Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Unterhaltsaufwendungen sind nur dann zwangsläufig, wenn die unterhaltene Person außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Grundsätzlich ist das volljährige Kind verpflichtet, seinen Vermögensstamm im Rahmen des Zumutbaren zu verwerten, bevor es seine Eltern auf Unterhalt in Anspruch nimmt.
2. Ein schwerbehindertes Kind, das angesichts der Schwere und der Dauer seiner Erkrankung seinen Grundbedarf und behinderungsbedingten Mehrbedarf nicht selbst zu decken in der Lage ist, darf zur Altersvorsorge maßvoll Vermögen bilden (Anschluss an BFH, Urteil vom 30.10.2008, III R 97/06, BFH/NV 2009, 728).
3. Die das eigene Vermögen des Unterhaltsempfängers betreffende Bestimmung des § 33a Abs. 1 S. 3 EStG kommt im Rahmen des § 33 EStG nicht eigens zur Anwendung.
4. Im Fall der Übertragung des Behinderten-Pauschbetrags kann der Steuerpflichtige Aufwendungen für sein behindertes Kind gem. § 33 EStG zusätzlich abziehen.
Normenkette
§ 33, § 33a Abs. 1 S. 3, § 33b EStG, § 1601, § 1602 BGB
Sachverhalt
Die 1975 geborene Tochter A der Kläger leidet an Down-Syndrom. Sie ist schwerbehindert mit dem Merkmal "H" und wurde bei den Klägern gem. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG berücksichtigt. Die Tochter A war in einer sozialtherapeutischen Hofgemeinschaft untergebracht und ging dort in einer Behindertenwerkstatt einer Tätigkeit nach. A ist Eigentümerin eines ihr 1993 vom Großvater geschenkten Mehrfamilienhauses.
Daraus erzielte A im Streitjahr negative Einkünfte aus V+V von 10 486 DM. Die Kläger machten Aufwendungen von 77 114 DM für As Unterbringung und Werkstattbesuch als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG geltend. Das FA berücksichtigte die Aufwendungen nicht, zog aber den Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 3 EStG) und den Pflege-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 6 EStG) ab.
Das FG (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 22.05.2008, 1 K 50225/04, Haufe-Index 2006685, EFG 2008, 1710) wies die auf Berücksichtigung der Aufwendungen gerichtete Klage ab, weil A über ein nicht unerhebliches Vermögen – das Mehrfamilienhaus – verfüge.
Entscheidung
Der BFH hob aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen die Vorentscheidung auf. Der BFH bejahte grundsätzlich die Voraussetzungen für einen Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen, gab aber dem FG auf, noch die Höhe der Aufwendungen festzustellen.
Hinweis
Der Streitfall führt über § 33 Abs. 1 EStG zur Frage, ob ein volljähriges schwerbehindertes Kind von seinen Eltern Unterhalt beanspruchen kann, wenn es eigenes Vermögen besitzt. Die Antwort gibt das BGB.
1.§ 33 Abs. 1, 2 EStG lässt einem Steuerpflichtigen entstandene zwangsläufige Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zum Abzug zu, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Der BFH beurteilte hier Aufwendungen der Kläger für ihre Tochter A als aus rechtlichen Gründen zwangsläufig. Die Kläger hatten A angemessenen Unterhalt zu leisten (§§ 1601, 1610 Abs. 1 BGB). Dazu zählt auch der behinderungsbedingte Mehrbedarf.
2.§ 1602 BGB stand dem nicht entgegen. Unterhaltsaufwendungen sind zwar nur dann zwangsläufig, wenn die unterhaltene Person sich nicht selbst unterhalten kann.
Mit der zivilrechtlichen Rechtsprechung zum Unterhaltsrecht sah der BFH keine Pflicht, dass A ihren Vermögensstamm für ihren Unterhalt einzusetzen hätte, auch wenn ein volljähriges Kind grundsätzlich verpflichtet ist (§ 1602 Abs. 2 BGB), vorrangig seinen Vermögensstamm zu verwerten. Denn das gilt nicht, wenn die Verwertung im Einzelfall unzumutbar ist. So dürfen insbesondere schwerbehinderte volljährige Kinder, die ihren angemessenen Bedarf nicht selbst decken können und bei denen ungewiss ist, ob ihr Unterhaltsbedarf im Alter durch Unterhaltsleistungen der Eltern gedeckt werden kann, maßvoll Vermögen bilden. Eine als Altersvorsorge dienende vermietete Eigentumswohnung ist deshalb nicht vor der Inanspruchnahme elterlichen Unterhalts zu verwerten (OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.11.1999, 2 UF 229/98, Haufe-Index 511816, FamRZ 2001, 47). So entschied der BFH nun für das hier streitige Mehrfamilienhaus der A. Angesichts des außerordentlich hohen Unterhaltsbedarfs der A wäre bei Verwertung des Grundstücks der Veräußerungserlös schnell verbraucht.
Weiter stellte der BFH (Leitsatz 3) klar, dass die Sondernorm des § 33a Abs. 1 S. 3 EStG nicht bei § 33 EStG gilt.
3. Neu ist noch, dass der Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 3 EStG) bei Übertragung (§ 33b Abs. 5 EStG) zusätzlich abzuziehen ist, weil dieser eigentlich Aufwendungen des Kinds betrifft.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.02.2010 – VI R 61/08