Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
1. Die Übertragung einer wesentlichen Beteiligung i.S.v. § 17 EStG unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts im Weg der vorweggenommenen Erbfolge ist als unentgeltliche Vermögensübertragung keine Veräußerung i.S.v. § 17 Abs. 1 EStG. Eine Anteilsveräußerung liegt auch dann nicht vor, wenn das Nießbrauchsrecht später abgelöst wird und der Nießbraucher für seinen Verzicht eine Abstandszahlung erhält, sofern der Verzicht auf einer neuen Entwicklung der Verhältnisse beruht (Ablehnung des sog. Surrogationsprinzips).
2. Ein rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegt bei einem abgeschlossenen Rechtsgeschäft nur dann vor, wenn der Rechtsgrund für die später geleisteten Zahlungen bereits in diesem Rechtsgeschäft angelegt ist.
Normenkette
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, § 17 Abs. 1 EStG
Sachverhalt
Die Kläger waren für das Streitjahr 1995 zusammen zur ESt zu veranlagen. Der Kläger hatte in diesem Jahr seine 30 %ige Beteiligung an einer GmbH im Weg der vorweggenommenen Erbfolge auf seine Kinder übertragen und sich dabei den Nießbrauch an der Beteiligung und eine Rente für seine Ehefrau vorbehalten.
Zwei Jahre später veräußerten die Kinder die Beteiligung, die Eltern verzichteten gegen Zahlung eines Ablösebetrags auf Ihre Rechte.
Nachdem das FA von diesem Vorgang erfahren hatte, änderte es den bestandskräftigen ESt-Bescheid 1995 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und legte der Einkommensteuerfestsetzung unter Berücksichtigung des Ablösebetrags einen Veräußerungsgewinn i.S.v. § 17 EStG zugrunde. Das FG gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH bestätigte das Urteil im Ergebnis. Die Übertragung der wesentlichen Beteiligung gegen Nießbrauchsvorbehalt sei noch keine Veräußerung.
Dazu sei sie auch durch die spätere Zahlung eines Ablösebetrags für das Nießbrauchsrecht nicht geworden; es fehle an einem sachlichen Zusammenhang zwischen der Schenkung und dem Verzicht auf das Nießbrauchsrecht.
Ein solcher Zusammenhang bestehe weder rechtlich (Ablehnung des sog. Surrogationsprinzips) noch tatsächlich, weil der Verzicht nach den insoweit bindenden Feststellungen des FG auf einer Veränderung der Verhältnisse beruht habe. Damit seien aber auch die Voraussetzungen des § 17 EStG und des im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO anzuwendenden § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt.
Hinweis
Der BFH hatte sich schon in früheren Entscheidungen mit der Frage zu befassen, ob die Ablösung eines Nießbrauchsrechts, das sich der Schenker eines Grundstücks vorbehalten hatte, Gegenstand eines selbstständigen Rechtsgeschäfts sein kann, oder ob die Ablösung – als "nachgeschobene Auflage" – noch Teil der urspünglichen Schenkung ist; er hat die Frage im Sinn der "Trennungstheorie" entschieden und das "Surrogationsprinzip" abgelehnt (vgl. z.B. BFH, Urteile vom 21.7.1992, IV R 71/90, BStBl II 1993, 486 und vom 25.11.1992, X R 34/89, BStBl II 1996, 663 m.w.N.).
Dem hat sich der VIII. Senat im vorliegenden Fall für den entgeltlichen Verzicht auf ein im Weg der vorweggenommenen Erbfolge eingeräumtes Nießbrauchsrecht an einer wesentlichen Beteiligung angeschlossen.
Da dieser Verzicht aber erst zwei Jahre nach der Übertragung der wesentlichen Beteiligung und nach der bestandskräftigen Einkommensteuerveranlagung des Schenkers für das Übertragungsjahr geleistet wurde, stellte sich zunächst die verfahrensrechtliche Frage, ob der bestandskräftige ESt-Bescheid noch geändert werden konnte.
Die Antwort hierauf hat der BFH im Ansatz bereits in seiner Entscheidung vom 19.4.2005, VIII R 68/04 (BFH-PR 2005, 428) gegeben. Er hat dort ausgeführt, dass sich in den Fällen, in denen – wie bei § 16 EStG oder § 17 EStG – ein Steuertatbestand an ein einmaliges punktuelles Ergebnis anknüpft, die Rechtsgrundlage für eine Änderung des bestandskräftigen Steuerbescheids aus einem Zusammenwirken von § 173 Abs. 1 und § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ergibt (vgl. dazu die Anm. in BFH-PR 2005, 428).
Das hat zur Folge, dass sich dort, wo die vertraglichen (oder sonstigen) Grundlagen für die spätere Änderung bereits im Veräußerungsjahr gelegt – aber dem FA nicht bekannt – waren, die Festsetzungsfrist nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO, sondern nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 169 ff. AO richtet.
Wäre deshalb im Streitfall nachzuweisen gewesen, dass die spätere Ablösung des Nießbrauchsrechts gegen Entgelt bereits im Jahr der Übertragung der wesentlichen Beteiligung geplant war, dann wäre der Ablösebetrag als "Veräußerungspreis" i.S.v. § 17 Abs. 2 EStG zu beurteilen gewesen und hätte der bestandskräftige EStG-Bescheid insoweit geändert werden können. Dieser Nachweis ließ sich hier nicht führen. Fehlt es aber an einem sachlichen Zusammenhang zwischen Schenkung und späteren Verzicht auf das Nießbrauchsrecht, ist § 17 EStG nicht anwendbar und es bleibt bei der bestandskräftigen Einkommensteuerveranlagung für das Jahr der Schenkung.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 14.6.2005, VIII R 14/04