Daniel Käshammer, Dr. Andreas Bolik
Bei erfolglosem Einspruch oder Klageverfahren ist ein ausgesetzter Steuerbetrag mit 6% pro Jahr zu verzinsen (AdV-Zinsen, § 237 AO). Der BFH hält den gesetzlichen Zinssatz von 6% pro Jahr für verfassungswidrig (BFH, Beschluss v. 8.5.2024, VIII R 9/23, BFH/NV 2024 S. 1207) und sieht in § 237 Abs. 1 Satz 1 AO einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Ungleichbehandlung zwischen Steuerpflichtigen, die AdV beantragen und solchen die es nicht tun, sei der Höhe nach nicht gerechtfertigt. Dies gelte umso mehr in einer Niedrigzinsphase. Zweck der Einführung von AdV-Zinsen war insbesondere, den Liquiditätsvorteil derjenigen Steuerpflichtigen abzuschöpfen, die AdV beantragen und gewährt bekommen. Dieser Liquiditätsvorteil sei aber zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase nicht gegeben. Der BFH legt dem BVerfG daher die Frage vor, ob der Zinssatz seit dem 1.1.2019 bis zum 15.4.2021 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar oder verfassungswidrig ist.
Mit Beschluss vom 8.7.2021 (1 BvR 2237/14) erklärte das BVerfG die ursprünglich geltenden Zinssätze von 6% p.a. für die Verzinsung von Steuernachzahlungen und Steuererstattungen (sog. Vollverzinsung) für verfassungswidrig. Daraufhin senkte der Gesetzgeber rückwirkend auf den 1.1.2019 allein den Zinssatz für die Vollverzinsung auf nunmehr 1,8% p.a. Auch für diese Ungleichbehandlung von Nachzahlungszinsen und AdV-Zinsen sieht der BFH keine Rechtfertigung.
Betroffene Steuerpflichtige sollten gegen festgesetzte AdV-Zinsen Einspruch einlegen und unter Hinweis auf das beim BVerfG anhängige Verfahren unter 1 BvL 8/24 einen Antrag auf Ruhen des Verfahrens stellen.
Dem folgend gewährt der VI. BFH-Senat AdV für Zinszeiträume ab 1.1.2019, allerdings nicht in voller Höhe, sondern nur in Höhe der gesetzlichen Spreizung der Zinssätze bei AdV-Zinsen (jährlich 6 %) und Nachzahlungszinsen (jährlich 1,8 %) und damit in Höhe von 0,35 % für jeden Monat (entsprechend 4,2 % jährlich). Nur insoweit würden die vom VIII. Senat im o.g. Vorlagebeschluss angeführten Argumente im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe (Niedrigzinsphase/Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Nachzahlungszinsen) greifen. Die zeitliche Grenze zieht der VI. Senat dagegen über die des VIII. Senats (15.04.2021) hinaus und gewährte die AdV bis zum konkret betroffenen Zinsende (27.3.2023), und zwar unabhängig von der Frage, zu welchem Zeitpunkt genau die Niedrigzinsphase geendet habe (BFH, Beschluss v. 24.10.2024, VI B 35/24 (AdV)).