Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nach dem die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden, der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallende Anteil am Gewinn hingegen nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, ist grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen.
2. Eine solche Einstellung in die gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt auch beim beherrschenden Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger war im Streitjahr 2012 geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter verschiedener zu einer Firmengruppe gehörender GmbH. Die Satzungsbestimmungen sahen vor, dass der auszuschüttende Gewinn grundsätzlich nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile auf die Gesellschafter zu verteilen war. Allerdings konnte die Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit eine abweichende Gewinnausschüttung beschließen. Wurde der Gewinn eines Gesellschafters nicht ausgeschüttet, war dieser nach der jeweiligen Satzung dem Gesellschafter auf einem personenbezogenen Rücklagenkonto gutzuschreiben. Der betroffene Gesellschafter musste dieser Regelung zustimmen. Auf dem personenbezogenen Rücklagenkonto befindliche Gewinne konnten zu einem späteren Zeitpunkt an diesen Gesellschafter ausgeschüttet werden. Hierüber entschied die Gesellschafterversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit.
Für 23 jener GmbH stellten die Gesellschafter im Streitjahr die Jahresabschlüsse 2011 bzw. 2011/2012 fest und entschieden über die Verwendung und Verteilung der jeweiligen Bilanzgewinne. Danach wurden die Anteile des Klägers am Gewinn nicht ausgeschüttet und den personenbezogenen Gewinnrücklagen zugeführt. Diese wurden als Gewinnrücklagen im Eigenkapital der jeweiligen Gesellschaft ausgewiesen.
Das FA war dagegen der Auffassung, dass dem Kläger Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen seien. Dementsprechend änderte das FA die bereits bestandskräftige ESt-Festsetzung des Streitjahres unter Verweis auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Das FG wies die hiergegen erhobene Klage ab (Niedersächsisches FG, Urteil vom 4.7.2019, 10 K 181/17, Haufe-Index 13416289, EFG 2019, 1583).
Entscheidung
Der BFH hat der Revision des Klägers stattgegeben. Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass gesellschaftsrechtlich zulässige und steuerlich anzuerkennende Beschlüsse über gespaltene bzw. inkongruente Gewinnverwendungen zum Zufluss von Kapitalerträgen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG führen.
Hinweis
1. Im vorliegenden Fall hatten die Gesellschafter der GmbH zeitlich inkongruente Gewinnausschüttungen beschlossen. Sie hatten im Einklang mit der Satzung der GmbH bestimmt, dass die Minderheitsgesellschafter an der Gewinnausschüttung teilnehmen, während der Anteil des Klägers als Mehrheitsgesellschafter am Gewinn nicht ausgeschüttet, sondern der personenbezogenen Rücklage zugeführt wurde.
2. Dieser zivilrechtlich wirksame Gesellschafterbeschluss einer inkongruenten Gewinnausschüttung ist nach Auffassung des BFH steuerrechtlich anzuerkennen. Dies hat zur Folge, dass der Gesellschafter keinen Gewinnanteil i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG bezieht, da der Gewinn in einer personenbezogenen Rücklage thesauriert wird. Für spätere Ausschüttungen aus dieser gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage ist erneut ein Beschluss über die Gewinnverwendung zu fassen. Erst mit diesem Beschluss erfolgt ein Zufluss von Kapitalerträgen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG.
3. Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO liegt nicht vor. Die Tatsache, dass Ausschüttungen an alle Gesellschafter möglich gewesen wären, genügt nicht, um dem zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschluss die steuerliche Anerkennung zu versagen. Die partielle Gewinnthesaurierung dient der Innen- bzw. Selbstfinanzierung der GmbH und beruht auf anzuerkennenden wirtschaftlichen Gründen. Es ist weder untypisch noch unangemessen, dass Gesellschafter unterschiedliche Interessen an der Ausschüttung von Gewinnen haben und die Gesellschafterversammlung demgemäß entscheidet, dass nur bestimmte Gesellschafter Ausschüttungen erhalten, während der Gewinn im Übrigen vorerst einbehalten wird.
4. Die Ausschüttung eines Gewinnanteils an den Kläger kann auch nicht fingiert werden. Zum einen widerspräche dies der steuerlichen Anerkennung der vorliegenden Beschlüsse über die gespaltenen bzw. inkongruenten Gewinnverwendungen. Zum anderen ist – entgegen der Auffassung des FG – i.H.d. dem jeweiligen Rücklagenkonto zugewiesenen Betrags kein konkreter, auszahlbarer Gewinnanspruch des Klägers entstanden. Der Auszahlungsanspruch des Klägers entsteht vielmehr erst durch den auf Ausschüttung gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss. Da ein solcher nicht gefasst wurde, hat der Kläger gegen die Gesellschaft keine Forder...