Leitsatz
Die rückwirkende Neuregelung der Kindergeldberechtigung für ausländische Staatsangehörige durch Gesetz vom 13.12.2006 ist nach dem Vorlagebeschluss des FG Köln vom 9. 5. 2007 verfassungswidrig, soweit sie ausländerrechtlich nur geduldete Personen betrifft.
Sachverhalt
Die Klägerin ist marokkanische Staatsangehörige und lebt seit 1991 in der BRD. Sie ist Mutter von zwei in den Jahren 1993 und 1994 in der BRD geborenen Kindern. Die Klägerin ist weder im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis noch einer Aufenthaltsberechtigung. Auch eine Anerkennung als Flüchtling/Asylberechtigte erfolgte nicht. Im Januar 2004 wurde ihr lediglich von der Stadt Aachen eine Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen erteilt (§§30, 32 AuslG a.F). Im März 2005 wurde ihr ebenfalls aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG erteilt, mit der Nebenbestimmung, dass die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt sei. Der Kindergeldantrag vom 19. Mai 2005 wurde mit dem Hinweis auf § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG abgelehnt, da die Klägerin lediglich im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis i.S. § 23 Abs. 1 AufenthG sei. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Entscheidung
Der 10. Senat des FG Köln hält die durch Gesetz vom 13.12.2006 eingeführte Neuregelung nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG für vereinbar, und hat das Verfahren gemäß Artikel 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt und, soweit die Jahre ab 2005 betroffen sind, die Neuregelung dem BVerfG zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt (2 BvL 3/07).
Die Voraussetzungen, unter denen Kindergeld für Ausländer gewährt wird, mussten aufgrund einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 2004 bis zum 1. 1. 2006 geändert werden. Falls diese Frist nicht eingehalten wird, sollte nach der Vorgabe des BVerfG das bis Ende 1993 geltende Recht zur Anwendung kommen. Danach hatten u.U. auch lediglich geduldete Ausländer ab einem Aufenthalt von einem Jahr einen Anspruch auf Kindergeld. Der Gesetzgeber hat den Auftrag des BVerfG erst mit Gesetz v. 13.12.2006 umgesetzt. Das Gesetz ist rückwirkend am 1.1.2006 in Kraft getreten und soll zudem auch für frühere Jahre gelten, soweit das Kindergeld noch nicht bestandkräftig festgesetzt ist. Auch nach der Neuregelung steht Ausländern mit bloßem Duldungsstatus wie in dem vom BVerfG beanstandeten Gesetz kein Kindergeld zu. Ein Anspruch kann allerdings bei einer humanitären Aufenthaltserlaubnis u.a. bestehen, wenn sich der Ausländer seit mindestens 3 Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält und hier rechtmäßig erwerbstätig ist. Diese Regelung hält das FG nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG für vereinbar. Der Gesetzgeber vernachlässige weiterhin, dass es eine große Anzahl von Ausländern gebe, die bereits seit vielen Jahren geduldet im Bundesgebiet lebten. Für diese Gruppe stelle der Ausschluss vom Kindergeld im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie eine nicht zu rechtfertigende Benachteiligung dar.
Hinweis
Das FG Köln hat dem BVerfG am 9. 5. 2007 ein weiteres Verfahren mit vergleichbarer verfassungsrechtlicher Fragestellung vorgelegt (2 BvL 4/07). Für die Jahre 2003 und 2004 hat das FG das Verfahren abgetrennt und mit Urteil vom 9. 5. 2007, 10 K 983/04 einen Kindergeldanspruch der Klägerin unmittelbar bejaht. Da der BFH im Urteil vom 15. 3. 2007, III R 93/03 keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung hatte, hat das FG gegen das Urteil vom 9. 5. 2007 die Revision zugelassen, welche inzwischen unter dem Az. III R 43/07 anhängig ist. In vergleichbaren Fällen sollte daher Einspruch eingelegt und auf das Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 AO verwiesen werden.
Link zur Entscheidung
FG Köln, Beschluss vom 09.05.2007, 10 K 1689/07