Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Die Haftungsbeschränkung für Minderjährige nach § 1629a BGB ist wie die Beschränkung der Erbenhaftung im Weg der Einrede geltend zu machen; die Einrede kann weder im Steuerfestsetzungsverfahren noch gegen das Leistungsgebot im Einkommensteuerbescheid, sondern nur im Zwangsvollstreckungsverfahren erhoben werden. Ein Vorbehalt der Haftungsbeschränkung ist in das die Steuerfestsetzung betreffende Urteil nicht aufzunehmen.
Normenkette
§ 45 Abs. 2 Satz 1 AO , § 254 AO , § 265 AO , § 780 ZPO , § 781 ZPO , § 785 ZPO , § 1629a BGB
Sachverhalt
Der 1979 geborene Kläger war aufgrund der unentgeltlichen Übertragung eines Geschäftsanteils ab 1982 Gesellschafter der A-GmbH. Da die GmbH weder Körperschaftsteuererklärungen noch Jahresabschlüsse eingereicht hatte, schätzte das FA die von ihr in den Streitjahren 1983 und 1984 erzielten Gewinne und nahm aufgrund ihrer Vermögenssituation an, dass die Gewinne in den Streitjahren verdeckt an den Kläger und die beiden Mitgesellschafterinnen – seine Schwestern – ausgeschüttet worden seien.
Der Kläger war demgegenüber der Ansicht, aus § 1629a BGB ergebe sich, dass ihm die festgestellten verdeckten Gewinnausschüttungen nicht zuzurechnen seien; er sei im Zeitpunkt seiner Volljährigkeit vermögenslos gewesen und brauche deshalb für die ihn verpflichtenden Handlungen seiner Eltern nicht einzustehen. Das gelte auch für die zu seinen Lasten begründeten Steuerschulden.
Das FG wies die Klage mit der Begründung ab, dass die verdeckten Gewinnausschüttungen dem Kläger anteilig zuzurechnen seien und dass das FA deren Höhe zutreffend geschätzt habe; die gem. § 1629a BGB beschränkte Haftung Minderjähriger ändere an diesem Ergebnis nichts (EFG 2002,135).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das Urteil im Ergebnis. Die verdeckten Gewinnausschüttungen seien dem Kläger zuzurechen; er sei aufgrund der wirksamen Übertragung der Geschäftsanteile in den Streitjahren Gesellschafter der GmbH gewesen. Diesem Ergebnis stehe nicht entgegen, dass die verdeckten Gewinnausschüttungen wegen der den Eltern obliegenden Vermögenssorge diesen zugeflossen und von diesen ggf. für den Unterhalt der Familie verbraucht worden seien.
Das Kind könne die Haftungsbeschränkung nach § 1629a BGB – sollte sie für Steuerschulden möglich sein – nicht im Steuerfestsetzungsverfahren geltend machen. Die Haftungsbeschränkung müsse auch – anders als die beschränkte Erbenhaftung – nicht im Urteil ausgesprochen werden.
Hinweis
Nach § 1629a BGB haften Minderjährige für die von ihren Eltern – oder anderen Personen, die mit Wirkung für das Kind Vertretungsmacht ausüben (z.B. die Vertretungsorgane einer OHG oder GmbH, vgl. BT-Drucks. 13/5624, 8; Staudinger/Coester BGB, § 1629a Rz. 18-20 m.w.N.) – bis zu ihrer Volljährigkeit eingegangene Verbindlichkeiten nur beschränkt mit dem in diesem Zeitpunkt vorhandenen Vermögen. Ob diese Regelung auch für das Steuerrecht Bedeutung hat, ist noch nicht geklärt. Die Vorschriften der AO (§ 265 AO zur beschränkten Erbenhaftung, § 266 AO zu sonstigen Fällen beschränkter Haftung) sagen dazu nichts.
Auch das vorliegende Urteil konnte die Frage offen lassen, weil sie jedenfalls nicht im Festsetzungsverfahren zu klären ist. Im Erhebungsverfahren wird sie aber von Bedeutung werden. Und hier ist keineswegs sicher, wie die Entscheidung ausfallen wird. Denn § 1629a BGB will in erster Linie die Haftung des Minderjährigen für Verpflichtungen aus Rechtsgeschäften regeln; für die gesetzliche Haftung – also auch für Steuerschulden, die den Minderjährigen aus der Tätigkeit der Vertretungspersonen treffen – ist die Rechtslage auch zivilrechtlich noch unklar (Staudinger/Coester, aaO, § 1629a Rz. 23, 44; Huber in Münchner Kommentar zum BGB, 4. Aufl., § 1629a Rz. 13, 14; Muscheler, WM 1998, 2279 ff.).
Es spricht jedoch vieles dafür, dass auch Steuerschulden unter die Haftungsbeschränkung fallen. Das gilt jedenfalls für solche Steuerschulden, die ihre Grundlage in einer rechtsgeschäftlichen Tätigkeit oder in realen Handlungen der Vertretungspersonen haben. Denn das vom Gesetzgeber nach dem Beschluss des BVerfG vom 13.5.1996, 1 BvR 1542/84 (BVerfGE 72, 155) zu lösende Problem war, wie dem Kind der Start in die Volljährigkeit ohne Schulden ermöglicht werden kann. Und hier hat sich der Gesetzgeber nicht für die engere Variante der Erweiterung des Katalogs der vom Vormundschaftsgericht zu genehmigenden Rechtsgeschäfte, sondern für die weitere Variante der Haftungsbeschränkung für alle Verpflichtungen aus dem Kind zuzurechnenden Handlungen seiner Vertretungspersonen entschieden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 1.7.2003, VIII R 45/01