Was die verspätete nationale Umsetzung der CSRD bedeutet

Die europäische Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sollte ursprünglich bis Anfang Juli 2024 in deutsches Recht umgesetzt werden. Doch nach dem Ende der Regierungskoalition ist die Umsetzung in diesem Jahr fraglich. Was das für Unternehmen bedeutet, darüber sprachen wir mit Melanie Sack (IDW), Dr. Mansur Pour Rafsendjani (Noerr) und Marion Sollbach.

Am 20.12.2024 tagt der Bundesrat zum letzten Mal in diesem Jahr. Das wäre die letzte Chance, das Umsetzungsgesetz für die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) noch in diesem Jahr anzunehmen und die Richtlinie damit in nationales Recht umzusetzen. Zwar wurden in den letzten Wochen bereits Gesetzentwürfe der rot-grünen Minderheitsregierung mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP im Bundestag verabschiedet, ob dies auch bei der Umsetzung der CSRD gelingen wird, ist jedoch mehr als fraglich. Neben dem engen Zeitplan sprechen auch inhaltliche Differenzen gegen eine Umsetzung bis zum Jahresende: So bezeichnete der Berichterstatter der CDU für die CSRD, Stephan Mayer, das Gesetz als „unverhältnismäßige Belastung“ für die Wirtschaft. Sollte die CSRD nicht bis Ende des Jahres in Kraft treten, würde dies zu Unsicherheiten für Unternehmen und Wirtschaftsprüfer führen.

Vertragsverletzungsverfahren der EU

Wegen der verspäteten Umsetzung hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Das zuständige Bundesjustizministerium muss der EU-Kommission bis Ende dieser Woche beantworten, warum sich die Umsetzung verzögert. Erhält die EU-Kommission keine ausreichende Antwort, kann sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme abgeben, erneut eine Frist zur Umsetzung der Richtlinie setzen und mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) drohen, so Dr. Mansur Pour Rafsendjani, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Noerr. In der Regel hat die Bundesrepublik dann noch einmal zwei Monate Zeit, um zu antworten. Sollte es tatsächlich zu einem Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH kommen, drohen ein Zwangsgeld oder andere Strafzahlungen.

Dr. Pour Rafsendjani bezweifelt jedoch, dass es zu einem Verfahren gegen Deutschland kommen sollte: „In der vergangenen Woche hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen selbst eingeräumt, dass es Verbesserungs- und Verschlankungsbedarf im Hinblick auf die CSRD bedarf. Angesichts dieses Vorstoßes zur Reform der CSRD scheint es nicht sachgerecht, die Mitgliedsstaaten dafür zu bestrafen, dass sie die CSRD noch nicht umgesetzt haben. Zunächst sollte sich der EU-Gesetzgeber klar werden, wie die Pflichten der Unternehmen definitiv aussehen sollen.“

Auswirkungen auf bestehende Berichtspflichten

Unternehmen haben zwar keine direkten Folgen des Vertragsverletzungsverfahren zu befürchten, sind allerdings durch die Verzögerungen mit mangelnder Rechtssicherheit konfrontiert. Melanie Sack, Vorstandssprecherin des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW), ordnet ein: „Wenn das Gesetz nicht rechtzeitig bis zum Jahresende in Kraft tritt, bleibt der aktuelle Rechtsrahmen bestehen.“ Als EU-Richtlinie müsse die CSRD in nationales Recht umgesetzt werden. Ohne diese Umsetzung sind Unternehmen nicht unmittelbar durch die Richtlinie verpflichtet.

Große Kreditinstitute und kapitalmarktorientierte Unternehmen mit im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Arbeitnehmern fallen unter die Non-Financial Reporting Directive (NFRD). „Sie wären – wie bereits in den letzten Jahren – auch für das Geschäftsjahr 2024 zur Abgabe einer nichtfinanziellen Erklärung oder eines gesonderten nichtfinanziellen Berichts verpflichtet,“ so Sack. Anders als bei der CSRD unterläge die Berichterstattung dann allerdings keiner externen materiellen Pflichtprüfung. Eine freiwillige Prüfung sei aber möglich.

