Leitsatz
1. Für die Pflicht zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten in Höhe der voraussichtlich zur Erfüllung der Aufbewahrungspflicht erforderlichen Kosten zu bilden (Anschluss an BFH-Urteil vom 19.08.2002, VIII R 30/01, BFH/NV 2002, 1662, BFH/PR 2003, 11).
2. Für die Berechnung der Rückstellung sind nur diejenigen Unterlagen zu berücksichtigen, die zum betreffenden Bilanzstichtag entstanden sind.
3. Die voraussichtliche Aufbewahrungsdauer bemisst sich grundsätzlich nach § 147 Abs. 3 S. 1 AO. Wer sich auf eine voraussichtliche Verlängerung der Aufbewahrungsfrist beruft, hat die tatsächlichen Voraussetzungen dafür darzulegen.
Normenkette
§ 147 AO, § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG
Sachverhalt
Der Kläger betreibt eine Apotheke. Für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen bildete er eine Rückstellung, wobei er dafür den jährlichen Gesamtaufwand für die Aufbewahrung mit zehn multiplizierte. Im Verfahren war unstreitig, dass alle Unterlagen zehn Jahre aufzubewahren sind. Das FA war der Auffassung, es sei nur eine durchschnittliche Restaufbewahrungsdauer von 5,5 Jahren anzusetzen.
Das FG hat gab dem FA recht (Niedersächsisches FG, Urteil vom 21.01.2009, 3 K 12371/07, Haufe-Index 2158576, EFG 2009, 1004). Der Kläger begründet seine Revision u.a. damit, dass die Frist für einen erheblichen Teil der aufbewahrungspflichtigen Unterlagen frühestens zum Ende des folgenden Kalenderjahrs beginne, in Einzelfällen sogar zum Ende des übernächsten Kalenderjahrs, sodass sich eine längere Frist als zehn Jahre ergeben könne. Zudem könnten sich über § 170 und § 171 AO im Einzelfall erhebliche Fristverlängerungen ergeben.
Entscheidung
Der BFH bestätigte aus den oben dargestellten Gründen die Entscheidung des FG und wies die Revision des Klägers als unbegründet zurück.
Hinweis
Dass eine Rückstellung für die Pflicht zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen gebildet werden kann, ist spätestens seit dem Urteil des VIII. Senats vom 19.08.2002 (VIII R 30/01, BFH/NV 2002, 1662, BFH/PR 2003, 11) geklärt. Doch auch hier steckt – wie so häufig – der Teufel im Detail.
1. Unstreitig ist, dass die Rückstellung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG als Sachleistungsverpflichtung mit den Einzelkosten und den angemessenen Teilen der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten ist.
2. Nach Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. z.B. OFD Hannover, Verfügung vom 27.06.2007, S 2137-106-StO 222/221, juris) kann die Rückstellung nach zwei Methoden berechnet werden: Entweder werden die jährlichen Kosten für die Unterlagen eines jeden aufzubewahrenden Jahres gesondert ermittelt. Dieser Betrag ist dann jeweils mit der Anzahl der Jahre bis zum Ablauf der Aufbewahrungsfrist zu multiplizieren. Oder die jährlich anfallenden rückstellungsfähigen Kosten für einen Archivraum, in dem die Unterlagen aller Jahre aufbewahrt werden, können mit dem Faktor 5,5 multipliziert werden (arithmetisches Mittel der Jahre eins bis zehn). In der Praxis wird die Rückstellung für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen üblicherweise nach dieser Berechnungsmethode ermittelt. Eine Unterscheidung zwischen den zehn und sechs Jahre lang aufzubewahrenden Unterlagen unterbleibt i.d.R. aus Vereinfachungsgründen.
3. Der X. Senat hat im Ergebnis diese Vorgehensweise gebilligt und folgende Grundsätze aufgestellt:
- Es wird nicht berücksichtigt, dass auszusondernde Unterlagen voraussichtlich durch neue Unterlagen späterer Jahre ersetzt werden und damit kein Stauraum frei wird.
- Für die während des Jahres entstehenden Aufzeichnungen und Buchungsbelege beginnt die Aufbewahrungsfrist mit dem Bilanzstichtag des Kalenderjahrs, zu dem sie gehören. Sie bilden den körperlich umfassendsten Teil der aufzubewahrenden Unterlagen und verursachen daher den größten Teil des künftigen Aufbewahrungsaufwands.
- Soweit die aufzubewahrenden Unterlagen erst nach dem Bilanzstichtag entstehen, wie dies regelmäßig für das Inventar und zwingend für den Jahresabschluss der Fall ist, beginnt zwar die Aufbewahrungsfrist erst später. Die Aufbewahrung dieser Unterlagen ist jedoch nicht bis zum Bilanzstichtag veranlasst und bleibt daher für die Berechnung der Rückstellung außer Betracht.
- Eine etwaige Verlängerung der Aufbewahrungsfrist nach § 147 Abs. 3 S. 3 AO ist nicht zu berücksichtigen. Zwar besteht stets die abstrakte Möglichkeit, dass sich die Festsetzungsfrist künftig verlängert. Dies allein genügt jedoch nicht. Die Rückstellung kann nur für den voraussichtlichen Aufwand gebildet werden, sodass eine Hemmung des Laufs der Aufbewahrungsfrist nur berücksichtigt werden kann, wenn und soweit dies zum Bilanzstichtag vorhersehbar ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.01.2011 – X R 14/09