Leitsatz
1. Wird eine mit einem Vorbehaltsnießbrauch belastete Immobilie mit Zustimmung des Nießbrauchers gegen eine andere Immobilie in der Weise ausgetauscht, dass dem Nießbraucher an der neuen Immobilie auf der Grundlage eines zuvor vereinbarten, rahmenbildenden Vertrags wiederum ein Nießbrauch eingeräumt wird, und trägt der Nießbraucher wirtschaftlich die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Ersatzimmobilie, so setzt sich der Vorbehaltsnießbrauch an der erworbenen Immobilie fort (verlängerter Vorbehaltsnießbrauch).
2. Kann der Eigentümer die Ersatzimmobilie nur aus dem Veräußerungserlös anschaffen oder herstellen, gilt nichts anderes, sofern sich der Nießbrauch im Zeitraum zwischen der Veräußerung der Altimmobilie und der Anschaffung der Ersatzimmobilie ununterbrochen auf den Veräußerungserlös erstreckt.
3. Ein obligatorisches Nießbrauchsrecht ist einem dinglichen Nießbrauch steuerrechtlich insoweit gleichzustellen.
Normenkette
§ 7 Abs. 1 Sätze 1 und 4, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 Satz 1, § 21 Abs. 1 EStG, § 68 Satz 1, § 121 Satz 1 FGO
Sachverhalt
Die Kläger, Eheleute, wohnten in einem Einfamilienhaus, das die Klägerin ihren drei Kindern unentgeltlich unter Nießbrauchvorbehalt übertragen hatte. Im Streitjahr beabsichtigten die Kläger umzuziehen. Mit ihren Kindern vereinbarten sie, das Einfamilienhaus zu verkaufen. Die Eltern sollten auf das Nießbrauchrecht verzichten. Der Nießbrauch sollte sich jedoch am Erlös und an einer ersatzweise anzuschaffenden Vermietungsimmobilie fortsetzen. Vereinbarungsgemäß wurde der Veräußerungserlös auf ein Konto der Kläger gezahlt. Von dem Erlös schafften die Kinder eine Eigentumswohnung und ein Pflegeheim-Appartement an und bestellten ihren Eltern an beiden Objekten ein lebenslanges Nießbrauchrecht. Die Kläger vermieteten beide Objekte. Sie gingen davon aus, die neuen Nießbrauchrechte entgeltlich angeschafft zu haben. Ihnen seien dafür Anschaffungskosten in Höhe des Kapitalwerts der ursprünglichen Nießbrauchrechte entstanden. Die Anschaffungskosten seien auf 20 Jahre (restliche Lebenserwartung des Längstlebenden) abzuschreiben. Das FA und das FG nahmen dagegen an, der ursprüngliche Nießbrauch habe sich wirtschaftlich an den neuen Objekten fortgesetzt. Danach könnten nur die Gebäudewerte abgeschrieben werden. Es gelte zudem die typisierte Restnutzungsdauer. Das FG hat die Klage abgewiesen (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.10.2020, 13 K 452/18, Haufe-Index 15037617, EFG 2021, 1449).
Entscheidung
Der BFH hat die Vorentscheidung aus formalen Gründen aufgehoben und die Klage abgewiesen. FA und FG hatten die AfA aus den dargestellten Gründen in zutreffender Höhe bestimmt.
Hinweis
1. Beim Vorbehaltsnießbrauch erzielt der Nießbraucher die Einkünfte aus VuV. Ihm steht auch die AfA zu, soweit er das Grundstück ununterbrochen aufgrund eigenen Rechts nutzt und die Anschaffungskosten getragen hat (ständige Rechtsprechung).
2. Dem Vorbehaltsnießbraucher steht der Schenker gleich, der dem Beschenkten die Mittel zuwendet, mit denen der Beschenkte ein vom Schenker im Voraus bestimmtes Grundstück erwirbt und dem Schenker daran ein Nießbrauchrecht bestellt (mittelbare Grundstücksschenkung). Auch in diesem Fall trägt der Nießbraucher die Anschaffungskosten.
3. Der im Streitfall verwirklichte Sachverhalt ("verlängerter Vorbehaltsnießbrauch") ist dem Vorbehaltsnießbrauch und der mittelbaren Grundstücksschenkung unter bestimmten Voraussetzungen gleichzustellen:
- Wird ein mit einem Vorbehaltsnießbrauch belastetes Grundstück mit Zustimmung des Nießbrauchers gegen ein anderes Grundstück ausgewechselt und wird dem Nießbraucher an dem neuen Grundstück wiederum ein Nießbrauchrecht eingeräumt, setzt sich wirtschaftlich der frühere Nießbrauch an dem neuen Grundstück fort.
- Das ist jedenfalls der Fall, wenn der gesamte Ablauf in einer "rahmenbildenden Vereinbarung" zwischen Nießbraucher und Eigentümer vorab klar geregelt und wie vereinbart durchgeführt worden ist und der Nießbraucher bei wirtschaftlicher Betrachtung die Anschaffungskosten für die Ersatzimmobilie getragen hat.
- Es ist nicht erforderlich, dass der Eigentümer über die Ersatzimmobilie im Zeitpunkt des Nießbrauchverzichts bereits verfügen konnte. Auch wenn der Eigentümer die Ersatzimmobilie erst aus dem Veräußerungserlös anschafft, setzt sich der Nießbrauch an der Ersatzimmobilie fort, wenn er sich in der Zwischenzeit vereinbarungsgemäß auf den Veräußerungserlös erstreckt. Dann trägt der Nießbraucher die Anschaffungskosten der Ersatzimmobilie, indem er auf seinen Nießbrauch am Veräußerungserlös verzichtet, der zur Bezahlung der Anschaffungskosten der anderen Immobilie verwendet wird.
- Unerheblich ist auch, wenn sich der Nießbrauch an mehreren Ersatzimmobilien fortsetzt, solange deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten insgesamt den Veräußerungserlös nicht übersteigen.
- Schließlich ist ein obligatorisches Nießbrauchrecht (hier: privatschriftlich vereinbarter Nießbrauch am Veräußerungserlös) steuerlich einem dinglichen Nie...