Leitsatz
1. Einwendungen gegen die Berechnung der modifizierten ESt nach § 3 Abs. 2 SolZG sind im Rechtsbehelfsverfahren gegen die abgelehnte Änderung der Festsetzung des Solidaritätszuschlags und nicht im Verfahren gegen die abgelehnte Änderung der ESt-Festsetzung geltend zu machen.
2. Die nachträgliche Festsetzung von Kindergeld führt zu keiner Änderung des bestandskräftig festgesetzten Solidaritätszuschlags nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO.
3. Die Festsetzung und/oder Zahlung von Kindergeld sind keine Merkmale des Tatbestands von § 3 Abs. 2 SolZG i.V.m. § 32 EStG. Dem nachträglichen Eintreten dieser Umstände kommt daher keine Rückwirkung i.S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO für die Festsetzung des Solidaritätszuschlags zu.
Normenkette
§ 165, § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, § 32 EStG, § 1 Abs. 5, § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 SolZG, § 133 BGB
Sachverhalt
Die zusammen zur ESt veranlagten Kläger hatten in den Jahren 2003 und 2004 für ihre beiden Kinder zunächst kein Kindergeld bezogen. Kinderfreibeträge wurden in den ESt-Bescheiden für beide Jahre nicht gewährt. Im November 2005 und im Januar 2006 setzte die Familienkasse Kindergeld für beide Kinder fest. Den Antrag, die Steuerfestsetzungen 2003 und 2004 zu ändern und Kinderfreibeträge zu berücksichtigen, lehnte das FA ab.
Das FG (FG Münster, Urteil vom 11.09.2007, 14 K 5023/06 E, Haufe-Index 1823346, EFG 2007, 1926) wies die Klage ab. Die Kläger könnten keine Herabsetzung der ESt erreichen, weil das Kindergeld günstiger als die Freibeträge gewesen wäre. Die Herabsetzung der Bemessungsgrundlage für den Solidaritätszuschlag setze eine Änderung der ESt-Bescheide voraus, für die es aber keine Rechtsgrundlage gebe.
Entscheidung
Der BFH legte das Klagebegehren dahin aus, dass die Kläger sich nicht gegen die abgelehnte Änderung der ESt-Festsetzungen 2003 und 2004, sondern nur gegen die abgelehnte Änderung der Festsetzung des Solidaritätszuschlags 2003 und 2004 gewandt hatten, und wies die Revision als unbegründet zurück, weil ein Anspruch auf Herabsetzung des bestandskräftig festgesetzten Solidaritätszuschlags 2003 und 2004 nicht bestand.
Hinweis
1. Der ESt-Bescheid und die Festsetzung des Solidaritätszuschlags stehen grundsätzlich im Verhältnis Grundlagen-/Folgebescheid. Steuerpflichtige können mithin regelmäßig nur gegen den ESt-Bescheid vorgehen, wenn sie (auch) eine Herabsetzung des Solidaritätszuschlags erreichen wollen (vgl. §§ 1 Abs. 5, 3 Abs. 1 Nr. 1 SolZG).
2. Hat der Steuerpflichtige zu berücksichtigende Kinder, so bemisst sich der Solidaritätszuschlag stets nach der unter Abzug der Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG ermittelten ESt. Denn wenn es nach der Günstigerprüfung des § 31 EStG beim Kindergeld bleibt, wird die für den Solidaritätszuschlag maßgebliche ESt gem. § 3 Abs. 2 SolZG durch den Abzug von Freibeträgen nach § 32 Abs. 6 EStG modifiziert. Insoweit hat der ESt-Bescheid keine Grundlagenfunktion (§ 171 Abs. 10 AO). Einwendungen, die sich gegen die Berechnung der modifizierten ESt nach § 3 Abs. 2 SolZG richten, sind daher im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags geltend zu machen. Diese Rechtslage entspricht dem Verhältnis zwischen ESt und Kirchensteuer, auch dort muss zur Berücksichtigung fiktiver Kinderfreibeträge (§ 51a Abs. 2 EStG) ein Rechtsbehelfsverfahren gegen die Kirchensteuerfestsetzung angestrengt werden (BFH, Beschluss vom 28.11.2007, I R 99/06, BFH/NV 2008, 842, BFH/PR 2008, 260).
3. Waren Kinder des Steuerpflichtigen zunächst zu Unrecht unberücksichtigt geblieben und wird der ESt-Bescheid später durch Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG geändert, weil das Kindergeld keine vollständige Freistellung des Existenzminimums bewirkt, mindert sich gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO auch der Solidaritätszuschlag (sowie die Kirchensteuer).
4. Hatte der Steuerpflichtige gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags keinen Einspruch eingelegt und unterbleibt sodann eine Änderung des ESt-Bescheids, weil sich das nachträglich festgesetzte Kindergeld als günstiger erweist, kann der Solidaritätszuschlag nicht mehr mittels fiktiver Kinderfreibeträge herabgesetzt werden, weil es an einer Rechtsgrundlage für dessen Änderung fehlt: