Kommentar
Sollen sich individuelle Steuer minderungen , die z. B. auf erhöhten Werbungskosten, Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen, Baukindergeld usw. beruhen können, bereits beim laufenden Lohnsteuerabzug auswirken, kann der Arbeitnehmer beim Finanzamt beantragen , auf der Lohnsteuerkarte einen Lohnsteuerfreibetrag eintragen zu lassen (sogenanntes Lohnsteuerermäßigungsverfahren; Lohnsteuerfreibetrag/Lohnsteuerermäßigung ).
Bei der Ermittlung des auf der Lohnsteuerkarte einzutragenden Freibetrags sind Einkünfte aus Kapitalvermögen ( § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr.5 , § 20 EStG ) nur zu berücksichtigen , soweit sie negativ sind, d. h. soweit die Werbungskosten höher sind als die Einnahmen aus Kapitalvermögen ( § 39a Abs. 1 Nr. 5b EStG letzter Halbsatz).
Nach dem Gesetzes wortlaut sollen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen Werbungskosten nicht schlechthin – wie z. B. nach § 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, soweit sie den Arbeitnehmerpauschbetrag übersteigen – zu einem Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte führen. Nach der Entstehungsgeschichte des § 39a EStG war sich der Gesetzgeber auch darüber bewußt, daß bei Kapitaleinkünften von Lohnsteuerzahlern wegen der Abzugssteuern nur „ein gewisser Ausgleich” geschaffen wurde und hier nicht, wie bei den Einkommensteuer-Vorauszahlern, eine vollständige Berücksichtigung der Abzugssteuern vorgesehen war.
Abweichend von seiner seitherigen Rechtsprechung (BFH, Beschluß v. 27. 6. 1995, VI R 93/93, BFH/NV 1995 S. 1058) hat der BFH nunmehr entschieden, es sei verfassungsrechtlich hinzunehmen, daß Werbungskosten und Steuerabzugsbeträge nach § 43 EStG bei Einkommensteuer-Vorauszahlern zu berücksichtigen sind (vgl. § 37 Abs. 3 Satz 2 EStG ), während Steuerabzugsbeträge und solche Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen , die niedriger sind als die Einnahmen , zur Ermittlung des Lohnsteuerfreibetrags nach § 39a Abs. 1 EStG nicht einzubeziehen sind ( Vorauszahlungen ).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 21.11.1997, VI R 93/95
Hinweis:
Das letzte Wort in dieser Sache dürfte noch nicht gesprochen sein. Die Schlechterstellung der Lohnsteuerpflichtigen kann bei in hohem Umfang fremdfinanzierten Wertpapieren zu einer erheblichen , wenn auch nur zweitweisen Überbesteuerung führen. Wie groß der betroffene Personenkreis ist, ist der Entscheidung des BFH nicht zu entnehmen. Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesverfassungsgericht der Auffassung des BFH folgt, wonach die Ungleichbehandlung der Lohnsteuer- und Einkommensteuerpflichtigen „kein derartiges Gewicht (hat), daß der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum für eine Typisierung überschritten ist”. Ob der in der jeweils vorübergehenden Überbesteuerung liegende Verstoß gegen den Gleichheitssatz sehr intensiv ist oder nicht, kann m. E. unterschiedlich beurteilt werden und wird insbesondere auch von der Höhe der jeweiligen Einnahmen aus Kapitalvermögen und der Höhe der Werbungskosten des einzelnen Steuerpflichtigen abhängen. Betroffenen Steuerpflichtigen muß wohl geraten werden, einschlägige Verfahren bis zu einer sicherlich zu erwartenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Möglichkeit offenzuhalten .