Für das Geschäftsjahr 2024 müssen diese Unternehmen nicht nach den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) berichten, können die Standards jedoch freiwillig nutzen. Die Nachhaltigkeitsberaterin und Aufsichtsrätin Marion Sollbach betont, dass Deutschland auch nach den Neuwahlen nicht um die Verabschiedung des CSRD-Umsetzungsgesetzes herumkomme. Daher sei es weiterhin sinnvoll, die Nachhaltigkeitskommunikation auf die neuen europäischen Reporting-Standards umzustellen. „Es macht Sinn, den Standard gegebenenfalls auch freiwillig anzuwenden, weil sich der ganze Bereich Sustainable Finance darauf eingestellt hat. Mit Basel IV ist er spätestens ab 2025 für alle Kreditnehmer relevant“, so Sollbach.

Besonderheiten bei Tochtergesellschaften in Ländern, in denen die CSRD bereits umgesetzt ist

In einigen EU-Staaten, etwa Frankreich oder Rumänien, ist die CSRD bereits in nationales Recht umgesetzt. Das kann Unternehmen vor praktische Fragen stellen, etwa wenn Tochtergesellschaften bereits verpflichtet sind, CSRD-Berichte zu erstellen, testieren zu lassen und zu veröffentlichen. Laut Dr. Pour Rafsendjani gibt es dann die Überlegung, ob die Konzernmutter freiwillig basierend auf den europäischen Standards berichtet, um so ihre Tochtergesellschaften im Ausland von der Berichtspflicht zu befreien. Sack merkt dazu allerdings an, aktuell sei noch nicht klar, ob diese Befreiungswirkung für Tochterunternehmen greift. Es komme auf den Wortlaut in der nationalen Umsetzung der CSRD an und diese liege eben noch nicht vor.

Dr. Pour Rafsendjani weist außerdem auf mögliche Nachteile hin. So erlaube die CSRD in den ersten Berichtsjahren, von bestimmten Angabepflichten abzuweichen. „Würde nun bereits jetzt freiwillig ein Bericht erstellt und veröffentlicht, könnte möglicherweise das entsprechende erste Geschäftsjahr als erstes Berichtsjahr gewertet werden. Dies könnte dann zur Folge haben, dass die Übergangsfristen für die betreffenden Erleichterungen bereits mit der freiwilligen Berichterstattung zu laufen beginnen“, so Dr. Pour Rafsendjani.

Fortsetzung der Transformation trotz Unsicherheiten

Trotz politischer und rechtlicher Unsicherheiten bleibt die Notwendigkeit der Nachhaltigkeitstransformation unbestritten. Das IDW empfiehlt in einem Mitgliederrundschreiben, die begonnenen Anstrengungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung fortzusetzen. Die Transformation der Geschäftsmodelle sollte nicht ins Stocken geraten, da sie langfristig zur Zukunftssicherung der Unternehmen beitragen kann.

Sollbach beobachtet, dass sich viele der ab dem Geschäftsjahr 2025 berichtspflichtigen Unternehmen nicht aus Überzeugung, sondern aufgrund des regulatorischen Drucks mit Nachhaltigkeit beschäftigen. „Viele hoffen jetzt, dass die Berichtspflicht doch nicht kommt. Sie stoppen alle Investitionen und ziehen personelle Ressourcen aus dem CSRD-Projekt ab. Wenn das CSRD-UG nach der Neuwahl dann kommen muss, geraten diese Unternehmen massiv unter Druck. Ich empfehle dringend, die Umsetzung mit denselben personellen Ressourcen fortzuführen.“

Laut Dr. Pour Rafsendjani gibt es zwei Möglichkeiten, mit der Situation umzugehen. Entweder können sich die Unternehmen strikt an die gesetzlichen Vorgaben halten. Oder sie können ihre wirtschaftliche Tätigkeit auch ohne rechtliche Verpflichtung „ernsthaft in eine nachhaltige Wirtschaftsweise umwandeln wollen.“ So oder so stehen Nachhaltigkeitsmanager vor der Herausforderung, in einem sich wandelnden rechtlichen Umfeld handlungsfähig zu bleiben und die Transformation ihrer Unternehmen voranzutreiben.


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