Leitsatz
Erwirbt ein Miterbe entgeltlich den Erbteil eines anderen Miterben, so entstehen ihm insoweit Anschaffungskosten für ein zum Nachlass gehörendes Grundstück, die dazu führen, dass der Gewinn aus der Veräußerung dieses Grundstücks nach § 23 EStG a.F. steuerbar ist, wenn es innerhalb der Spekulationsfrist von nicht mehr als zwei Jahren seit Erwerb des Erbteils veräußert wird.
Normenkette
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG 1990
Sachverhalt
Die Klägerin ist zusammen mit ihrer Schwester Erbin nach ihrem verstorbenen Vater. Dieser hatte seine beiden Töchter je zur Hälfte als Erben eingesetzt, und zwar als (nicht befreite) Vorerben. Nacherbin nach dem Tod der Schwester sollte die Klägerin sein. Nacherben nach dem Tod der Klägerin sollen deren eheliche Kinder sein. Die Klägerin hat eine Tochter. Zum Nachlass gehörten mehrere mit Mehrfamilienhäusern bebaute und unbebaute Grundstücke.
Die Schwester der Klägerin übertrug ihren Erbteil im Jahr 1995 für 280.000 DM an eine Grundstücksgesellschaft. Die Klägerin übte im gleichen Jahr ihr Vorkaufsrecht aus (§ 2034 BGB) und erhielt den Erbteil ihrer Schwester 1996 von der Grundstücksgesellschaft. Anschließend veräußerte sie mit Zustimmung ihrer Tochter ein zum Nachlass gehörendes Grundstück für 1.270.000 DM.
In ihrer Einkommensteuererklärung erklärte sie einen Spekulationsgewinn in Höhe von 23.603 DM. Sie legte dabei einen teilentgeltlichen Erwerb zugrunde, weil sie lediglich den hälftigen Anteil ihrer Schwester in deren Stellung als nicht befreite Vorerbin erworben habe. Der Erbanteil in seiner Substanz habe ihr schon wegen ihrer Einsetzung als Nacherbin und damit unentgeltlich zugestanden.
Das FA berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid einen Veräußerungsgewinn von 547.499.DM, indem es dem Verkaufspreis des ideellen Anteils von 635.000 DM (1/2 von 1.270.000 DM) anteilige Veräußerungskosten und Anschaffungskosten (87.501 DM) gegenüberstellte. Im Einspruchsverfahren berücksichtigte das FA weitere Veräußerungskosten und ermäßigte den Spekulationsgewinn auf 535.164 DM.
Die Klage hatte Erfolg. Dagegen richtete sich die Revision des FA.
Entscheidung
Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen; der Gewinn aus dem – innerhalb von zwei Jahren nach Erwerb erfolgten – Verkauf des Grundstücks sei als Spekulationsgewinn zu erfassen. Die Nacherbenstellung der Klägerin ändere nichts daran, dass bis zum Eintritt des Nacherbfalls (vgl. § 2106 BGB) allein der Vorerbe als Miterbe am Nachlass beteiligt sei.
Ob die Verfügungsbeschränkungen des nicht befreiten Vorerben die Anschaffungskosten beeinflussten und sich auf diese Weise auf den der Besteuerung zu unterwerfenden Gewinn auswirkten, könne offen bleiben, weil deshalb der Erwerb nicht in einen entgeltlichen und in einen unentgeltlichen Teil aufzuspalten sei. Soweit der Klägerin Anschaffungskosten am Grundstück zurechenbar seien, betreffe die Veräußerung dieses Grundstücks auch das nämliche – also das angeschaffte – Wirtschaftsgut. Nur in Höhe ihres eigenen Anteils am Nachlasswert sei ein unentgeltlicher Erwerb gegeben.
Hinweis
Anschaffungskosten i.S.d. § 23 Abs. 1 und Abs. 4 EStG sind u.a. Aufwendungen für den entgeltlichen Erwerb eines Grundstücks (BFH, Urteil vom 22.9.1987, IX R 15/84, BStBl 1988 II, 250). Entsprechendes gilt, wenn – wie hier – das Grundstück zu einer Erbmasse gehört und der Erbteil eines Miterben erworben wird.
In diesem Fall entstehen dem Erwerber Anschaffungskosten für die hinzuerworbenen Anteile am Gemeinschaftsvermögen (so BFH, Beschluss vom 5.7.1990, GrS 2/89, BStBl II 1990, 837); dies entspricht dem wirtschaftlich vergleichbaren Sachverhalt bei der Erbauseinandersetzung durch Realteilung (§ 2042 Abs. 2 i.V.m. § 752 BGB), soweit der Wert des Erlangten den Wert seines Erbanteils übersteigt und der Erbe deshalb Ausgleichszahlungen leistet.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.4.2004, IX R 5/02