Leitsatz
1. Der Vorsteuerabzug ist von einem Unternehmer für den Besteuerungszeitraum geltend zu machen, in dem die Berechtigung zum Vorsteuerabzug entstanden ist.
2. War der Leistungsempfänger zu dem danach maßgeblichen Zeitpunkt nicht Unternehmer, kann der Vorsteuerabzug seinem Rechtsnachfolger nicht nachträglich gem. § 15a UStG gewährt werden.
Normenkette
§ 15 Abs. 1, § 2 Abs. 1, § 15a Abs. 1 UStG 1993, Art. 20 Abs. 1 und 2 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH, die durch Ausgliederung aus einem Abwasserzweckverband gegründet worden ist. Der Abwasserzweckverband hatte mit verschiedenen Bauunternehmen Werkverträge geschlossen. Er hatte in den Jahren 1995 bis 1997 Abschlagsrechnungen erhalten und bezahlt. Er hat mangels Unternehmereigenschaft daraus keinen Vorsteuerabzug geltend gemacht.
Die Klägerin hat in ihrer USt-Erklärung für das Streitjahr 1998 nicht nur den Vorsteuerabzug aus der Schlussrechnung, sondern auch aus den Abschlagsrechnungen der Jahre 1995 bis 1997 geltend gemacht.
Das FA versagte den Vorsteuerabzug aus den Abschlagsrechnungen der Jahre 1995 bis 1997.
Das Sächsische FG gab der Klage statt: Der Zweck des § 15a UStG gebiete es, dem aus einem Nichtunternehmer hervorgegangenen Rechtsnachfolger den Vorsteuerabzug aus Rechnungen zu gewähren, wenn der Rechtsvorgänger die Rechnungen bezahlt habe, aber den Vorsteuerabzug mangels Unternehmereigenschaft nicht habe geltend machen können (Sächsisches FG, Urteil vom 28.05.2008, 4 K 821/06, Haufe-Index 2108520, EFG 2009, 445).
Entscheidung
Die Revision des FA führte zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage durch den BFH.
Der BFH wies die Klage ab, weil der Abwasserzweckverband kein Unternehmer gewesen sei und bei ihm die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 15a UStG nicht vorgelegen hätten, wenn er später selbst Unternehmer geworden wäre. Dann könne für einen Rechtsnachfolger nichts anderes gelten.
Hinweis
1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 UStG in der für das Streitjahr 1998 geltenden Fassung ist die in einer Rechnung ausgewiesene USt abziehbar, soweit sie auf eine Zahlung vor Ausführung der Umsätze entfällt, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist.
Diese Vorschrift korrespondiert mit der Regelung, wonach die Steuer für vereinnahmte Anzahlungen mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entsteht, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 4 UStG).
2. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das Recht auf den Vorsteuerabzug gem. Art. 17 Abs. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 18 Abs. 2 Unterabs. 1 der 6. EG-RL für den Erklärungszeitraum auszuüben, in dem das Abzugsrecht entstanden ist, also die Lieferung bewirkt wurde und der Steuerpflichtige die Rechnung besitzt (EuGH, Urteil vom 29.04.2004, C-152/02, "Terra Baubedarf", BFH/NV 2004, Beilage 3, 229, BFH/PR 2004, 277).
Für den Fall einer Anzahlung bedeutet dies, dass das Recht auf Vorsteuerabzug für den Besteuerungszeitraum auszuüben ist, in dem die Rechnung vorliegt und bezahlt worden ist.
3. Ist der Leistungsempfänger in dem Zeitpunkt, in dem das Recht auf Vorsteuerabzug dann entstanden wäre, wenn er ein Unternehmer gewesen wäre, kein Unternehmer, kann der unterbliebene Vorsteuerabzug nicht nach § 15a UStG korrigiert werden.
Nach dem BFH-Urteil vom 19.05.1988, V R 115/83 (Haufe-Index 62171, BStBl II 1988, 916, unter II. 2.c.) ist die Überführung von Gegenständen des Privatvermögens oder eines anderen nichtunternehmerischen Vermögens in den unternehmerischen Bereich keine Änderung der Verhältnisse i.S.d. § 15a UStG.
Dies entspricht der Rechtsprechung des EuGH. Danach hat eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt i.S.v. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 der 6. EG-RL und infolgedessen als Nichtsteuerpflichtiger Investitionsgüter erwirbt und diese später als Steuerpflichtiger (Unternehmer) veräußert, im Rahmen dieses Verkaufs kein Recht auf eine Berichtigung gem. Art. 20 der 6. EG-RL hat, um die beim Erwerb dieser Güter entrichtete Mehrwertsteuer abzuziehen (EuGH, Urteil vom 02.06.2005, C-378/02, "Waterschap Zeeuws Vlaanderen", BFH/NV Beilage 2005, 323, BFH/PR 2005, 297).
Der EuGH hat eingeräumt, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs in diesem Fall bis zu einem gewissen Grad mit der Anwendung der Grundsätze der Neutralität und der Gleichbehandlung kollidieren könne; diese Auswirkung sei aber der Existenz von Ausnahmen im Mehrwertsteuersystem eigen (Rz. 43 des Urteils).
Auch wenn der Rechtsnachfolger eines Nichtunternehmers Unternehmer ist, können ihm für die Berichtigung eines unterbliebenen Vorsteuerabzugs keine weitergehenden Rechte zustehen als dem Rechtsvorgänger, wenn dieser später selbst Unternehmer geworden wäre.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 01.12.2010 – XI R 28/08