Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestandskräftige Ablehnung eines Kindergeldanspruchs durch Auszahlung von Kindergeld für vorangegangene Zeiträume
Leitsatz (redaktionell)
- Die FamKasse ist verpflichtet, einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld, der keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthält, umfassend und damit auch für die Vergangenheit zu prüfen.
- Auch nach Wegfall des § 66 Abs. 3 EStG ist ein Kindergeldantrag ohne ausdrückliche zeitliche Einschränkung so zu verstehen, dass die Kindergeldfestsetzung auch für die Vergangenheit begehrt wird.
Normenkette
EStG § 66 Abs. 2, § 67
Streitjahr(e)
1997
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger. Am 17.11.1997 erteilte ihm der Landkreis O. eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Hiernach war dem Kläger eine arbeitserlaubnispflichtige Erwerbstätigkeit nur gem. gültiger Arbeitserlaubnis gestattet. Auf seinen Antrag vom 20.11.1997 verfügte die Beklagte mit Kassenanordnung vom 07.01.1998 die Kindergeldzahlung für die beiden Kinder des Klägers ab November 1997. Mit Schreiben vom 20.07.2008 beantragte der Kläger „unter Berücksichtigung des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO die Zahlung von Kindergeld für den Zeitraum von 9/1993 bis 11/1997”. Die Beklagte lehnte den Antrag unter Hinweis auf die vierjährige Verjährungsfrist des § 169 AO mit Bescheid vom 30.09.2008 ab.
Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsbescheid vom 26.02.2009 als unbegründet zurück. Mit der Entscheidung vom 07.01.1998 sei dem Kläger Kindergeld ab November 1997 bestandskräftig für seine beiden Kinder festgesetzt worden. Sowohl die Antragstellung als auch die Antragsprüfung seien nicht ausdrücklich für einen begrenzten Zeitraum erfolgt, so dass mit der Festsetzung vom 07.01.1998 auch für vorangegangene Monate abschließend entschieden worden sei. Die damalige Festsetzung sei bestandskräftig geworden. Eine erneute Antragsprüfung habe deshalb unter Berücksichtigung der Festsetzungsverjährung zu erfolgen. Der Bestandskraft der Entscheidung stehe auch nicht die später geänderte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entgegen. Die Festsetzungsfrist für Ansprüche aus dem Jahr 1997 laufe vom 01.01.1998 bis 31.12.2001. Bei Eingang des Antrags am 23.07.2008 sei diese Frist bereits abgelaufen gewesen.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger sein bisheriges Begehren weiterverfolgt. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe er einen Anspruch auf rückwirkende Leistung zumindest für die Zeiträume von Mai 1997 bis Oktober 1997 (ungeregelter Zeitraum) gem. § 66 Abs. 3 EStG a.F. Eine bestandskräftige Kindergeldfestsetzung für diesen Zeitraum liege schon deshalb nicht vor, weil er – der Kläger – diesen Zeitraum nicht als materiellen Regelungsgehalt der Kindergeldfestsetzung habe verstehen können. Entsprechend seien über den streitigen Zeitraum in dem damaligen Festsetzungsbescheid v. 07.01.1998 auch keine Aussagen getroffen worden. Demzufolge sei auch keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Vielmehr sei der damalige Kindergeldantrag vom 20.11.1997 entsprechend der seinerzeitigen Rechtslage noch zu bescheiden und zwar – da die materiellen Voraussetzungen vorlägen – zu seinen Gunsten.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Ablehnungsbescheids v. 30.09.2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung v. 26.02.2009 zu verpflichten, dem Kläger für seine beiden Kinder Kindergeld für den Zeitraum von Mai 1997 bis Oktober 1997 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach § 66 Abs. 2 EStG werde das Kindergeld vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Daraus ergebe sich die Pflicht der Beklagten, einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld (§ 67 EStG), der keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthalte, umfassend und damit auch für die Vergangenheit zu prüfen. Der Kindergeldantrag des Klägers vom 20.11.2007 habe keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung beinhaltet und sei seinem objektiven Inhalt nach dahin zu verstehen, dass die Kindergeldfestsetzung auch für die Vergangenheit verlangt werde. Vor diesem Hintergrund sei die Kindergeldfestsetzung vom 07.01.1998 als bis zum Zeitpunkt der Verjährung rückwirkende Ablehnung anzusehen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Zu Recht hat es die Beklagte im vorliegenden Fall abgelehnt, dem Kläger Kindergeld für seine beiden Kinder für den Zeitraum Mai bis Oktober 1997 zu gewähren.
1. Nach § 66 Abs. 2 EStG wird das Kindergeld vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Daraus ergibt sich die Pflicht der Behörde, einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld (§ 67 EStG), der keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthält, umfassend und damit auch für die Vergangenheit zu prüfen.