Der EuGH hat mit der Haftung eines Mitgliedsstaats bei nicht fristgerechter Umsetzung einer Richtlinie zur Sicherung der Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts im Rahmen der Rechtsfortbildung ein Instrument entwickelt, den durch die Richtlinie begünstigten Bürgern zu ihrem Recht zu verhelfen. Es widerspricht dem europäischen Gedanken, wenn nur einige Länder die Richtlinie umsetzen und damit der Grundsatz der Gemeinschaftstreue von den übrigen Ländern unterlaufen wird. Für den nationalen Verbraucher kann leicht der Gedanke einer Benachteiligung aufkommen, wenn er erfährt, dass andere Staaten die ihn betreffende Richtlinie bereits umgesetzt haben und dadurch möglicherweise einen besseren Schutz genießen als er.

Hintergrund des Haftungsanspruchs ist, dass Richtlinien im Gegensatz zu Verordnungen nicht unmittelbar geltendes Recht sind, sondern erst durch den nationalen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt werden müssen (Art. 288 Abs. 3 AEUV).

Der EuGH hat trotz des eindeutigen entgegenstehenden Wortlauts des Art. 288 Abs. 3 AEUV (bis 30.11.2009 Art. 249 Abs. 3 EGV) unter bestimmten Voraussetzungen eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien anerkannt.

Eine unmittelbare Wirkung einer Richtlinie setzt voraus, dass die betreffende Richtlinie nicht ordnungsgemäß oder nicht fristgerecht umgesetzt wurde, inhaltlich unbedingt und hinreichend genau bestimmt ist.[1]

Die Nichtumsetzung einer individualbegünstigenden Richtlinie bildet stets einen hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß.[2] Anspruchsgegner ist der Mitgliedsstaat, der die Richtlinie nicht fristgerecht oder inhaltlich nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat – m. a. W.: der Träger der staatlichen Stelle, die für die Rechtsverletzung verantwortlich ist.[3]

[1] Schmidt, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Aufl. 2018 Rz. 1349 m. w. N. zur umfangreichen EuGH-Rechtsprechung.
[2] Herdegen, Europarecht, 18. Aufl. 2016, § 10 Rz. 11; siehe Tz. 5.
[3] Vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 8. Aufl. 2018, § 14 Rz. 18 .

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