Leitsatz
Für die Gesamtwürdigung im Rahmen der Beurteilung, ob ein zwischen nahen Angehörigen geschlossener Vertrag der Besteuerung zugrunde zu legen ist, können auch zeitlich vor dem Streitjahr liegende Umstände herangezogen werden (Abgrenzung vom BFH, Urteil vom 8.3.1962, IV 165/60 U, BStBl III 1962, 217).
Normenkette
§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG , § 12 Nr. 1 EStG , § 12 Nr. 2 EStG
Sachverhalt
1987 übertrug die Mutter (M) des Klägers diesem und seinem Bruder (B) je zur Hälfte ihren Kommanditanteil an der X-KG. Im Gegenzug hatten der Kläger und B der M eine lebenslange Versorgungsrente i.H.v. 16 % des jährlichen Reingewinns der X-KG, mindestens jedoch 30.000 DM jährlich zu zahlen. Die Anwendung des § 323 ZPO sollte "ausdrücklich nicht ausgeschlossen" sein. In der Folgezeit erwirtschaftete die X-KG mit Ausnahme weniger Jahre (so 1990) hohe Verluste, so dass stets nur die Mindestrente gezahlt wurde.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1995 machte der Kläger den auf ihn entfallenden Anteil an den Zahlungen (15.000 DM) als dauernde Last (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG) geltend. Das FA versagte den Abzug mit dem Hinweis, der Vertrag sei nicht entsprechend der getroffenen Vereinbarung durchgeführt worden, weil die Mutter im Jahr 1990 aufgrund der damaligen Gewinnsituation der KG Anspruch auf eine Sonderzahlung über den Mindestbetrag der Rente hinaus gehabt hätte. Dagegen wendete der Kläger mit der Klage ein, die Vertragspartner hätten der Rentenvereinbarung nicht den Bilanzgewinn der KG, sondern den Gewinn abzüglich eines aufgelaufenen Verlustvortrags zugrunde gelegt. Danach habe sich für 1990 wegen des im Jahr 1989 angefallenen Verlusts kein Anspruch der M auf Zahlung einer den Mindestbetrag übersteigenden Rente ergeben.
Das FG gab der Klage statt (EFG 2002, 812). Es legte den Vertrag zwar ebenso wie das FA dahin aus, dass der Begriff "jährlicher Reingewinn" eine Verrechnung mit Verlustvorträgen ausschließe. Jedoch hindere das Prinzip der Abschnittsbesteuerung die Berücksichtigung der für 1990 gewonnenen Erkenntnisse im Streitjahr 1995. Auf die Revision des FA hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidung
Zwar sei dem FG zuzugeben, dass im Wortlaut des Übergabevertrags eine Verlustverrechnung nicht ausdrücklich angeordnet worden sei. Indes könne ein Kommanditist nach § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB die Auszahlung des auf ihn entfallenden Gewinnanteils nicht fordern, solange sein Kapitalanteil durch Verlust unter den auf die bedungene Einlage geleisteten Betrag herabgemindert sei. Das Vorhandensein einer solchen Entnahmesperre stelle sogleich ein gewichtiges Indiz gegen die vom FG vertretene Auslegung der vertraglichen Berechnungsformel dar. Die Auslegung des FG gehe daher von unzutreffenden rechtlichen Grundlagen aus. Der Senat könne die erforderliche Auslegung indes nicht selbst vornehmen, weil das FG nicht alle dafür maßgeblichen Umstände festgestellt habe.
Sollte auch die erneute Auslegung des Versorgungsvertrags ergeben, dass M im Jahr 1990 nicht den vollen ihr zustehenden Rentenbetrag erhalten habe, wäre das FG allerdings – wie die Revision zu Recht rügt – nicht durch den Grundsatz der Abschnittsbesteuerung gehindert, diese Abweichung als Indiz im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung der steuerrechtlichen Anerkennung des Vertrags im Streitjahr 1995 zu berücksichtigen.
Hinweis
1. Der vorliegende Streitfall betrifft das Problem der (ertrag-)steuerrechtlichen Anerkennung von Vermögensübergabeverträgen zwischen nahen Angehörigen, wenn der Vertrag nicht in allen Punkten entsprechend den vertraglichen Abreden tatsächlich durchgeführt wurde. In diesem Zusammenhang hat der BFH schon in seinem Urteil ebenfalls vom 3.3.2004, X R 14/01 (BFH-PR 2004, 263) darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung der Frage, ob ein – ohnehin regelmäßig nur zwischen nahen Angehörigen abgeschlossener – Versorgungsvertrag tatsächlich durchgeführt worden ist, weniger ein Vergleich zu Verträgen zwischen fremden Dritten im Mittelpunkt der gebotenen Gesamtwürdigung steht, sondern vielmehr die Frage zu beantworten ist, ob der Vereinbarung von beiden Vertragspartnern rechtliche Bindungswirkung beigemessen wird. Dies kann trotz einer Abweichung von der vertraglich vereinbarten Höhe der – ohnehin abänderbaren – Versorgungsleistungen der Fall sein, wenn sich diese Abweichung nicht als willkürlich darstellt.
2. Das FG sah sich durch das Abschnittsprinzip (vgl. § 2 Abs. 7 Sätze 1 und 2, § 25 Abs. 1 EStG) daran gehindert, für die Frage der (relevanten) Abweichung der tatsächlichen Durchführung des von den Vertragspartnern (nahen Angehörigen) vereinbarten Erkenntnisse aus früheren Veranlagungszeiträumen zu verwerten. Dem widersprach der BFH zu Recht unter Hinweis darauf, dass das Abschnittsprinzip primär der praktikablen Abwicklung des Veranlagungsverfahrens diene und aus ihm materiell-rechtliche Grundsätze nur mit großer Zurückhaltung abgeleitet werden könnten. Maßgebend für die Beurteilung, ob ein zwischen nah...