Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit des Halbeinkünfteverfahrens bei Veräußerungs- oder Aufgabeverlust nach § 17 EStG
Leitsatz (redaktionell)
Ein Aufgabe- bzw. Veräußerungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG ist nicht gem. § 3c Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz EStG 2002 (sog. Halbabzugsverbot) nur zur Hälfte zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 3c ist bei verfassungskonformer Auslegung bei Aufgabe- und Veräußerungsverlusten nicht anwendbar (Anschluss an FG Düsseldorf v. 10.5.2007, 11 K 2363/05 E).
Normenkette
EStG 2002 § 3c Abs. 2 S. 1, § 17 Abs. 2, 4; GG Art. 3 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
1. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vom 5. April 2007, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2007, wird dahingehend geändert, dass bei der Berechnung der Einkommensteuer für das Jahr 2006 der bereits bisher berücksichtigte hälftige Veräußerungsverlust nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) von 13.238 EUR um weitere 13.238 EUR erhöht wird. Die Berechnung der neu festzusetzenden Einkommensteuer und des neu festzusetzenden Solidaritätszuschlages wird dem Beklagten nach § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) übertragen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob bei der steuerlichen Berücksichtigung eines Veräußerungs- oder Aufgabeverlustes nach § 17 EStG das Halbeinkünfteverfahren anzuwenden ist.
Der mit seiner Ehefrau zusammen veranlagte Kläger war seit dem 15. Februar 1999 mit 9,85 % des Nominalkapitals an der IE-GmbH beteiligt. Er wendete im Jahr 1999 im Zusammenhang mit dieser Beteiligung für die Übernahme der Stammeinlage, für die Vergabe eines eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens sowie für die Übernahme einer Finanzplanbürgschaft unstreitig insgesamt 26.476 EUR auf. Über das Vermögen der IE-GmbH wurde am 30. Juli 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 7. Februar 2006 zeigte der Insolvenzverwalter gemäß § 208 der Insolvenzordnung (InsO) Masseunzulänglichkeit an.
Nachdem der Beklagte zunächst einen Auflösungsverlust für das Streitjahr 2006 im Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 5. April 2007 überhaupt nicht anerkannt hatte, half er in der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2007 dem Einspruchsbegehren insoweit ab, als er für das Jahr 2006 einen Aufgabeverlust nach § 17 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 und 2 EStG in Höhe von 26.476 EUR dem Grunde nach anerkannte. Er erfasste diesen Verlust aus der Auflösung der IE aber unter Hinweis auf das Halbeinkünfteverfahren nur zur Hälfte i. H. v. 13.238 EUR steuermindernd.
Seine dagegen eingelegte Klage begründet der Kläger damit, dass ausschließlich streitig sei, ob der unstreitige Auflösungsverlust i. H. v. 26.476 EUR aufgrund des Halbeinkünfteverfahrens nur zur Hälfte (so der Beklagte) oder in voller Höhe (so der Kläger) zu berücksichtigen sei. Die Berücksichtigung des Auflösungsverlustes nur zur Hälfte im Hinblick auf das sog. Halbeinkünfteverfahren verstoße – entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 19. Juni 2007 VIII R 69/05 gegen den mit Verfassungsrang ausgestatteten Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). In der weiteren Argumentation zitiert der Kläger weitgehend die vom Finanzgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 10. Mai 2007 (11 K 2363/05 E Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2007, 1239, Aktenzeichen des Revisionsverfahrens: IX R 98/07) aufgestellten Argumente. Es wird deshalb auf die Gründe dieses Urteils (s. Zitierung in den Gründen) verwiesen.
Der Kläger stellt den Antrag,
den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 5. April 2007 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2007 aufzuheben und die Einkommensteuer unter Berücksichtigung weiterer im Zusammenhang mit dem Verkauf von Anteilen an Kapitalgesellschaften stehender Werbungskosten in Höhe von 13.238 EUR neu festzusetzen;
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung seines Antrages trägt er nur vor, dass der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 19. Juni 2007 VIII R 69/05 entschieden habe, dass das Halbabzugsverbot entgegen der Auffassung des Klägers – mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der vorliegenden Akten des Finanzamtes und auf die Schriftsätze und vorgelegten Unterlagen der Parteien in der Gerichtsakte wegen des weiteren Sachverhaltes verwiesen.
Der Beklagte regte das Ruhen des Verfahrens unter Verweis auf die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegen das Urteil des BFH vom 19. Juni 2007 (Az.: VIII R 69/05, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 218, 251, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2008, 551) eingereicht...