt. ErbStG i.V.m. § 6 Abs. 2 ErbStG ist dahingehend auszulegen, dass ein Erwerb vom Vorvermächtnisnehmer nach § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG nur dann steuerlich fingiert wird, wenn es diese Fiktion aufgrund des Vollerwerbs des Vorvermächtnisnehmers bedarf (§ 6 Abs. 4 1. Alt. ErbStG i.V.m. § 6 Abs. 1 1. Alt. ErbStG). Kommt es nicht zu einem steuerlichen Erwerb des Vorvermächtnisnehmers, weil beispielsweise die Fälligkeit des Erwerbs hinausgeschoben ist, bedarf es keiner steuerlichen Fiktion des Erwerbs vom Vorvermächtnisnehmer; es verbleibt beim zivilrechtlichen Grundsatz des zeitlich nachrangigen Erwerbs unmittelbar vom Erblasser als Vermächtnisgeber.
Normenkette
ErbStG § 6; AO § 119; BGB § 2191
Streitjahr(e)
2012
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die erbschaftsteuerliche Behandlung der im Vermächtniswege erfolgten Zuwendung des Grundstücks A in B (Grundstück) an den Kläger zum Miteigentum von ½ streitig.
Vermächtnisgeber war der bereits in den fünfziger Jahren verstorbene Herr C. Dieser hatte in seinem notariellen Testament vom 12. April 1957 bezüglich des Grundstücks ein Vermächtnis zu Gunsten seines Neffen D bzw. - im Falle des Vorversterbens - zu Gunsten von dessen ehelichen Abkömmlingen sowohl als Ersatz- als auch als Nacherben bestimmt. In dem Testament heißt es: ”Das Vermächtnis soll mit meinem Tode anfallen, die Übergabe und Übereignung des Hausgrundstücks kann der Vermächtnisnehmer aber erst nach dem Tod meiner Frau verlangen.“
Bis zu diesem Zeitpunkt gebührten der Ehefrau des Vermächtnisgebers, Frau E geb.F, alle Nutzungen und Einkünfte aus dem Grundstück. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Auszug des Testamentes vom 12. April 1957 (Urkundenrolle-Nr….des Notars G mit Sitz in B; Bl. 93 f. Erbschaftsteuerakte) Bezug genommen.
Als der Vermächtnisgeber starb, wurde dessen Ehefrau seine Alleinerbin (Erbin). Trotz des bestehenden schuldrechtlichen Vermächtnisanspruchs wurde die Erbin zivilrechtlich Eigentümerin des Grundstücks und als solche im Grundbuch eingetragen.
Herr D- der eigentlich im Testament Begünstigte - verstarb im Januar 2011. Dessen Kinder, der Kläger und sein Bruder Herr H, sind seine alleinigen Erben. Am 1. Juli 2012 verstarb auch die Erbin des Vermächtnisgebers. Mit dem Tod der Erbin wurde der Vermächtnisanspruch aus dem Testament des Herrn C fällig. Mit notarieller Urkunde vom 29. Oktober 2013 (Urkundenrolle Nr. … der Notarin I mit Sitz in B) wurde das Grundstück in Erfüllung der testamentarischen Verpflichtung auf den Kläger und seinen Bruder als Miteigentümer zu je ½ übertragen.
Eine Abschrift hiervon wurde dem Beklagten (das Finanzamt - FA -) zugeleitet. Dieser vertrat die Auffassung, der vorgenannte Sachverhalt stelle eine freigebige Zuwendung im Vermächtniswege dar. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2015 forderte das FA den Kläger - und seinen Bruder - daher auf, eine Erbschaftsteuererklärung abzugeben.
Der Kläger vertrat die Auffassung, es handele sich um eine Zuwendung seines Vaters als Vorvermächtnisnehmer. Dieser habe von seinem Onkel das Grundstück im Vermächtniswege erhalten. Der Übergang des Eigentums sei jedoch nicht bis zu dessen Tod erfolgt, so dass er (der Kläger) und sein Bruder im Wege eines Vermächtniserfüllungsvertrages statt seiner dieses Vermächtnis erhalten hätten (Nachvermächtnisnehmer). Dies berücksichtigend sei der Erwerb gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 Alt. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) als vom Vorvermächtnisnehmer stammend unter Anwendung der Steuerklasse I zu versteuern.
Mit Bescheid vom 28. November 2016 stellte das Finanzamt B den Grundbesitzwert auf den 1. Juli 2012 in Höhe von … € fest. Diesen Grundbesitzwert bereits berücksichtigend erließ das FA am 21. November 2016 einen Steuerbescheid, durch den Erbschaftsteuer für den Erwerb von Todes wegen in Höhe von … € festgesetzt wurde. Der Wert des Grundstücks wurde dem Kläger zu ½ zugerechnet und unter Anwendung der Steuerklasse III versteuert. Im Bescheid heißt es: ”Der Bescheid betrifft den Erwerb von Todes wegen nach FrauE. […] Der Festsetzung liegt der Erwerb durch Vermächtnis zugrunde. Auf die Anlage zum Bescheid wird hingewiesen.“ In der Anlage zum Bescheid heißt es u.a.: ”Vorliegend ist bei der Versteuerung nicht das Verhältnis zwischen Herrn D und dem Erblasser Herrn C, mithin Steuerklasse II, im obigen Sinne maßgebend. Herr D konnte das Vermächtnis nicht antreten, ...