Leitsatz
Die Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids nach § 50d Abs. 8 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) setzt voraus, dass die Arbeitnehmereinkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen wegen der Verletzung der in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG normierten Nachweispflichten abkommenswidrig in die zu ändernde Einkommensteuerveranlagung einbezogen worden sind.
Normenkette
§ 50d Abs. 8, § 19 EStG, Art. 18, Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA GBR 2010, § 175 Abs. 1 AO
Sachverhalt
Die Kläger sind (ausschließlich) im Inland wohnhafte Eheleute und wurden im Streitjahr (2014) zur ESt zusammen veranlagt. Der Kläger ist britischer Staatsbürger. Er arbeitete bis zum 22.1.2014 als Soldat für die britischen Streitkräfte und war im Inland stationiert. Für diese Tätigkeit erhielt er im Streitjahr laufenden Arbeitslohn sowie eine Abfindung. Daneben erhielt er Pensionszahlungen. In der ESt-Erklärung führten die Kläger hierzu wie folgt aus:
Das Besteuerungsrecht betreffend den laufenden Arbeitslohn bis zum Ausscheiden und die Pensionszahlungen stehe nach Art. 18 DBA-Großbritannien 2010 Großbritannien (Kassenstaat) zu. Sowohl der laufende Arbeitslohn als auch die Pensionszahlungen seien dort versteuert worden; der Arbeitslohn sei daher insoweit in Deutschland steuerfrei.
Die Abfindungszahlung sei nach britischem Steuerrecht in voller Höhe steuerfrei. Nach der Rückfallklausel in Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Großbritannien 2010 habe Deutschland deshalb das Besteuerungsrecht. Die Abfindungszahlung sei nach § 34 Abs. 1 EStG zu besteuern.
Die Kläger wurden 2016 erklärungsgemäß veranlagt. Der Bescheid wurde bestandskräftig. 2018 beantragten sie unter Bezugnahme auf eine Bescheinigung der britischen Steuerbehörde, nach der die Abfindung in Großbritannien nicht besteuert worden sei, den bestandskräftigen ESt-Bescheid für das Streitjahr nach § 50d Abs. 8 EStG zu ändern und auch die Abfindung in Deutschland steuerfrei zu stellen. Vergütungen im öffentlichen Dienst nach Art. 18 Abs. 1 DBA-Großbritannien 2010 dürften nur vom Staat des Dienstherrn besteuert werden.
Das FA lehnte den Änderungsantrag ab. Der ESt-Bescheid für das Streitjahr sei zwar fehlerhaft. Die Abfindungszahlung hätte nicht in Deutschland besteuert worden dürfen. Die Voraussetzungen der Rückfallklausel in Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Großbritannien 2010 hätten nicht vorgelegen (BMF, Schreiben vom 20.6.2013, IV B 2 – S 1300/09/10006, BStBl I 2013, 980, Tz. 2.3). Insofern sei das FA der anderslautenden Erklärung der Kläger zu Unrecht gefolgt. Gleichwohl sei die ESt-Festsetzung für 2014 nicht zu ändern. Die Abfindung sei nicht wegen fehlender Nachweise nach § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG, sondern wegen der rechtsfehlerhaften Anwendung der Rückfallklausel in Art. 23 DBA-Großbritannien 2010 besteuert worden.
Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das FG teilweise statt. Das FA habe die Änderung des angefochtenen Steuerbescheids zu Unrecht abgelehnt. Dieser sei allerdings nur insoweit zu ändern, als die Abfindungszahlung nicht bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens, sondern bei der Berechnung des Steuersatzes zu berücksichtigen sei (FG Münster, Urteil vom 28.10.2021, 8 K 939/19 E, Haufe-Index 14946938, EFG 2022, 116).
Entscheidung
Auf die Revision des FA hat der BFH die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das FG habe zu Unrecht entschieden, dass die (unstreitig bestandskräftige) ESt-Festsetzung für das Streitjahr nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG geändert werden könne.
Hinweis
1. Sind Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen aus nichtselbstständiger Arbeit (§ 19 EStG) nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, wird die Freistellung bei der Veranlagung ungeachtet des Abkommens gemäß § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nur gewährt, soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass der Staat, dem nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat oder dass die in diesem Staat auf die Einkünfte festgesetzten Steuern entrichtet wurden. Wird ein solcher Nachweis erst geführt, nachdem die Einkünfte in eine Veranlagung zur ESt einbezogen wurden, ist der Steuerbescheid insoweit nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStGzu ändern.
2. Die Änderungsvorschrift eröffnet allerdings keine vollumfängliche, nachträgliche abkommensrechtliche Überprüfung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen auf ihre materielle Richtigkeit, sondern nur eine punktuelle Änderung, soweit der von § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG geforderte Nachweis über die Besteuerung im anderen Staat oder den Besteuerungsverzicht des anderen Staates erst im Nachhinein geführt wird.
3. Denn die Berichtigungsnorm in Satz 2 kann nicht isoliert von Satz 1 in den Blick genommen werden. Sie dient lediglich als Korrektiv für den Fall, dass die Arbeitnehmereinkünfte des Steuerpflichtigen (allein) deshalb zu Unrecht in die Veranlagung einbezogen werden, weil der Steuerpflichtige zu diesem Zeitpunkt nicht nachgewiesen hat, dass de...