Vinzenz Fundel, Joachim Müller
Rz. 5
Die Rolle des Kapitalmarkts bei der Transformation der Wirtschaft in Richtung nachhaltige Entwicklung hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Kapitalgeber wie Großinvestor BlackRock mit Larry Fink geben mit Visionen und CEO-Aufforderungen die Richtung vor. Auch Politik und Gesetzgeber haben die Handlungsnotwendigkeit für den europäischen Kontinent erkannt und nehmen die Wirtschaft durch immer strengere Offenlegungspflichten ins Visier. Beträchtliche Hoffnungen werden auf den Kapitalmarkt gesetzt, um mit seinen Mechanismen und Instrumenten große Hebel für das Thema Nachhaltigkeit bewegen zu können. Durch Maßnahmen wie den European Green Deal soll das für die Transformation der Wirtschaft notwendige Kapital mobilisiert und dort in die richtigen Bahnen gelenkt werden.
Rz. 6
Steigender Druck kommt durch die internationalen Aufsichtsbehörden wie die European Central Bank (EZB), die European Banking Authority (EBA) oder die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf nationaler Ebene, welche die Finanzmarktteilnehmer zur Integration von ESG-Risiken in das eigene Risikomanagement und Investitionsprozesse zwingen. Um die Compliance mit den Vorgaben der Aufsicht sicherzustellen, geben die Finanzinstitute die Anforderungen an die Realwirtschaft weiter oder werden dies künftig tun. So haben Investoren und Banken längst ihre eigenen ESG-Fragebögen und Assessments entwickelt, um mögliche ESG-Risiken im Entscheidungsprozess der Finanzmittelvergabe systematisch berücksichtigen zu können. Um der Notwendigkeit für mehr Transparenz in der Betrachtung der Nachhaltigkeitsleistung zu entsprechen, werden einheitliche Daten und Definitionen nach Offenlegungspflichten wie der CSRD (§ 9 Rz 55 ff.) mit Taxonomie-Verordnung (§ 12), Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR; § 11) oder Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD; § 15 Rz 79) von der EU verabschiedet. Der starke Eingang von Nachhaltigkeit in die Regulatorik zeigt die sukzessive Entwicklung vom "Kann"-Thema zum "Muss"-Thema für den Kapitalmarkt und damit für die Realwirtschaft.
Abb. 1: Beispiele für regulatorische Initiativen innerhalb der EU mit Auswirkungen auf den Kapitalmarkt
Rz. 7
Die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Bewertung von Geschäftsmodellen und die damit einhergehende Verbreiterung des Analysehorizonts macht eine Abkehr vom bisherigen Shareholder-Ansatz, der stark auf den finanziellen Erfolg des Unternehmens ausgerichtet war, notwendig. Der Kreis der Interessengruppen, die für die Erfolgseinschätzung eines Geschäftsmodells wesentlich sind, wird deutlich ausgeweitet. Daher werden der Kapitalmarkt und die Realwirtschaft die bisherige Betrachtungsweise hin zu einem ganzheitlichen Stakeholder-Ansatz weiterentwickeln müssen.