Leitsatz
1. Bei einer doppelten Haushaltsführung im Ausland ist im Einzelfall zu prüfen, welche Unterkunftskosten notwendig sind (entgegen: Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 25.11.2020, BStBl I 2020, 1228, Rz 112).
2. Bei einer beamtenrechtlich zugewiesenen Dienstwohnung sind die Unterkunftskosten am ausländischen Beschäftigungsort stets in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung abzugsfähig.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5, § 3c Abs. 1 EStG, § 72 Abs. 2 BBG, § 22 SGB II
Sachverhalt
Die Kläger sind Eheleute. Sie unterhielten im Streitjahr eine Wohnung im inländischen Z. Der Kläger arbeitet als Botschafter für die Bundesrepublik Deutschland und war in dieser Funktion zunächst in Y (Republik A) und anschließend in X (Republik B) tätig. Die Bezüge wurden von seinem Arbeitgeber teilweise als steuerpflichtig und teilweise als steuerfrei behandelt. Während seiner Dienstzeit wies das Auswärtige Amt dem Kläger in der jeweiligen Residenz belegene Wohnungen mit Flächen von 249,22 qm (Y) und 185,62 qm (X) beamtenrechtlich zu. Hierfür wurde eine Dienstwohnungsvergütung vom Gehalt einbehalten. Das FA erkannte die von den Klägern für diese Wohnungen geltend gemachten Unterkunftskosten (Dienstwohnungsvergütung und Nebenkosten) im Rahmen der (unstreitig vorliegenden) doppelten Haushaltsführung des Klägers auch im Einspruchsverfahren lediglich anteilig bezogen auf eine Wohnfläche von 60 qm an.
Der dagegen erhobenen Klage gab das FG statt (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.6.2021, 3 K 1255/20, Haufe-Index 14799793, EFG 2021, 1708).
Entscheidung
Die Revision des FA hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1.§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 4 EStG enthält mit Wirkung ab dem VZ 2014 eine besondere Bestimmung zur steuerlichen Berücksichtigung von Unterkunftskosten bei einer doppelten Haushaltsführung im Inland. Die Prüfung der in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG vorgesehenen Beschränkung auf notwendige Mehraufwendungen entfällt in diesem Fall (ebenso BMF, Schreiben vom 25.11.2020, IV C 5 – S 2353/19/10011:006, BStBl I 2020, 1228, Rz. 106).
2. Angesichts des eindeutigen Wortlauts ("im Inland") scheidet eine Anwendung der Regelung auf einen – wie im Streitfall – im Ausland belegenen Zweithaushalt indes aus. Insoweit verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG, wonach notwendige Unterkunftskosten, das heißt begrenzt auf das nach objektiven Maßstäben zur Zweckverfolgung Erforderliche, als Werbungskosten abzugsfähig sind (z.B. BFH, Beschluss vom 12.7.2017, VI R 42/15, BFH/NV 2017, 1506).
3. Eine Typisierung dahin gehend, dass Unterkunftskosten, die den Durchschnittsmietzins einer 60-qm-Wohnung am Beschäftigungsort nicht überschreiten, notwendig in diesem Sinne sind – wie der erkennende Senat in der bis zum VZ 2013 geltenden Fassung für Inlandssachverhalte angenommen hat (s. BFH, Urteil vom 9.8.2007, VI R 10/06, BFH/NV 1996 sowie BFH, Beschluss vom 12.7.2017, VI R 42/15, BFH/NV 2017, 1506, m.w.N.) –, kommt für Auslandssachverhalte und damit im Streitfall nicht in Betracht (entgegen: BMF, Schreiben vom 25.11.2020, IV C 5 – S 2353/19/10011:006, BStBl I 2020, 1228, Rz. 112).
a) Der Senat hat sich bei dieser typisierenden Bestimmung des notwendigen zusätzlichen Wohnbedarfs am Beschäftigungsort an dem inländischen sozialhilferechtlich anerkannten Mindestbedarf für Unterkunft und Wohnen einer Person nach § 22 SGB II und der zu dieser Vorschrift ergangenen sozialrechtlichen Rechtsprechung orientiert und diesen im Hinblick auf die Finanzierung durch die eigene Berufstätigkeit auf 60 qm angehoben, da die sozialrechtlichen Vorgaben lediglich einer existenziellen Versorgung dienen (sog. "60-qm–Rechtsprechung"). Die vorgenommene Typisierung des Tatbestandsmerkmals "notwendig"gründet damit im Wesentlichen auf einem nach inländischen Verhältnissen bemessenen Merkmal, das sich als Maßgröße für die Notwendigkeit von Unterkunftskosten im Ausland nicht fruchtbar machen lässt.
b) Im Übrigen ist eine "Übertragung" der sog. "60-qm–Rechtsprechung"auf Auslandssachverhalte schon deshalb nicht angezeigt, weil die dahin gehende typisierende Gesetzesauslegung des Tatbestandsmerkmals "notwendig" nicht der einfacheren Handhabung in steuerlichen Massenverfahren dient. Sie ist vielmehr bei Auslandssachverhalten nicht handhabbar. Denn belastbare Feststellungen zum ortsüblichen Mietzins je Quadratmeter für eine nach Lage und Ausstattung durchschnittliche Wohnung (Durchschnittsmietzins) am ausländischen Beschäftigungsort können in der Regel – auch unter Berücksichtigung der erhöhten Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§ 90 Abs. 2 AO) – weder von den Beteiligten im Veranlagungsverfahren erhoben noch von den FG belastbar überprüft werden. Dies belegt auch der vorliegende Streitfall, in welchem das FA zugunsten der Kläger mangels anderweitiger Erkenntnisse lediglich unterstellt hat, dass die tatsächlich vom Kläger gezahlte Dienstwohnungsvergütung der ortsüblichen Ver...