Leitsatz
1. Es ist kein hinreichender Grund ersichtlich, den zwischen zusammen veranlagten Ehegatten unentgeltlich zugewendeten Vermögenswert nach § 278 Abs. 2 AO einem zeitlich unbeschränkten Zugriff durch das FA auszusetzen, während die Anfechtung einer solchen Vermögensverschiebung nach dem AnfG bei nicht zusammen veranlagten Eheleuten nur zeitlich eingeschränkt möglich ist.
2. Soweit § 278 Abs. 2 AO eine zeitlich unbeschränkte Inanspruchnahme des Zuwendungsempfängers vorsieht, während das AnfG für vergleichbare Sachverhalte zeitlich begrenzte Anfechtungsmöglichkeiten eröffnet, liegt eine Regelungslücke vor, die durch eine analoge Anwendung von § 3 Abs. 1 AnfG zu schließen ist.
Normenkette
Art. 6 Abs. 1 GG, § 278 Abs. 2 AO, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 AnfG
Sachverhalt
Eine Ehefrau wurde für 1986 und 1987 zusammen mit ihrem Ehemann zur ESt veranlagt. 1992 wurde die rückständige Einkommen- und Kirchensteuer für 1986 und 1987 nebst Säumniszuschlägen gegenüber den Eheleuten aufgeteilt.
Da die Frau mittels einer Rentenvereinbarung mit einer GmbH, welcher ihr Ehemann umfangreichen Besitz übertragen hatte, eine unentgeltliche Zuwendung durch ihren Ehemann in Höhe des Vermögenswerts des anteiligen Rentenstammrechts erhalten habe, erließ das FA im September 2002 einen Bescheid nach § 278 Abs. 2 AO, wonach der Ehefrau insoweit keine vollstreckungshindernde Einrede zustehe.
Entscheidung
Ungeachtet der Frage, ob wirklich eine unentgeltliche Zuwendung vorlag, ist der auf Inanspruchnahme der Ehefrau gerichtete Bescheid rechtswidrig, weil die maßgebliche 10-Jahres-Frist seit der angeblichen Zuwendung bereits verstrichen war, als das FA sich auf § 278 Abs. 2 AO erstmals berief.
Hinweis
Nach Aufteilung der Gesamtschuld zusammen veranlagter Ehegatten (§ 278 Abs. 1 AO) führt die Anwendung von § 278 Abs. 2 AO in den Fällen zu einer Aufhebung der Vollstreckungsbeschränkung, in denen einem Steuerschuldner von einer mit ihm zusammen veranlagten Person in oder nach dem Veranlagungszeitraum, für den noch Steuerrückstände bestehen, unentgeltlich Vermögensgegenstände zugewendet wurden. § 278 Abs. 2 AO regelt also einen Sonderfall der Schenkungsanfechtung.
Rechtsähnlich sind die Regelungen der §§ 3 und 4 AnfG. Nach § 3 Abs. 1 AnfG ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die der Schuldner in den letzten 10 Jahren vor der Anfechtung mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen, sofern der andere Teil zur Zeit der anfechtbaren Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte (sog. Absichtsanfechtung). Unentgeltliche Leistungen des Schuldners unterliegen nach § 4 Abs. 1 AnfG der Anfechtung, wenn sie früher als 4 Jahre vor der Anfechtung vorgenommen worden sind. Im Insolvenzverfahren gelten die §§ 133 und 134 InsO.
Anders als im AnfG sieht § 278 Abs. 2 AO aber keinerlei Frist für das Geltendmachen der Unentgeltlichkeit der Zuwendung vor. Der BFH hat deshalb eine "Regelungslücke" angenommen, zumal § 278 Abs. 2 AO im Rahmen der Insolvenzrechtsreform nicht geändert worden sei, bei der die Anfechtungsfrist verkürzt worden ist.
Diese Lücke will er durch eine analoge Anwendung von § 3 Abs. 1 AnfG schließen, weil eine vergleichbare Interessenlage bestehe. Die Eigentümlichkeit des Aufteilungsverfahrens soll es allerdings rechtfertigen, nicht die an sich "passende" Anfechtungsfrist für eine Schenkungsanfechtung, sondern die 10-Jahres-Frist der Absichtsanfechtung anzuwenden.
Letztlich dürfte dahinter die verfassungsrechtliche Überlegung stehen, ein mit seinem Ehegatten zusammen veranlagter steuerpflichtiger Zuwendungsempfänger dürfe wegen Art. 6 Abs. 1 GG nicht einem zeitlich uneingeschränkten und auf das gesamte Vermögen gerichteten Zugriff des FA ausgesetzt werden, während die Anfechtung einer solchen Zuwendung unter Unverheirateten bzw. getrennt veranlagten Ehegatten nach § 3 Abs. 1 bzw. § 4 Abs. 1 AnfG nur Zuwendungen erfassen kann, die innerhalb von 10 bzw. 4 Jahren vor der Anfechtung vorgenommen worden, und zudem einem Entreicherungseinwand unterliegen!
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.5.2006, VII R 15/05